Ein Kommentar von Norbert Häring.
Wer vor fünf Jahren prognostiziert hätte, dass Ulrike Guérot einmal mit Oskar Lafontaine auf einer Bühne sitzen, sich gegenseitig die Bälle zuwerfen und in sehr deutlichen Worten gemeinsam mit ihm über die Medien und die Mächtigen abledern würde, den hätte niemand ernst genommen. Und doch ist es am 27. März in Frankfurt aus Anlass einer gemeinsamen Buchvorstellung passiert <1>.
Oskar Lafontaine ist schon lange ein politischer Rebell; jedenfalls seit er 1995 Rudolf Scharpings Wunsch nach Auslandseinsätzen der Bundeswehr widersprach und sich statt diesem überfallartig zum SPD-Vorsitzenden wählen ließ. Er legte nach kurzer Zeit als Finanzminister der Regierung Schröder sein Amt nieder und machte als Kritiker der Schröderschen Sozialpolitik und von Kriegseinsätzen von sich reden. Er trat 2005 aus der SPD aus, wurde Vorsitzender der Linkspartei und Fraktionsvorsitzender der Linken im saarländischen Landtag. Doch auch die Linken verließ er 2022, weil diese den Anspruch aufgegeben habe, eine linke Alternative zur Politik sozialer Unsicherheit und Ungleichheit zu sein.
Ganz anders die Vita von Ulrike Guérot. Sie war bis 2015 in der CDU und arbeitete in jungen Jahren als Assistentin im Abgeordnetenbüro des außenpolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karl Lammers. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Präsidenten der Europäischen Kommission, Jacques Delors. Sie leitete die Programmgruppe Europa bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin und arbeitete als Senior Transatlantic Fellow für den German Marshall Fund. Sie leitete das Berliner Büro des European Council on Foreign Relations und arbeitete als Seniorpartner Deutschland für die Stiftung Open Society Initiative for Europe des Politaktivisten und Multimilliardärs George Soros.
Guérots Karriere hat sie also durch eine ganze Reihe der transatlantischen Politikbeeinflussungsorganisationen geführt, deren Ziele und Pläne Oskar Lafontaine in vieler Hinsicht bekämpft hat. Während Lafontaine als Enfant Terrible galt, war sie bis vor kurzem bei den Mächtigen und den Medien für ihr Eintreten für einen europäischen Bundesstaat beliebt, wurde gelobt und mit Preisen ausgezeichnet.
Frankfurt, im März 2023
Bei einer Talk-Show des Westend-Verlags aus Anlass ihrer beiden erstaunlich ähnlichen Bücher kamen Guérot und Lafontaine zusammen.
Die Bücher von Guérot „Endspiel Europa“ <2> und von Lafontaine „Ami it’s time to go“ <3> , habe ich bereits besprochen bzw. vorgestellt.
Hier konnten die beiden, die sich sonst regelmäßig in Fernsehtalkshows einer Phalanx von Kritikern erwehren müssen, die sie mit moralisierenden Vorwürfen überschütten, den Spieß umkehren und gegen den Mainstream austeilen, ihn moralisch verdammen. Sie taten es mit Genuss und Rückenwind. Denn auch der Moderator Markus Karsten, Gründer des Westend-Verlags, war auf ihrer Seite. Und das Publikum klatschte umso mehr, je knackiger die Sprüche wurden. Offenkundig waren viele erleichtert, einmal auf einer Bühne das laut ausgesprochen zu hören, was sie selber dachten oder empfanden.
Lafontaine etwa gab sich fassungslos ob der vorherrschenden „Mitleidslosigkeit“ den sterbenden Ukrainern und Russen gegenüber. „Ja haben die noch alle Tassen im Schrank? Waffen, Waffen, Waffen!“
Guérot blieb zurückhaltender, war aber ebenfalls deutlich. Als abschreckendes Beispiel für die von Lafontaine angeprangerte Waffenvernarrtheit und, wie sie sagte, geistige Verwirrung, zitierte sie ein Plakat der evangelischen Kirche: „Waffenlieferungen sind ein Zeichen der christlichen Nächstenliebe.“