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Souverän der Finsternis | Von Matthias Rohl


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Die Filmfiguren Batman und Joker verkörpern den Kampf um unsere Zukunft.
Ein Kommentar von Matthias Rohl.
Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Hans-Joachim Maaz aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt apolut diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!




Kunstwerke spiegeln nicht nur die unmittelbare Realität wieder, sie nehmen oft auch künftige Ereignisse prophetisch vorweg oder verdichten sie in symbolischer Form. Das gilt für sogenannte Unterhaltungskultur ebenso. Inmitten einer planetarischen Echtzeit-Fusion aus Gefangenendilemma und Milgram-Experiment driften wir immer tiefer hinein in eine pathologische Dystopie, die alles in den Schatten stellt, was wir uns bisher selbst in wildesten Phantasien auszumalen vermochten. Doch es gab seit Langem unzählige Hinweise, dass es einst so kommen würde. Hätten wir doch nur genauer hingesehen — nicht zuletzt auch cineastisch! Der Autor hält Christopher Nolans Erfolgsfilm „The Dark Knight“ für ein besonders lohnenswertes Objekt der Betrachtung.







„Der Zerfall des Bestehenden sichert nicht seine Überwindung.“
Christoph Menke (Am Tag der Krise, 2018)

Fantasie, bemerkte Immanuel Kant einst, sei unser guter Genius — oder unser Dämon. Der Dämon steht, mythologisch gesehen, zwischen den Sterblichen, also uns Menschen, und den Göttern. Wir betreten dieses dämonisch halluzinierte Zwischenreich, lehrt uns Sigmund Freud, stets über den Umweg unserer Träume — und unsere Träume, so schließt sich der Zirkel, nähren das Reservoir unserer Fantasien. Welchen insgeheimen Kollektivtraum aber erweckt ein Superheld im Fledermauskostüm zum Leben?
Betrachten wir Christopher Nolans „The Dark Knight“ (2008) durch die heterodox geschliffene Brille soziologischer Traumdeutung, lässt sich die Lust an der Wiederkehr des Verdrängten hinreichend präzise erfassen, die innere Verwandtschaft von Bild und Traum im Modus cineastisch inspirierter Lagebildforschung entschlüsseln (1).
Im dramaturgischen Höhepunkt der berühmen Schiffszene des Films inszeniert der Joker, von Heath Ledger mit enervierender Intensität verkörpert, jenes Sozialexperiment, das über die Zukunft von Gotham City entscheiden soll. In einer perfide anmutenden Fusion des klassischen Gefangenendilemmas mit dem Milgram-Experiment erklärt der Joker den Bürgern der Stadt (2):
„Tonight, you're all gonna be a part of a social experiment. Through the magic of diesel fuel and ammonium nitrate, I'm ready right now to blow you all sky-high. Each of you has a remote to blow up the other boat. At midnight, I blow you all up. If, however, one of you presses the button. I'll let that boat live. So, who's it gonna be?“ (Übersetzung siehe (2a))
In den Laderäumen der beiden Passagierfähren sind also Bomben deponiert, die von der jeweils anderen Fähre gezündet werden können, während der Joker aus sicherem Versteck einen dritten Zünder bereithält, falls keine der beiden Versuchsgruppen die Wette des Jokers auf die Sprengung erfüllen sollte.
Wird eine der Gruppen die andere aus von außen erzwungener Notwehr sprengen, um selbst zu überleben? Oder wagt eine der Gruppen den Ausstieg aus der Logik des Experiments — auch um den möglichen Preis des eigenen Todes? Wird die Moralität der Masse über die Amoralität des Jokers triumphieren?

Regisseur Nolan führt uns in dieser virtuos choreographierten Szene metaphorisch jene Paradoxie parademokratischer Volkssouveränität vor Augen, in der die Staatsbürger innerhalb eines Doublebind oszillieren.
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