Christoph predigt

Unten an der Himmelsleiter


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Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

So erzählt das Genesisbuch, der ganz erste Teil der Bibel, den wir oft "1. Mose" nennen, im 28. Kapitel:

Jakob verließ die Stadt Beerscheba. Er ging nach Haran. Als die Sonne untergegangen war, kam er an einen Ort. Dort wollte er übernachten. Er nahm einen Stein. Er legte den Stein unter seinen Kopf. Dann legte er sich schlafen.Jakob hatte einen Traum. Er sah eine Leiter. Die Leiter stand auf der Erde. Die Spitze der Leiter berührte den Himmel. Auf der Leiter gingen die Engel Gottes hinauf und hinunter.Oben stand Gott selbst. Er sagte: „Ich bin der Herr. Ich bin der Gott deines Großvaters Abraham. Ich bin auch der Gott deines Vaters Isaak. Das Land, auf dem du liegst, gebe ich dir und deinen Nachkommen. Deine Nachkommen werden so viele sein, dass niemand sie zählen kann – so wie die Staubkörner auf der Erde. Sie werden sich überall ausbreiten. Durch euch sollen alle Menschen auf der ganzen Welt Segen erfahren – Gottes gute Geschenke.Ich bin bei dir. Ich beschütze dich überall, wo du hingehst. Ich bringe dich wieder in dieses Land zurück. Ich verlasse dich nicht, bis ich alles getan habe, was ich dir versprochen habe.“Da wachte Jakob auf. Er sagte: „Wirklich – Gott ist an diesem Ort. Ich wusste das gar nicht!“ Und erschrocken: „Wow! Was für ein Ort! Gott wohnt hier. Hier ist der Himmel offen.“Am nächsten Morgen stand Jakob früh auf. Er nahm den Stein, den er unter seinen Kopf gelegt hatte. Er stellte ihn als Erinnerung auf. Dann goss er Öl darüber (das war ein Zeichen: Dieser Stein gehört zu Gott). Er nannte den Ort Bet-El. Das heißt: „Gottes Haus.“(Genesis 28,10-19a, von mir in leichte Sprache übertragen)


Vermutlich hätte er sich ein weiches Kissen gewünscht. So ein Premium-Supra-Deluxe-Therapiekissen, das sich jeder Lebenslage ergonomisch anpasst. Mit Anti-Schnarch-Funktion und Memory Foam und dem Versprechen unbeschwerter Träume. Massagefunktion vielleicht sogar! Eine Stütze für den verspannten Nacken, gezeichnet vom Stress und den Sorgen der letzten Tage.

Ja, den hat er sich selbst zuzuschreiben: durch Lug und Betrug, durch Eigennutz und falsche Prioritäten im Leben. Nicht immer, wenn dich die Sorgen plagen, bist du nur das unschuldige Opfer. Manchmal hast du auch einfach dumme Entscheidungen getroffen.

Aber, egal, was dich letztlich an diesen Ort gebracht hat: Jetzt liegst du da, erschöpft und verspannt, nach anstrengenden Tagen und durchwachten Nächten. Du bräuchtest einfach nur Ruhe. Die Kräfte sammeln. Die Gedanken ordnen.

Ein weiches Kissen wäre schon viel: Weich und warm, gefüllt mit Daunen--nicht nur für den Kopf, sondern für die Seele. "Hier bist du sicher. Hier kannst du zur Ruhe kommen." Frieden mit den anderen, mit der Familie und dir selbst. "Morgen geht es schon besser. Nicht alles bleibt hart." Gestützt und getragen, einschlafen in Gottes Armen. Ein Kissen wäre perfekt gewesen.

Stattdessen findet er nur einen Stein.

Harte Realität statt weicher Geborgenheit.

Was wird das nur für eine Nacht?


Wen nimmt es denn wunder, dass er seltsame Träume hat?

Unruhig wälzt er sich auf seiner harten Unterlage. Unruhig ist alles in ihm. Kopf und Herz finden keine Ruhe.

Ob er es überhaupt merkt, dass er eingedöst ist? Wahrscheinlich geht die unruhige Realität direkt in die Traumwelt über. Der Steingrund (unter dem Mandelbaum?) wird zur Fundamentplatte für die Himmelsleiter, die plötzlich vor ihm steht. Engel steigen hinauf und hinab. Gott selbst erscheint. Ganz oben. Natürlich. Von oben ab spricht er in das aufgewühlte Leben hinein.

"Ich bin der Herr..."

Dir stockt der Atem.

