Die Getriebenen (Robin Alexander)
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#Flüchtlingskrise2015 #AngelaMerkel #Grenzpolitik #EUTürkeiAbkommen #Asylrecht #DieGetriebenen
Dies sind die Erkenntnisse aus diesem Buch.
Erstens, Die Entscheidungsnacht: Von Budapest nach München und die improvisierte Öffnung, Im Zentrum der Erzählung steht die dramatische Zuspitzung Anfang September 2015, als tausende Menschen in Ungarn strandeten, Züge gestoppt wurden und improvisierte Marschrouten in Richtung Österreich entstanden. Robin Alexander rekonstruiert, wie sich innerhalb weniger Stunden eine nationale Debatte zur europäischen Grenzfrage verdichtete. Aus Sicht des Kanzleramts, der bayerischen Behörden und der österreichischen Regierung entstand ein Handlungsdruck, der die bewährten ministeriellen Abläufe sprengte. Während in München die Kapazitäten am Hauptbahnhof und in der Erstaufnahme an ihre Grenzen kamen, liefen in Berlin Gespräche auf mehreren Ebenen parallel: humanitäre Erwägungen, die rechtliche Lage im Schengenraum, diplomatische Kanäle nach Wien und Budapest sowie die Frage nach der operativen Umsetzbarkeit jeder Entscheidung. Alexander zeigt, dass es kein großes, vorab geplantes Leitnarrativ gab. Vielmehr wirkten Hilfsbereitschaft, mediale Bilder und die Sorge vor chaotischen Szenen zusammen und beförderten einen Beschluss, der sich im Rückblick wie eine Grenzöffnung liest, in der Situation selbst jedoch als Notfallmanagement erlebt wurde. Diese Ambivalenz ist zentral: Was als pragmatische Lösung für ein Wochenende gedacht war, entwickelte eine eigene Dynamik und wurde binnen Tagen zum neuen Normalzustand. Der Autor arbeitet heraus, wie entscheidend die Kommunikation war. Signalwirkungen, die in Berlin womöglich als nüchterne Verwaltungsanordnung gemeint waren, wurden in Budapest, Wien und an den Routen der Menschen als Einladung gelesen. Zugleich entkräftet Alexander einfache Erzählmuster, indem er die Vielstimmigkeit der handelnden Personen zeigt: Skepsis auf Arbeitsebene, moralischer Imperativ in politischen Spitzen, juristische Vorbehalte im Innenressort und die kaum zu bändigende Logistik vor Ort. Die Gesamterzählung macht klar, dass die Frage weniger lautete, ob geöffnet wurde, sondern wie unter hohem Zeitdruck Optionen gegeneinander abgewogen wurden, ohne die mittel- und langfristigen Effekte vollständig überschauen zu können. Dadurch erhält die Szene eine Tragweite, die über den Moment hinausweist: Sie markiert den Beginn einer Kaskade von Folgeentscheidungen.
Zweitens, Recht, Verwaltung und die verpasste Grenzschließung, Ein Kernkapitel des Buches gilt den Tagen um den 13. September 2015, als Berlin Grenzkontrollen anordnete und dennoch kein konsequentes Zurückweisen an der Grenze durchsetzte. Alexander legt detailliert dar, wie juristische, operative und politische Überlegungen auseinanderliefen. Formal war es möglich, innerhalb des Schengenrechts temporäre Kontrollen einzuführen. Doch zwischen Grenzkontrolle und Zurückweisung klafft eine Lücke: Das Asylrecht und internationale Verpflichtungen machten eine Pauschalzurückweisung rechtlich angreifbar, während die Behörden zugleich mit einer nie dagewesenen Zahl an Schutzsuchenden konfrontiert waren. Der Autor zeichnet die Vorbereitung einer möglichen Schließung nach, bis hin zu konkreten Einsatzplänen der Bundespolizei. Er zeigt zugleich, warum die letztliche Umsetzung verwässert wurde: Unsicherheiten über die Vereinbarkeit mit deutschem Grundrecht und europäischem Recht, die Aussicht auf rechtliche Anfechtungen, die Gefahr chaotischer Szenen an der Grenze und die politische Furcht vor Bildern, die Deutschland in eine harte Pose rückten. Diese Faktoren führten zu einem Kompromiss: Kontrollen ja, aber keine generelle Abweisung. Für die Verwaltung bedeutete dies eine paradoxe Aufgabenlage. Man sollte kontrollieren, registrieren und verteilen, jedoch ohne das System kurzfristig zu überlasten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Länder und Kommunen arbeiteten unter Volllast, während Zuständigkeitsfragen, IT-Systeme, Unterkünfte und Sicherheitsaspekte gleichzeitig gelöst werden mussten. Alexander macht deutlich, dass diese Gemengelage nicht Ergebnis einer einzigen Weisung war, sondern eines Stapels aus Aktenvermerken, Telefonaten, E-Mail-Ketten und Beteiligten, die jeweils ihre Risiken minimieren wollten. Auch der Vorwurf einer bewussten Rechtsbeugung relativiert sich in dieser Darstellung: Vieles waren kollektive Versuche, die Quadratur des Kreises zu erreichen, nämlich Menschlichkeit zu bewahren, Recht zu achten und die Steuerungsfähigkeit des Staates nicht zu verlieren. Am Ende bleibt ein Zwischenergebnis: Deutschland führte Kontrollen ein, aber die Erwartung einer klaren Schließung erfüllte sich nicht. Dieser Spalt zwischen politischer Botschaft und operativer Realität prägt den weiteren Verlauf.
