Ein Standpunkt von Sean Henschel.
Das Bundesverfassungsgericht hat letzte Woche am 15. und 17. April über zwei Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 BVerfGG) gegen Versammlungsverbote entschieden. Es handelte sich dabei um zwei verschiedene Sachverhalte mit unterschiedlichen Problemen. Um schon zu Beginn einen wichtigen Punkt vorwegzunehmen: Das Bundesverfassungsgericht hat in den beiden Entscheidungen nicht entschieden, dass die betroffenen Versammlungen vorbehaltlos stattfinden müssen.
Im Fall Gießen ging es darum, dass der von dem Versammlungsverbot Betroffene am 4. April 2020 mehrere Versammlungen unter dem Motto „Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen – Schutz vor Viren, nicht vor Menschen“ mit einer zu erwarteten Teilnehmerzahl von ungefähr 30 Personen bei der zuständigen Behörde anmeldete. Nach einem erfolglosen Kooperationsgespräch verfügte die Oberbürgermeisterin der Stadt Gießen durch Bescheid vom 9. April 2020, gestützt auf § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz, unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ein Verbot der Versammlungen.
Bei dem Bescheid in Form einer Verbotsverfügung handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Ein Verwaltungsakt ist nach § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) „jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist“. Bei der Verbotsverfügung handelt es sich um einen für den Betroffenen belastenden Verwaltungsakt, weil dieser negativ in seine Rechte eingreift, in diesem Fall das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG. Es gibt aber auch begünstigende Verwaltungsakte die für den Adressaten vorteilhaft sind, weil sie beispielsweise ein subjektiv öffentliches Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründen oder bestätigen. Klassische Beispiele für begünstigende Verwaltungsakte sind Ernennungen, Bewilligungen und Erlaubnisse.
Zudem gibt es Verwaltungsakte, die sowohl begünstigend als auch belastend sein können. Die Juristen sprechen hier von Verwaltungsakten mit Doppelwirkung. In diesem Zusammenhang wird gewöhnlich die Baugenehmigung genannt, die für denjenigen, der bauen will, vorteilhaft ist, für den Nachbarn aber möglicherweise nachteilig.
Gegen einen belastenden Verwaltungsakt hat der Betroffene die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. In der Regel hat der eingelegte Widerspruch eine aufschiebende Wirkung, den sogenannten Suspensiveffekt. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bedeutet, dass bis zur endgültigen bzw. rechtskräftigen Entscheidung über den Rechtsbehelf der Verwaltungsakt nicht vollzogen werden darf.
Im Fall Gießen hätte das Einlegen eines Widerspruchs also grundsätzlich eine aufschiebende Wirkung zur Folge gehabt, sodass der Betroffene in der Zwischenzeit seine geplanten Versammlungen hätte stattfinden lassen können. Damit diese gesetzliche Regelung nicht greift, hat die Oberbürgermeisterin der Stadt Gießen die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet. Dies ist in den Fällen möglich, „in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.“
Daraufhin stellte der Betroffene einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines eingelegten Widerspruchs beim Verwaltungsgericht Gießen. Dieser blieb erfolglos. Gegen diese Entscheidung legte der Betroffene Beschwerde ein, die der Hessische Verwaltungsgerichtshof jedoch mit Beschluss vom 14. April 2020 zurückwies.
Erst als der Rechtsweg somit erschöpft war, reichte der Betroffene am 14. April beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde ein und beantragte zugleich durch „einstweilige Anordnung gemäß § 32 Abs.