„Also wir sind eben ein Volk, das gerne Geschichten erzählt. Die literarische Geschichte in Dublin ist einfach so gigantisch. Die hatten ja wirklich unglaubliche Schriftsteller wie James Joyce und Oscar Wilde und Bram Stoker. Das hier war Oscar Wildes Viertel. Er hat dort drüben gewohnt. Und wenn man diesen Laden betritt, läuft man buchstäblich über dieselben Dielen wie er."
In Dublin kann man über weltberühmte Autoren stolpern, ohne auch nur einen Fuß in eine Bibliothek zu setzen. Aber was macht die irische Hauptstadt zu einem Mekka für Bücherfans? Und wie wichtig ist Literatur eigentlich für die Iren selbst? Auf zu einem Spaziergang durchs literarische Dublin.
Zwischen Hogwarts und Heiligen: Das Book of Kells im Trinity College
Kaum ein Ort lässt Dublins jahrhundertealte Literaturgeschichte so greifbar werden wie die ehrwürdige Bibliothek des Trinity College. Darin der „Long Room“ ein 64 Meter langer, holzgetäfelter Saal, hoch wie eine Kirche – jüngere Besucher fühlen sich an Harry Potters Hogwarts erinnert.
Etwa 200.000 alte Bücher lagern hier, gerade sind es deutlich weniger, sie werden ausgelagert, denn ab 2027 bleibt die Bibliothek drei Jahre geschlossen, wird renoviert und digitalisiert. Das wertvollste Stück: das „Book of Kells“.
Elena Felber, Besucherführerin bei Book of Kells, erzählt: „Es ist aus dem 9. Jahrhundert, und es gibt mehrere Manuskripte, die so alt sind. Aber keines ist so schön dekoriert wie das Book of Kells und keines ist so gut erhalten. Also das ist jetzt 1200 Jahre alt rund und ich glaube, dass insgesamt nur circa 60 Seiten fehlen.“
Elena Felber kam vor neun Jahren als Au-pair aus Deutschland hierher – und ist geblieben. Heute erklärt sie Besuchern die Trinity-Bibliothek und das „Book of Kells“ Es ist kunstvoll auf Kalbsleder geschrieben und enthält die vier Evangelien. Erschaffen wurde es von Mönchen auf der Insel Iona. Weil ihr Kloster im 9. Jahrhundert immer wieder von Wikingern angegriffen wurde, brachte man es ins sicherere irische Kells – und 1631 ins Trinity College.
Elena Felber weiß: „Das Book of Kells ist eigentlich nur dazu da, um hübsch auszusehen und auf dem Altar zu sitzen, während besonderen Festtagen. Es ist praktisch viel mehr ein Bilderbuch als wirklich ein Buch, das man liest.“
Die altehrwürdige Trinity Bibliothek
Jahr für Jahr kommen Hunderttausende, um die feinen keltischen Ornamente zu bewundern. Die Originalseiten liegen geschützt in einer Vitrine – umgeblättert wird nur alle paar Wochen. Auch wenn der Text nicht für Spannung sorgt, sind die kunstvollen Verzierungen Teil der irischen Identität, erklärt Elena Felber.
„Diese Dekorationen, die sind wirklich überall zu finden. In jedem Souvenirladen gibt es überall diese Celtic knots, Ketten und Kühlschrankmagnete und alles mögliche. In den Fenstern findet man überall Tattoo Designs, die davon inspiriert worden sind. Überall wo man in Dublin hinschaut, auf den Straßenlaternen, sind einfach kleine Ornamente und Kunstwerke, die von dem Book of Kells inspiriert worden sind.“
Aus der Stille der altehrwürdigen Trinity Bibliothek geht es zurück auf die hektischen Straßen Dublins. Vorbei an gregorianischen Hausfassaden, lebhaften Pubs und Cafés. Literatur ist hier überall. Das merkt man schon an den vielen Buchläden, die es in Dublin gibt.
