Christoph predigt

Re-Formatio


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Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Hört, von Gott Geliebte, aus dem Deuteronomiumbuch -- wir nennen es auch "5. Mose" -- aus dem 6. Kapitel:

Höre, Israel! Unser Gott ist der HERR. Einzig und allein der HERR. Der HERR ist dein Gott. Liebe ihn mit deinem ganzen Herzen. Liebe ihn mit deiner ganzen Seele. Liebe ihn mit aller Kraft. Diese Worte gebe ich dir heute. Behalte sie in deinem Herzen. Denke oft daran. Lehre deine Kinder diese Worte. Rede davon, wenn du zu Hause bist. Rede davon, wenn du unterwegs bist. Rede davon, wenn du dich hinlegst. Rede davon, wenn du aufstehst. Binde diese Worte an deine Hand. Dann denkst du daran, was du tust. Trage sie auf deiner Stirn. Dann denkst du daran, was richtig ist. Schreibe diese Worte an deine Haustür. Schreibe sie auch an die Stadttore. Dann weißt du überall: Der HERR ist dein Gott. (Dt 6,4-9; von mir in leichte Sprache übertragen)


Was heißt denn eigentlich "Reformation"? Ganz wörtlich steckt da die "Form" drin. Es geht um ein Neu-Formen. Das "Re-" ist rückwärts gewandt. Ein "Wieder-Formen", ein "Wieder-Neu-Formen", eine Wiederherstellung einer ursprünglichen Gestalt also. Martin Luther selbst war der Begriff eher fremd. Erst Philipp Melanchthon und die nach ihm sprachen regelmäßig von der reformatio ecclesiae, der evangelischen Erneuerung der Kirche. Martin Luther verstand sich nicht als "Reformator", sondern einfach als Prediger des Evangeliums. Er wollte keine neue Kirche gründen, sondern das "alte Evangelium" wieder ins Zentrum rücken -- wieder zur "Form" der Kirche machen. Prägend. Lebensstiftend. Verändernd.

"Höre Israel!" „Höre, Israel“ – so beginnt einer der wichtigsten Sätze der Bibel. Für unsere jüdischen Geschwister ist er bis heute Glaubensbekenntnis. Ein Satz, der alles zusammenfasst, worauf Glaube gegründet ist. Kein: "Tu das!" – kein: "Glaube jenes!" Sondern: "Höre!" Höre, weil Glaube nicht aus uns selbst entsteht, sondern weil Gott redet. Weil er uns anspricht – mitten im Alltag, in unseren Sorgen, Fragen, Hoffnungen.

„Höre, Israel! Unser Gott ist der HERR. Einzig und allein der HERR.“Das ist das Herzstück des Glaubens Israels – und zugleich die Mitte der Reformation. Denn auch Martin Luther hat neu entdeckt: Es gibt nur einen Grund, der trägt. Nur einen, der das Herz frei macht. Nur einen, auf den wir bauen können: Jesus Christus. Einen andern Grund kann niemand legen.

Darum feiern wir Reformation nicht als Rückblick, sondern als Einladung zum Heute: zum neuen Hören auf Gottes Wort, zum neuen Vertrauen, zum neuen Leben aus diesem einen Grund.

"Höre, Gäufelden!", also.

"Unser Gott ist der HERR. Einzig und allein der HERR." Als ob man das noch sagen müsste. Wir leben ja schließlich nicht im alten Orient, mit einem ganzen Pantheon, einer Vielgötterwelt. Oder?

Muss Gott sich seinen Platz in meinem Herzen nicht doch immer wieder neu erkämpfen? -- gegen Geld und Besitz, gegen Erfolg und Leistung, gegen Selbstdarstellung und Aufmerksamkeit, gegen Wissen, Technik und Kontrolle; gegen Beziehungen, die mir gut tun oder auch nicht; gegen Macht, Einfluss und Ideologien, gegen Bequemlichkeit und Konsum, gegen Traditionen und Gewohnheiten. Ja, am Ende vielleicht einfach gegen mich, der ich mich selbst so gerne als unabhängige Größe in den Mittelpunkt stelle?

"Unser Gott ist der HERR. Einzig und allein der HERR." Das ist Glaube, der darauf vertraut, dass ich mich nicht selbst erlösen muss. Das tut gut, denn das könnte ich auch nicht.

"Unser Gott ist der HERR. Einzig und allein der HERR." Das ist Glaube, der weiß, woran ich mich halten kann, wenn alles andere fällt. Das ist Glaube, der mir zeigt: Du bist wertvoll, weil Gott dich liebt. Nicht, weil du irgendetwas leistest. Das ist Glaube der Identität stiftet, ohne dazu erst eine große Bühne zu brauchen. Du bist gesehen--von Gott. Das ist Glaube, der anerkennt: Wissen ist gut--aber Weisheit beginnt mit Ehrfurcht vor Gott. Das ist Glaube, der erinnert: Kein Reich ist Gottes Reich, außer dem Seinen. Glaube, der zur Freiheit einlädt, statt zum Dauerkonsum.

"Unser Gott ist der HERR. Einzig und allein der HERR." Das ist Glaube, der formt und verändert: "Liebe ihn mit deinem ganzen Herzen. Liebe ihn mit deiner ganzen Seele. Liebe ihn mit aller Kraft." Da könnte man lange drüber nachdenken, was Herz und Seele und Kraft jetzt ausmacht. Aber eigentlich geht das gegen den Text. In der hebräischen Denkweise stehen diese Teile nämlich vor allem für das Ganze: "Liebe ihn mit allem, was du bist. Ohne Ausnahme."

