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Russland – und der Traum des US-Zivilisationsmodells | Von Bernd Lukoschik


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Ein Standpunkt von Bernd Lukoschik.
Es gab tatsächlich einmal eine Zeit, in der der US-EU-NATO-Westen rundum zufrieden war mit Russland. Die Kehrseite – die den Westen allerdings damals nicht interessierte, ja, die er noch nicht einmal als Realität anerkannte – war: Es war für Russland eine Epoche unendlichen menschlichen Elends, des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zerfalls: die Jelzin-Ära der 1990er-Jahre. Zustände wie nach einem Krieg!


Genau diese Zeit hat Putin nicht vergessen. Und es ist eines seiner größten historischen Verdienste, dass er ganz entscheidend dazu beigetragen hat, dass sein Land sich von dieser Zeit befreien konnte.

Die Jelzin-Ära
In ihrem großartigen Werk „Die Schockstrategie“ über den „Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus“ unter Anleitung der neoliberalen Ökonomen und Ideologen Friedrich von Hayek und Milton Friedman geht Naomi Klein auch auf die Folgen der Anwendung dieser Lehre auf das Jelzinrussland ein. Ich gebe einfach Ausschnitte des „geplanten Elends“, so Naomi Klein, wieder (1):
„Nie haben so viele Menschen in so kurzer Zeit ohne größere Hungersnöte, Seuchen oder Kriege ihr Leben verloren. Bis 1998 waren über 80 Prozent der russischen Bauernhöfe bankrott, und rund 70.000 staatliche Fabriken waren geschlossen, was zu einer Epidemie der Arbeitslosigkeit führte. Im Jahr 1989, vor der Schocktherapie, lebten in der russischen Föderation zwei Millionen Menschen in Armut … Als die Schocktherapeuten Mitte der neunziger Jahre ihre 'bitteren Pillen' verabreicht hatten, lebten der Weltbank zufolge 74 Millionen Russen unter der Armutsgrenze, das heißt, dass die russischen 'Wirtschaftsreformen' für die Verarmung von 72 Millionen Menschen in bloß acht Jahren verantwortlich waren. …
So miserabel das Leben unter dem Kommunismus mit überbelegten, schlecht geheizten Wohnungen auch war, die Russen hatten wenigstens ein Dach über dem Kopf …
Während des Kalten Krieges wurde der in der UdSSR weitverbreitete Alkoholmissbrauch im Westen als Beweis dafür gesehen, dass das Leben unter dem Kommunismus so trostlos war, dass die Russen große Mengen Wodka brauchten, um den Tag zu überstehen. Unter dem Kapitalismus jedoch trinken die Russen mehr als doppelt so viel Alkohol wie früher – und sie greifen auch zu härteren Betäubungsmitteln. Alexander Michailow … behauptet, die Zahl der Abhängigen sei zwischen 1994 und 2004 um 900 Prozent auf über vier Millionen angestiegen, von denen viele heroinsüchtig sind. Der Drogenmissbrauch hat einen weiteren stummen Mörder auf den Plan gerufen: 1995 waren 50.000 Russen HIV-positiv, in den folgenden Jahren verdoppelte sich die Zahl, und zehn Jahre später waren UN-AIDS zufolge fast eine Million Russen HIV-positiv.
Das sind langsame Todesarten, aber es gibt auch schnelle. Sobald 1992 die Schocktherapie gestartet worden war, begann die in Russland ohnehin hohe Selbstmordrate zu steigen: 1994, auf dem Höhepunkt von Jelzins 'Reformen', war sie fast doppelt so hoch wie acht Jahre zuvor. Die Russen brachten sich nun auch viel häufiger gegenseitig um: Die Zahl der Gewaltverbrechen hatte sich 1994 mehr als vervierfacht.
'Was haben unser Vaterland und das Volk von den letzten 15 kriminellen Jahren gehabt?', fragte Wladimir Gusew, ein Moskauer Gelehrter, bei einer Demokratie-Demonstration 2006. 'Die Jahre des kriminellen Kapitalismus haben zehn Prozent unserer Bevölkerung getötet.'“
Natürlich wurde seitens der vielen Ökonomen und Politiker, vor allem der neoliberalen Schule Friedmans, die damals in Russland ein und aus gingen und die die sich selbst stolz als Chicago Boys begreifenden russischen Politiker um Gaidar „berieten“, natürlich behaupteten diese, Russlands gesellschaftlicher Zerfall sei dem russischen Schlendrian und der Korruption geschuldet.
Aber Naomi Klein beschreibt dezidiert, was zu dieser menschlichen Tragödie führte: Russland wurde zerlegt, die Industrien verscherbelt,
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