Dublins ältester Buchladen Hodges Figgis
Hodges Figgis ist der älteste Buchladen Irlands – seit 1768. Drei Etagen voller Bücher, verbunden durch eine knarrende Holztreppe. Schauplatz in Romanen von James Joyce bis Sally Rooney. Besonders groß ist die Auswahl an irischer Literatur und Geschichtsbüchern.
Jamie Ryan Anderson leitet die Belletristik-Abteilung bei Hodges Figgis: „Irische Geschichte ist hier sehr beliebt. Besonders aus der Zeit der Revolution oder über die große Hungersnot. Ich glaube, die Iren lesen sehr gerne darüber, wer sie sind und woher sie kommen. Deshalb versuchen wir bei Hodges Figgis, das hier wirklich zu fördern."
Michaela aus Australien ist gerade erst in Dublin gelandet, und direkt zu Hodges Figgis gegangen. In Australien, sagt sie, gibt es kaum noch alte Buchläden, die Leute bestellen nur noch bei Amazon und Co.
In Dublin ist das noch anders erzählt Michaela: „Ich liebe das hier, ich suche speziell nach Buchhandlungen. Ich war 20 Jahre nicht hier, bin gerade erst angekommen und muss sagen es ist eine tolle Stadt für Bücher. Ich hoffe wirklich, dass es immer noch so ist wie früher."
Stipendien für Künstlerinnen und Künstler
Irland hat vier Literaturnobelpreisträger: Wiliam Butler Yeats, Bernard Shaw, Samuel Beckett und Seamus Heaney. Und eine lebendige Gegenwartsliteratur: von Claire Keegan bis Sally Rooney. Möglich auch dank staatlicher Unterstützung.
„Wir haben den Arts Council for Ireland, der Stipendien und Zuschüsse für Künstler in Irland bereitstellt," berichtet Jamie. „Es ist schön, dass die Regierung erkennt, dass man nicht gleichzeitig schreiben und voll arbeiten kann. Ich finde, die Kultur in Irland, insbesondere in Dublin, ist so reichhaltig, weil Kunst hier so ernst genommen wird."
Autoren als Popstars: Wilde, Joyce und die Denkmäler der Stadt
Irlands literarische Größen sind in Dublin Teil der Popkultur. James Joyce lächelt als Graffitti von Hauswänden, Oscar Wilde-Zitate zieren Tassen und T-Shirts. Die ganze Stadt ist geschmückt mit Denkmälern, Postern und Plaketten mit Zitaten irischer Autoren, man stößt beim Spazierengehen fast unvermeidlich auf die Statuen.
Im Marrion Square Park lächelt Oscar Wilde seine vielen Fans selbstsicher, fast lasziv als bunte Statue auf einem Felsen drapiert an. Die Dubliner, die ihre großen Autoren genauso gerne feiern wie verspotten, nennen das Denkmal:
„The queer with the leer“, was man in etwa mit „der Queere mit dem lüsternen Grinsen“ übersetzen kann – James Joyce, dessen Statur sich auf einen Gehstock stützt, heißt im Dubliner Jargon übrigens „The prick with the stick“, was hier aber besser nicht übersetzt werden soll.
James Joyce ist in Dublin allgegenwärtig. Sein berühmtestes Buch „Ulysses“ hat sogar sein eigenes Festival. Jedes Jahr am 16. Juni wird in Dublin „Bloomsday“ gefeiert, benannt nach Leopold Bloom, der am 16. Juni in der Ulysses durch Dublin spazierte. Und dabei machte er auch in Sweney’s Pharmacy Halt.
Swenys Pharmacy als lebendiger Treffpunkt für Literatur
Heute ist Sweny’s eine Mischung aus Buchladen und Joyce-Museum winzig, aber voller Geschichte. Über 150 Jahre war es eine Apotheke, auch Oscar Wildes Familie war hier Kunde. Seit 2009 wird der Laden von Freiwilligen wie Wayne betrieben:
„Im Regal stehen 47 Übersetzungen von Ulysses in 47 verschiedenen Sprachen. Das gibt Euch eine Vorstellung davon, welche Resonanz das Buch weltweit hatte. Es wird immer noch in neue Sprachen übersetzt. Und oft bekommen wir Exemplare, die uns gespendet oder zugeschickt werden. Oder auch wenn eine neue Übersetzung erscheint, wird sie uns zugeschickt."