"Unser Gott ist der HERR. Einzig und allein der HERR." Das ist Glaube, der das ganze Leben ergreifen soll. Und verändern.

Diese Worte gebe ich dir heute. Behalte sie in deinem Herzen. Denke oft daran. Lehre deine Kinder diese Worte. Rede davon, wenn du zu Hause bist. Rede davon, wenn du unterwegs bist. Rede davon, wenn du dich hinlegst. Rede davon, wenn du aufstehst.

Rede davon. Lebe davon. Lass dich formen davon. Immer und überall.

Dieser Glaube muss das Herz durchdringen. Er verändert, wie ich auf das Leben schaue und wie ich fühle. Glaube verändert, wie ich rede und kommuniziere: wertschätzend, wahrhaftig, zur Versöhnung bereit. Glaube verändert Gedanken und Maßstäbe, wenn ich mich an Gottes Maßstäben orientiere, statt an Angst oder Druck. Glaube verändert meine Arbeit, mein Engagement in Beruf, Schule und Ehrenamt. Glaube fragt: Tue ich, was dem Leben dient? Handle ich gerecht und verlässlich? Dieser Glaube verändert Familie und Beziehungen, wenn ich lerne, in Liebe, Geduld und gegenseitigem Respekt zu leben. Dieser Glaube kann unsere Gesellschaft verändern, wenn wir lernen, dass aus "Anderen" "Nächste" werden. Stellt euch vor, dieser Glaube verändert unseren Umgang mit Besitz und Geld; mit unserer Mit-Welt und Mit-Schöpfung. Stellt euch vor, wir lebten diesen Glauben auch online, in Medien und der digitalen Welt, wahrhaftig, respektvoll und achtsam...

"Unser Gott ist der HERR. Einzig und allein der HERR."

Re-Formatio. Da verändert etwas seine Form. Dieser Glaube kann die Welt verändern.

Rede davon. Lebe davon. Lass dich formen davon. Immer und überall.

Binde diese Worte an deine Hand. Dann denkst du daran, was du tust. Trage sie auf deiner Stirn. Dann denkst du daran, was richtig ist. Schreibe diese Worte an deine Haustür. Schreibe sie auch an die Stadttore.

Die jüdische Gebetstradition nimmt das ganz wörtlich. Der Betende bindet sich diese Worte auf Arm und Stirn. Die Mesusa am Türrahmen trägt sie in sich. Aber die Idee des Textes geht viel weiter:

Hand, Stirn und Tür: Handeln, Denken und die Orte unserer Gemeinschaft--alle sollen durchdrungen werden von diesem Glaubensbekenntnis.

Die Hand steht für das, was wir tun: Arbeit, Hilfe, Handwerk, Pflege, Schreiben, Gesten.

Heute wären das vielleicht unsere Arbeitsplätze, Werkstätten, Pflegezimmer, Computer-Tastaturen, Smartphones, Gartengeräte – überall, wo unser Tun sichtbar wird. Glauben an der Hand heißt: Was ich tue, soll von Liebe, Gerechtigkeit und Respekt geprägt sein. Oder, reformatorisch gesagt: Glaube zeigt sich in der Tat – aber sie ist Frucht, nicht Voraussetzung der Gnade.

Die Stirn ist der Ort des Denkens, des Erinnerns und Entscheidens. Heute wäre das unser Kopf voller Gedanken – unsere Bildschirme, Zeitungsartikel, Podcasts, Diskussionen, Schul- oder Studienstuben. Glauben an der Stirn heißt: Ich lasse mich von Gottes Wort leiten, wenn ich urteile, rede, bewerte. Im reformatorischen Sinn: „Nimm das Wort in deinen Sinn, dass es dich verändert“ – sola scriptura.

Die Türpfosten markieren den Übergang von drinnen nach draußen, von Familie zu Gesellschaft. Heute sind das unsere Wohnungen, Familien, Küchentische, WhatsApp-Gruppen, Schulhöfe, Vereine – Orte, wo unser Glaube sichtbar wird, wo Kinder Fragen stellen, Nachbar:innen uns erleben. Glauben an den Türpfosten heißt: Hier wohnt jemand, der sich an Gott erinnert. Nicht durch fromme Sprüche an der Wand, sondern durch gelebte Güte, Verlässlichkeit, Versöhnungsbereitschaft.

Dann weißt du überall: Der HERR ist dein Gott.

Immer und überall. Glaube verändert die Welt. Das wäre was. Denn die Welt ist -- wie die Kirche, das wussten unsere Reformatoren -- semper reformanda: Immer aufs neue zu reformieren.


Re-Formatio. Alles verändert sich. Die Dinge werden wieder, wie sie sein sollen. Durchdrungen von Gottes Liebe. Geprägt vom Evangelium. Angefangen bei uns.

Re-Formatio. Ein Wunschtraum?

Ich denke nicht. Das Evangelium hat die Kraft, alles zu verändern. Wir haben Hoffnung!

Beginnen wird das immer gleich. Glaube, das hat Martin Luther mit Paulus immer wieder betont, kommt aus dem Hören des Evangeliums.

Höre, Israel!

Höre, Gäufelden!

Hört, von Gott geliebte Menschen!

Hört und redet davon und lasst euch davon prägen und verändern.

Lasst dies euren Trost im Leben und im Sterben sein:

Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre. Er hat mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst; und er bewahrt mich so, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt kann fallen, ja, dass mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss.Darum macht er mich auch durch seinen Heiligen Geist des ewigen Lebens gewiss und von Herzen willig und bereit, ihm forthin zu leben.(aus dem "Heidelberger Katechismus")

Höre, Israel! Unser Gott ist der HERR. Einzig und allein der HERR.

Amen.

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