Die Absurdität deutscher und Geopolitik am Beispiel von Idlib
Ein Kommentar von Jochen Mitschka.
Die Frage, ob Idlib in Syrien oder nicht doch in der Türkei liegt, drängte sich dem Leser einer Nachricht von Außenminister Heiko Maas im Nachrichtendienst Twitter am 28. Februar auf. Dort schrieb er: „Wir verurteilen die fortgesetzten Angriffe des syrischen Regimes und seiner russischen Verbündeten im Norden Syriens. Unser Mitgefühl gilt unseren türkischen Partnern. Wir brauchen eine humanitäre Waffenruhe für #Idlib, die den Weg für politische Gespräche öffnet.“
Man konnte sich fragen, wie denn die syrische Regierung und ihre Verbündeten „fortgesetzte Angriffe“ im eigenen Land begehen konnten. War Idlib vielleicht doch nicht syrisches Hoheitsgebiet? Hunderte von Likes bestätigten, dass viele Menschen mit dem deutschen Außenminister übereinstimmten. Allerdings waren die fast 200 Antworten auf den Tweet das Gegenteil von Verständnis. Was war tatsächlich passiert?
Im September 2018 hatte Ankara mit Moskau die Einrichtung einer Deeskalationszone (2) in Idlib vereinbart und unterzeichnete das begleitende Sotschi-Memorandum of Understanding (3). Dieses verpflichtete Ankara dazu, terroristische Gruppen aus Idlib zu vertreiben und eine sichere Durchfahrt auf den Autobahnen M4 und M5 zu ermöglichen. In Punkt 5 heißt es ausdrücklich: „5. Alle radikalen terroristischen Gruppen werden aus der entmilitarisierten Zone bis 15. Oktober entfernt." Gemeint war das Jahr 2018! Im Gegenzug sollte die syrische Regierung Angriffe auf die „moderate Opposition“ unterlassen. Ausgeschlossen waren die vom Sicherheitsrat als Terrororganisationen eingestuften Terrorgruppen.
Dies war von Anfang an praktisch unmöglich, da es keine klare Unterscheidung zwischen Terroristen und den „Rebellen“ gab. Die Kämpfer wechselten ständig und immer wieder tauchten Videos auf, in denen angebliche Rebellen, die von der Türkei unterstützt wurden, Armabzeichen von Terrorgruppen trugen. Dann erklärte die türkische Regierung, dass Syrien sich nicht an die Abmachungen halten würde, weil es auch moderate „Rebellen“ angreifen würde.
Nach fast zweijährigen Gesprächen, ständigen Angriffen der Terrorgruppen gegen Aleppo, und gemeinsamen Bemühungen, die Vereinigten Staaten zum Rückzug aus Syrien zu drängen, ist das Verhältnis Ankaras zu Russland abgekühlt. Das russische Militär erzwang zumindest zeitweise eine De-facto-Flugverbotszone über Idlib, wo die syrische Armee, unterstützt von russischen, iranischen und Hisbollah- Einheiten, die Autobahn M5 in den letzten Wochen befreite und offenbar bereit ist, eine Offensive zur Einnahme der M4 fortzusetzen. Aus Angst, zwischen die Fronten zu geraten, begaben sich zehntausende, manche sprechen von hunderttausenden Menschen, die noch nicht aus den Terroristengebieten geflohen waren, auf den Weg von der Front. Der kürzeste und ungefährlichste Weg führt an die türkische Grenze.
Menschliche Sprengsätze
Putin, so schien es, war mit seiner Geduld am Ende. Da die Türkei nicht willens und in der Lage erschien, die Terroristen zu entwaffnen, deutete alles darauf hin, dass er bereit war, gegen Idlib vorzugehen. Idlib war zu einem Zentrum des bewaffneten Terrors in der Welt geworden. Das Gebiet wird eindeutig durch Al-Qaida-Ableger dominiert (27). Seit 2012 hatte die syrische Regierung regelmäßig besiegten Terrorgruppen angeboten, von einer Amnestie Gebrauch zu machen, welche jedoch nur für syrische Bürger galt. Alternativ konnten sie mit „Grünen Bussen“ ohne schwere Waffen mit den Familien nach Idlib umsiedeln. Über zehntausend der schlimmsten, mit den größten Verbrechen belasteten Terroristen wählten die Busse nach Idlib.
Die Türkei fand sich in einer Zwickmühle. Die gefährlichsten Terroristen der Welt lagerten nun vor den Grenzen, jederzeit bereit, von Syrien in die Türkei zu sickern, sollten sie in Idlib unter Druck geraten. So wurden die ersten Kämpfer nach Libyen verfrachtet,