Oben. Auf der Leiter. Von höchster Stelle, in deine vermurkste Lebenssituation hinein.

"Ich bin der Herr."

Die deutschen Bibeln haben unterschiedliche Methoden gefunden, dieses Wort abzudrucken. "Ich bin der Herr" steht hier nämlich eigentlich wörtlich gar nicht. "Adonaj", "der Herr", wird hier nur beim Lesen gesprochen, nach jüdischer Tradition, aus Respekt, aus Ehrfurcht, um das Heilige nicht aussprechen zu müssen, das hier steht. "Ich bin Jahwe", steht da. Der Gottesname. Ein Eintrag der Erzählenden aus einer ganz anderen Geschichte, viel später erst in der Tora. Eine andere Begegnung mit demselben Gott, als Mose vor dem brennenden Dornbusch steht. "Jahwe", der "Ich bin", als der sich Gott vorstellt. Nur ganz schwer zu übersetzen. Der Gott der "ist", in der Zuwendung zu uns: "Ich bin für euch da." Der Gott, der später Sklav:innen aus Ägypten befreit.

"Ich bin der Gott, der für euch da ist."

Das klingt ganz anders, von oben auf der Leiter.

Zuwendung. Zuspruch. Verheißung:

"Ich bin der Gott deines Großvaters Abraham. Ich bin auch der Gott deines Vaters Isaak. Das Land, auf dem du liegst, gebe ich dir und deinen Nachkommen. Deine Nachkommen werden so viele sein, dass niemand sie zählen kann – so wie die Staubkörner auf der Erde. Sie werden sich überall ausbreiten. Durch euch sollen alle Menschen auf der ganzen Welt Segen erfahren – Gottes gute Geschenke."

Alt-bekannte Worte. Sie sind quasi Jakobs Familiengeschichte. Die Worte des Abrahambunds. Nachkommen, Land, Segen und Gottes Treue.

"Ich bin der Gott, der für euch da ist."

Von den Alten hat er das immer gehört. Vom Vater und vom Großvater. Er selbst hat mit eigenen Tricks versucht, sich in diese Segensreihe einzureihen. Gut gegangen ist das nicht: Jetzt flieht er um sein Leben.

"Ich bin der Gott, der für dich da ist."

Dein Gott. Bei dir. Immer und überall.

Ich halte meine Versprechen.


Da wachst du verändert auf.

Der Ort, der Stein, die Mandelbäume. Alles um ihn herum sieht noch gleich aus. Sein Kissen ist immer noch so hart wie vorher. Der Nacken spannt noch schlimmer als am Abend und er ist immer noch auf der Flucht. Der Traum -- wie Träume halt so sind, ist plötzlich weg. Wie eine Seifenblase, die platzt. Und doch fragst du dich, ob das jetzt wirklich war. Und du meinst fast, die Abdrücke der Leiter noch im Boden zu sehen.

Jakob hat "Gottes Spuren festgestellt", wie wir es in einem Lied singen.

Und das verändert alles.

"Wow! Was für ein Ort!". Ich wünschte, ich könnte das Wortspiel im Hebräischen besser wiedergeben, das Staunen, Angst und Verwunderung zugleich ausdrückt.

„Wirklich – Gott ist an diesem Ort. Ich wusste das gar nicht!“ Und erschrocken: „Wow! Was für ein Ort! Gott wohnt hier. Hier ist der Himmel offen.“


Na ja: Der Ort ist immer noch derselbe. Historisch dürfte das Beitin sein, im heutigen Westjordanland, ein Vorort quasi von Ramallah. Von dort auf dem Hügel hat man einen schönen Blick ins Jordantal. "Lus" hieß der Ort damals, erzählt die Genesis. Übersetzt heißt das "Mandelholz". Deshalb stelle ich mir dort Bäume vor. Ein ganz unspektakulärer Ort eigentlich. Mitten im Alltag eben. "Normal", würden wir sagen. Die harte Realität.

Aber Gott hat Jakob die Augen geöffnet. Als er sich den Schlaf aus den Augen reibt, kann er die Himmelsleiter noch vor sich sehen. Hier berührt der Himmel die Erde.

Hier. Mitten im "normalen" Leben.

Hier. Wo es nicht nur die Härte des Steins war, die dir keine Ruhe ließ.

Hier. Wo du bist. Wo das Leben dich hingetrieben hat. Und, ja, vielleicht warst du selbst auch mit dran schuld.

Hier berührt der Himmel die Erde.