Drittens, Machtmechanik: Kanzleramt, Innenministerium, CSU, SPD und die Koalitionslogik, Die Stärke des Buches liegt darin, Koalitions- und Fraktionsmechanik plastisch zu machen. Alexander zeigt die Achse zwischen Kanzleramt und Innenministerium, die notwendige, aber auch fragile Grundlage jeder Sicherheits- und Migrationspolitik. Während das Kanzleramt politisch-kontinentaleuropäische Rücksichtnahmen und die Großwetterlage im Blick behält, denkt das Innenressort in Paragrafen, Einsatzlagen und Risiken. Hinzu tritt die innerkonservative Spannung: Die CSU drängt auf Begrenzung und klare Kante, die CDU-Spitze will europäische Lösungen und ein Einhegen der Lage ohne nationale Alleingänge. Dieser Gegensatz wird zu einem Ritual der deutschen Politik, das die Handlungsspielräume beeinflusst. Die SPD, als Koalitionspartner, balanciert zwischen sozialstaatlicher Verantwortung, Bürgerrechten und dem Bedürfnis, sich programmatisch von der Union zu differenzieren. In den Sitzungen der Fraktionen und den Koalitionsrunden ist dieser Spannungsbogen greifbar: Wer trägt welche Botschaft nach außen, wer übernimmt operative Verantwortung und wer wird zum Gesicht der Krise, mit allen politischen Kosten. Alexander rekonstruiert, wie die Spitzenkommunikation funktioniert: eng getaktete Abstimmungen, doch häufig flankiert von Leaks, Hintergrundgesprächen und Medienauftritten, die wiederum Druck erzeugen. Dadurch entstehen Schleifen, in denen Botschaften nicht nur nach außen, sondern auch nach innen wirken und Positionen verhärten. Ein wichtiger Befund: Nicht eine Person bestimmt alles, sondern Netzwerke, Loyalitäten und Sachzwänge formen die Entscheidungen. Selbst mächtige Akteure stoßen an Grenzen, wenn juristische Hürden, Partner in Europa oder die Lage vor Ort nicht mitspielen. Der Autor arbeitet auch den Preis dieser Dynamik heraus: Zermürbung, Vertrauensverluste und ein Klima, in dem Fehlerkorrekturen schwerer fallen, weil sie als Schwäche gelesen werden. Gleichzeitig beschreibt er die produktive Seite des Konflikts: Die Koalition ringt Kompromisse wie die Asylpakete I und II sowie schnellere Verfahren und Unterstützungsprogramme für Länder und Kommunen heraus. Diese Balance aus Streit und Beschlussfähigkeit bildet den politischen Hintergrund, vor dem das Tagesgeschehen erst verständlich wird.
