Ein Kommentar von Dirk Pohlmann.
Ich war bei der Querdenkerdemonstration am 29. August in Berlin dabei. Ich habe Eindrücke mitgebracht, meinen persönlichen Ausschnitt der Wirklichkeit, fragmentiert, ich habe gesehen und gehört, was in meiner Reichweite lag. Auf dem Weg zur Demonstration kam ich an einer christlichen Gruppe mit israelischen Fahnen vorbei, an Menschen aus dem Alternativmilieu, an einer Gruppe mittelalter Männer und Frauen, die gedruckte blaue Plakate trugen, ich dachte, es wären AfD Anhänger, aber sie gehörten zu einem Motivationstrainer. An vielen Menschen mit selbstgebastelten Schildern, von originell bis politisch. Es gab auch schwarzweißrote Fahnen, zwei Frauen, die sich in US Fahnen eingewickelt hatten, sie waren Trump und Q-Anon Anhänger und hielten ein Schild „Trust the Plan“ hoch. Die allermeisten Demonstranten aber waren Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, wie das im Phrasendeutsch der Wahlkämpfe heißt. Die Stimmung war trotzig gut gelaunt, sie erinnerte mich an die Friedens- und Umweltdemos meiner Jugend. Das war kein gutes Gefühl. Denn dazu gehörte die Erfahrung der Staatsgewalt, im Wortsinn, das Gefühl des Ausgeliefertseins, der Geruch von Tränengas, und das immer deutlicher beschädigte Vertrauen in eine gute Ordnung der Dinge. So wie jetzt auch wieder.
Ich stand lange auf der Straße Unter den Linden hinter dem Brandenburger Tor, vor der russischen Botschaft. Eingekesselt, eingepfercht wie eine Schaf in der Herde, wie ein Tier im Zookäfig. Zwangsweise ruhiggestellt und zusammengedrängt von der Polizei, die alle Querstraßen abgeriegelt hatte, und dann per Lautsprecher forderte, dass die Menschenmenge den Mindestabstand einhalten solle. Sonst… Genauso gut hätte man die Menge auffordern können, zu schweben.
Ich hoffte immer noch darauf, dass der Demonstrationszug sich in Bewegung setzen würde, was es erleichtert hätte, Abstand zu halten, bereits ahnend, dass es nicht so kommen würde. Dann beobachtete ich den Aufmarsch der Polizei, und das Erfahrungswissen kam hoch. Déjà vu.
Die Polizei erklärte die Demonstration für beendet, weil die Abstandsregeln nicht eingehalten worden seien und die zusätzlich befohlenen Masken nicht aufgesetzt worden waren. Das war kein Unfall. Es wirkte wie die Retourkutsche für die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts, wie die Antwort der Exekutive auf die Klatsche der Judikative für Innenminister Geisel. Egal wie es kommen würde, man würde eine Lösung parat haben, um die Demo zu verbieten. Viele Polizisten zogen auf, in Gruppen. Die Menge rief: „Schließt Euch an! Schließt Euch an“ Auch das hatte für mich einen bitteren Beigeschmack, diese frommen Wünsche haben noch nie funktioniert. Ich hatte früher fassungslos erlebt, wie Polizisten mit dem Einsatzbefehl auf Frauen und Männer mit dem Schlagstock losgingen, mit denen sie eben noch gesprochen hatten, darunter auch alte Menschen.
Hatten es die Polizei auf die etwa 200 rechtsradikalen Demonstranten abgesehen, die mit ihren Fahnen vor der russischen Botschaft aufgezogen waren? Bald darauf gab es Pfiffe und Protestgeschrei, Personen wurden aus der Menge gegriffen, gebeugt, mit verdrehten Armen abgeführt. Es waren aber meist keine Rechten. Aufgeregte Rufe: „Die haben doch gar nichts gemacht! Was soll das?“ Dann Sprechchöre „Schämt Euch“.
Am Abend machte dann die Nachricht die Runde, dass es einen Sturm rechter Demonstranten auf den Reichstag gegeben hatte. Ich ging zur Gold-Else am großen Stern, wo immer noch Reden gehalten wurden. Die Stimmung war wie auf einem Musikfestival. Woodstock light. Auf dem Weg habe ich keine rechten Gruppen mit schwarzweißroten Fahnen mehr gesehen. Ich fragte mich, was die Medien wohl daraus machen würden? Von wieviel Teilnehmern dieser weitestgehend friedlichen Demo wohl berichtet würde?
Das Thema der Medienberichterstattung war dann ab dem Abend nicht mehr die Querdenken Demonstration mit zehntausenden oder hundertausenden Teilnehmern,