Hier lässt Gott seine Leiter herunter.


Er kann sie noch vor sich sehen, die Engel, die hier auf und nieder gehen.

Auf und nieder -- ist dir das aufgefallen? Die kommen ja nicht erst jetzt herunter. Jetzt, wo du schon so weit heruntergekommen bist. Quasi als letzte Rettung zu dir, hier auf deinem harten Stein. Wo man sich fragen könnte: Warum sind sie denn nicht schon früher gekommen?

Auf und ab steigen die Engel.

Auf erst. Die waren schon da, hier unten, bei dir. Auf dem harten Boden deiner Realität. Hier. In all dem Schlamassel, in dem du steckst.

Auf und ab steigen die Engel.

Die waren schon da in deinem Leben und tragen es hoch zu Gott, was dich bewegt. Hoch zu ihm.

Und sie kommen herunter. Gestärkt vielleicht? Beschenkt? Gesandt und beauftragt, hin zu dir?

Was für ein Ort! Hier ist der Himmel offen.


Da wacht man sicher ganz anders auf.

Auch wenn der Stein noch im Nacken drückt. Und die Mandelbäume noch dieselben sind.

Da wacht man ganz sicher ganz anders auf!

Für Jakob hat sich der Ort verändert.

Aus Lus, dem Mandelgehölz, wird "Bet-El", das "Haus Gottes". Der "Ort, wo Gott wohnt".

Weil Gott da ist. Auch auf dem harten Stein.

Weil dort die Abdrücke der Himmelsleiter sind. Jakob kann sie noch sehen.


O, wenn wir doch auch viel öfter die Spuren Gottes hier bei uns entdeckten!

Stell dir vor, dein Wohnzimmer würde zum "Ort, wo ich mit Gott reden kann".

Dein Arbeitsplatz zum "Ort, wo Gott an meiner Seite steht".

Dein Krankenzimmer zum "Ort, wo Gott mir Kraft schenkt".

Dein Klassenzimmer zum "Ort, wo Gott mir Mut gibt".

Dein Auto zum "Ort, wo mich Gott begleitet".

Dein Handy zum "Ort, wo Gott mir gute Nachrichten schenkt".

Dein Chat zum "Ort, wo Gott durch andere Menschen zu mir spricht".

Dein Streit mit den Nachbarn zum "Ort, wo Gott Versöhnung schenkt".

Die Trauerfeier zum "Ort, wo mir Gottes Hoffnung begegnet".

Wo du dich schlaflos auf der Matratze wälzt, wäre dann der "Ort, wo Gott mir Frieden schenkt".

Dein ganzer Alltag ein "Ort, wo der Himmel offen ist".

"Bet-El". "Gottes Haus". "Gott ist an diesem Ort. Das wusste ich gar nicht!"


O, wenn wir das doch mehr wüssten! Wenn wir's uns merken könnten!

O, dass dir Gott die Augen öffne (und mir auch) für seine Spuren,

da, wo wir sie am wenigsten vermuten!

Und unsere Lebensorte zu Begegnungen mit dem Himmel werden.

Mit Engeln an unserer Seite.


Und wenn du sie entdeckst, die Spuren...

Wenn Gott deine Augen öffnet für seine Engel um sich her...

Wenn du Abdrücke ahnst von Himmelsleitern und offenen Himmelstüren...


... dann mache es wie Jakob und stell einen Stein auf.

Schlag einen Pflock ein.

Markiere den Ort.

Mache die Erinnerung fest.

Setze ein Zeichen der Dankbarkeit, genau da, wo dir Gott nahe ist.

Schreib es in dein Tagebuch.

Mach ein Foto.

Hänge einen Zettel an deinen Kühlschrank.

Stelle es in deine Story.

Erzähl deinen Kolleg:innen davon, oder den Nachbar:innen, oder sonst wem.

Warum nicht hier in der Kirche?

Bring deine Dankbarkeit zum Ausdruck

und setze Hoffnungsanker.


Jakob hat immer wieder nach Bet-El zurückgeschaut.

Israel hat dort ein Heiligtum gebaut zu Gottes Ehre.

Du kannst dir Orte bauen, die dich erinnern (und andere),

dass Gott dich (dass Gott uns) nicht verlässt.


Hat er das nicht versprochen?

"Ich bin bei dir. Ich beschütze dich überall, wo du hingehst. ... Ich verlasse dich nicht, bis ich alles getan habe, was ich dir versprochen habe."

Selbst in der härtesten Krise steht dir sein Himmel offen.


Amen.

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