„Die Oase war nur vom Mondschein beleuchtet, als der Jüngling ins Freie trat. Er hatte bis zu seinem Zelt einen Weg von zwanzig Minuten zurückzulegen. All die Ereignisse, die sich zugetragen hatten, erschreckten ihn. Er war in die Weitenseele eingetaucht und mußte möglicherweise mit seinem Leben dafür bezahlen. Ein hoher Einsatz. Aber seit dem Tag, an dem er seine Schafe verkaufte, um seinem persönlichen Lebensweg zu folgen, gab er immer hohe Einsätze. Und wie sagte doch der Kameltreiber: Morgen zu sterben ist ebensogut wie an jedem anderen Tag. „Jeder Tag ist dazu da, um gelebt zu werden oder um an ihm die Welt zu verlassen. Alles hing nur von einem Wort ab: Maktub.
Er ging ruhig dahin und bereute nichts. Wenn er morgen sterben wollte, dann deshalb, weil Gott keine Lust verspürte, die Zukunft abzuändern. Immerhin würde er sterben, nachdem er die Meerenge überquert hatte, in einem Kristallwarengeschäft tätig war, die Stille der Wüste kennengelernt hatte und die Augen von Fatima. Er hatte jeden einzelnen Tag intensiv gelebt, seit er vor langer Zeit von zu Hause fortging. Wenn er morgen sterben sollte, so hatten seine Augen viel mehr gesehen als die Augen anderer Hirten, und darauf war er stolz. Plötzlich vernahm er ein Grollen, und er wurde von einem Windstoß von ungeahnter Kraft zu Boden geworfen. Um ihn her war eine riesige Staubwolke, die den Mond fast verdeckte. Vor ihm bäumte sich ein riesiger Schimmel auf, der ein unheimliches Wiehern ausstieß. Der Jüngling konnte kaum etwas erkennen, aber eine Angst überwältigte ihn, wie er sie noch nie gekannt hatte. Auf dem Pferd saß ein Reiter ganz in Schwarz, mit einem Falken auf seiner linken Schulter. Er trug einen Turban und vor dem Gesicht ein Tuch, das nur „Der geheimnisvolle Reiter zog sein gebogenes Schwert, das am Sattel befestigt war. Der Stahl leuchtete im Mondlicht auf. »Wer wagt hier den Flug der Sperber zu deuten«, fragte er mit einer gewaltigen Stimme, die zwischen den fünfzigtausend Dattelpalmen von El-Fayum widerzuhallen schien. »Ich wagte es«, sagte der Jüngling. Er mußte an Santiago von Compostela denken, an seinen Schimmel und die Ungläubigen unter seinen Hufen. Nur daß es jetzt die umgekehrte Situation war. »Ich wagte es«, wiederholte er und duckte sich, um dem Schwerthieb auszuweichen. »Viele Leben werden dank der Wellenseele gerettet werden, mit der ihr nicht gerechnet habt.« Doch das Schwert fuhr nicht auf ihn hernieder.“
Auszug aus: Paulo Coelho. „Der Alchimist.“ iBooks.