Ein Kommentar von Rüdiger Lenz.
"Jemand, der gar nicht weiß, dass es etwas zu wissen und zu verstehen gibt, ist überzeugt, dass die Grenzen seines Wissens und Verstehens die Grenzen des Wissens und Verstehens schlechthin sind und somit andere auch nicht mehr wissen oder verstehen können als er selbst."(1)
Rainer Mausfeld, emeritierter Professor für allgemeine Psychologie an der Universität Kiel
Das Wesen der Gewalt: Lebst du schon oder überlebst du noch?
Ich verurteile jede Form der Gewalt. Ich weiß aus meiner beruflichen Erfahrung und Forschung als Gewalt- und Friedensforscher, dass die Menschheit auf jegliche Formen der Gewalt verzichten könnte. Warum sie es nicht will oder oftmals auch nicht kann, habe ich hinreichend in meinen Büchern dazu beschrieben. Politische Gewalt ist die Sprache der Diskurslosen, der Diskussionsverweigerer, der Ideologietotalitären und ganz besonders der Extremisten irgendwelcher Supernarrative.
Die meisten Lebens-Ideologien entspringen einer Ersatzhandlung. Sie sind im engeren Sinn Überlebensstrategien, die um das eigene Trauma herumgesponnen sind, weil diese Strategien den inneren Schmerz auf die Außenwelt projizieren kann und damit nicht mehr als eigenes Lebensschmerzhaftes gespürt und von einem selbst als solches erkannt und gelöst werden muss. Projektionen solcher Art werden somit dann häufig auf Menschen gelenkt, die anders denken, oder von einem anderen Lebensplan, einer anderen Lebensideologie überzeugt sind. Politik ist auch eine Traumabewältigungsstrategie, die das Auswuchern von Traumakollateralen ermöglicht. Wer das nicht glauben kann, der sollte sich unsere führenden Politiker einmal genauer anschauen und so manchen Superreichen gleich mit.
Diese Menschen wissen oftmals nichts von ihren inneren schmerzhaften Zuständen, haben diese stark verdrängt, doch genau durch dieses Verdrängen werden Ansichten, Haltungen und das eigene Verhalten zu Ersatzbefriedigungen. In der Psychologie nennt man diese Überlebensstrategien maladaptive Strategien im Gegensatz zu Copingstrategien. Copingstrategien sind keine Überlebensstrategien, sondern Bewältigungsstrategien von Lebensproblemen aller Art. Copingstrategien sind dem Problem nicht ausweichende Konzepte, sondern dem Problem zugewandte echte Lösungen, die dem Menschen seine Bewältigungskompetenzen wachsen lassen. Erkennt ein Mensch solche Lösungsstrategien, so wird dieser keine Gewalt als Lösung anwenden. Als Ausnahme bleibt einem solchen nur die Selbstverteidigung, die er in Notwehr oder Nothilfe anwenden wird. Dies zu verstehen ist wichtig, um echte Gewalttäter und echte Gewalttaten als solche mühelos und ohne Umschweife zu erkennen.
Wer als Lösung seiner Probleme oder seiner Weltsicht ständig Gewalt anwendet oder diese ständig erzwingt, ist ein Gewalttäter. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob er dies politisch, familiär, militärisch oder an Fremden anwendet. Legitimieren wird ein Täter seine Gewalt immer. Auch das gehört zur Strategie der Gewalt. Denn aus dem Legitimationsgrund holt er seine zahlreichen Rechtfertigungsgründe, um Gewalt als legitimes Mittel anwenden zu können. Das Motiv zur Gewalttat ist immer das gleiche: Nichtbewältigung kognitiv lösbarer Umstände, die somit zum Problem im eigenen Weltbild erscheinen. Wie diese kognitiv lösbaren Umstände zu erlernen und zu bewältigen sind, liegt im Wesentlichen an der eigenen Bereitschaft, seine Konflikte lösen und bewältigen zu wollen, oder im umgekehrten Fall, seine Konflikte als Projektionen im Gegenüber als Ursache des eigenen inneren Schmerzes gespiegelt zu sehen und diese dann so zu emotionalisieren, als kämen sie nicht vom eigenen Inneren, sondern vom Gegenüber. Das ist das Wesen jeder Form der Gewaltanwendung. Nicht der Hass, sondern die Angst ist das Gegenteil der Liebe. In Ermangelung, geliebt zu sein erwächst in uns die Angst. Geliebt zu sein ist die Heilkraft aller Gewalt im Menschen. So,