Sweny‘s Pharmacy ist wie ein Sprung ins vergangene Jahrhundert. Wenn man auf den knarrenden, alten Dielen steht, fühlt man sich Oscar Wilde, aber vor allem James Joyce sehr nah. Wer will, kann sogar ein Stück Ulysses mit nach Hause nehmen, denn noch immer gibt es bei Sweny‘s die Zitronenseife, die Leopold Bloom in der Ulysses hier kauft.
Aber, das betont Wayne, der Laden versteht sich auch als Ort der Kultur – regelmäßig gibt es Joyce Lesungen, Konzerte und auch die Förderung junger, noch unbekannter Autor:innen ist dem Team von Sweny‘s wichtig.
Wayne meint: „Wir sind so etwas wie ein kulturelles Zentrum. Wir unterstützen lokale Künstler und Schriftsteller und veröffentlichen Bücher. Der Laden zieht viele kreative Menschen an.. wir sehen uns gerne als die Shakespeare and Company von Dublin."
MoLI – ein modernes Zuhause für Irlands Geschichten
Mit guten Wünschen von Wayne geht es von Sweny‘s Pharmacy zum letzten Stopp meines literarischen Spaziergangs durch Dublin. Das Museum of literature Ireland, kurz MoLi, gibt es seit 2019 und bietet einen guten Überblick über die reiche irische Literaturgeschichte.
Benedict Schlepper-Connolly ist hier Kurator und spricht, dank seiner Hamburger Mutter, Deutsch:
„Wir wollten wirklich, dass das Moli ein Ort ist, wo die richtigen Literaturliebhaber hin kommen können. Aber auch die Leute, die vielleicht einmal im Jahr versuchen, ein Buch zu lesen oder überhaupt gar nicht. Dadurch haben wir sehr viel, wo man vielleicht nur ein paar Zeilen lesen muss, und dann kriegt man schon ein Gefühl für die Sprache und verschiedenen Schriftsteller und die Geschichten der Literatur hier.“
Das MoLI ist modern und multimedial. Texte schweben projiziert im Halbdunkel, Stimmen erklingen auf Englisch und Irisch.
Auch im MoLi kann man Ulysses nicht entkommen, James Joyces‘ persönliche Erstausgabe liegt hier hinter Glas und im Garten steht noch heute eine prachtvolle Esche unter der Superstar Joyce einst als Student für ein Foto posierte. Doch auch die wichtigen irischen Autorinnen haben einen Platz, Maeve Binchy und Kate O´Brien, oder die kürzlich verstorbene Edna O‘Brien.
Literatur gehört zur DNA der Stadt
Warum sind die Iren so literaturverliebt? Benedict Schlepper-Connolly hat eine Theorie: „Ich glaube, dass die Iren ganz fundamental Geschichtenerzähler sind. Das merkt man dann, wenn man in jedes Cafe oder Kneipe geht. Wie diese Geschichten erzählt werden, ganz farbenfroh und ganz dramatisch manchmal.
Warum wir jetzt irische Geschichten oder irische Schriftsteller gerne lesen… Ich glaube, oft lesen wir irische Schriftsteller, weil sie uns etwas erklären über unsere Vergangenheit oder, auch sogar die Gegenwart. Geschichten, die vielleicht noch nicht richtig erzählt wurden in dem Land.“
Literatur ist in Dublin mehr als Erinnerung an große Namen. Sie ist Teil des Lebens, auf Straßen und Plätzen, in Läden und Kneipen. Geschichten halten Vergangenheit und Gegenwart zusammen.
Wer Dublin besucht, merkt schnell: Hier ist Literatur kein Hobby, sondern Teil der DNA der Stadt. Und vielleicht stolpert man auf den Kopfsteinpflastern tatsächlich über Joyce, Wilde oder Rooney – wenn auch nur zwischen den Zeilen.