Viertens, Europäische Bühne: Balkanroute, Österreich, Ungarn und der Weg zum EU-Türkei-Abkommen, Die nationale Perspektive erklärt die Krise nur halb. Alexander weitet den Blick und zeigt, wie sehr die deutsche Lage von Entscheidungen in Wien, Budapest, Athen und Brüssel abhing. Ungarn stabilisiert die eigene Lage mit harter Grenzpolitik und signalisiert zugleich, dass die Weiterreise nach Westen nicht dauerhaft verhindert werden kann, solange die Routen offen sind. Österreich befindet sich im Sandwich und schwankt zwischen humanitärer Aufnahme und der Sorge vor Überforderung. In Brüssel verfangen sich Notlösungen in langjährigen Konflikten über Zuständigkeiten, Solidarität und Grenzsicherung. Verteilungsquoten bleiben umstritten, Frontex und nationale Grenzdienste arbeiten unter Zeitdruck auf Sicht. In diesem Klima gewinnt das EU-Türkei-Abkommen an Kontur. Alexander schildert, wie die Bundesregierung, die EU-Spitzen und Ankara über Finanzhilfen, Rückführungsmechanismen und Visaerleichterungen verhandeln. Das Ergebnis ist weniger ein großer Wurf als ein Paket aus gegenseitigen Anreizen, Kontrollen und politischer Rücksichtnahme. Kritiker sehen darin Abhängigkeiten und moralische Kosten, Befürworter verweisen auf die spürbare Reduktion der irregulären Einreisen über die Ägäis. Das Buch zeigt die mühselige Kleinarbeit hinter dem Schlagwort europäische Lösung: Gipfel folgen auf Gipfel, Erklärungen müssen in Verwaltungshandeln übersetzt werden, nationale Parlamente wollen eingebunden sein, und jeder Akteur kalkuliert innenpolitische Effekte. Diese internationale Verflochtenheit erklärt, warum die Erwartung schneller, klarer Antworten oft enttäuscht wurde. Selbst wenn Berlin handeln wollte, brauchte es Partner, die ihrerseits innerpolitischen Zwängen unterlagen. Alexander macht deutlich, dass die vielzitierte Steuerung nur im Verbund möglich war. Die Umleitung und später die Schließung der Balkanroute, verstärkte Kontrollen an den Außengrenzen und Abkommen mit Transitstaaten formten ein Mosaik, das in Summe wirkte. Der Preis dafür war, dass Entscheidungswege länger, Kompromisse fragiler und der öffentliche Eindruck von Ohnmacht größer wurden. Dennoch zeigt sich in der Rückschau: Ohne europäische und regionale Abriegelungen wären nationale Maßnahmen verpufft.
Schließlich, Folgen im Innern: Verwaltung, Gesellschaft und die Verschiebung der politischen Landschaft, Der zweite Teil der Erzählung gilt den Konsequenzen. Verwaltung und Kommunen liefen im Herbst 2015 und Winter 2016 unter Hochlast: Unterkünfte wurden improvisiert, Personal aufgestockt, Verfahren beschleunigt, Sicherheits- und Integrationsfragen parallel bearbeitet. Alexander zeigt diese Ebene nicht nur als Kulisse, sondern als eigentlichen Prüfstand staatlicher Handlungsfähigkeit. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge digitalisierte und reorganisierte, Länder richteten zentrale Registrierstellen ein, Kommunen vernetzten Wohlfahrt, Ehrenamt und Ordnungskräfte. Aus dieser Verdichtung entstanden Erfolge und Friktionen: schnellere Asylverfahren, aber auch Rückstände und Fehler; beeindruckendes zivilgesellschaftliches Engagement, aber ebenso Erschöpfung und Frust. Gesellschaftlich verschob sich die Stimmung. Die anfängliche Willkommenskultur bekam Risse, als Einzelfälle und Ereignisse wie die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht die Sicherheitsdebatte prägen. Parteien reagieren: Die Union ringt um ihren Kurs, die SPD um Profilschärfung, die Grünen um den Spagat zwischen Humanität und Ordnung, und eine rechtspopulistische Partei wächst in Umfragen und Parlamenten. Alexander arbeitet diese Dynamik nicht polemisch, sondern analytisch heraus. Er zeigt, wie politische Kommunikation in Krisen fragiler wird, weil die Gleichzeitigkeit von Fakten, Emotionen und Echtzeitmedien klassische Deutungsangebote zersetzt. Die Asylpakete, Integrationsgesetze und Änderungen bei sicheren Herkunftsstaaten stehen für den Versuch, wieder Steuerungsfähigkeit zu demonstrieren. Zugleich bleibt ein Grundkonflikt: Wie viel Flexibilität verträgt das Recht, und wie viel Härte die Gesellschaft, ohne die eigene normative Basis zu verlieren. Das Buch führt vor, dass Antworten selten endgültig sind, sondern in Wellen kommen: Ent- und Neubewertungen, wenn Zahlen sich ändern, wenn europäische Partner handeln oder wenn lokale Erfahrungen die Debatte verschieben. In dieser Perspektive wird die Flüchtlingskrise zu einem Brennglas für Grundfragen moderner Politik: Legitimation durch Verfahren, Resilienz der Institutionen und die Fähigkeit, schwierige Wahrheiten zu kommunizieren, ohne die Gesellschaft zu spalten.