Ein Kommentar von Wolfgang Effenberger.
Am Mittwoch, dem 28. September 2022, brachte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ auf ihrer Titelseite ein großflächiges Bild von der Ostsee, auf dem ein runder, weißer Fleck auf dem dunkelblauen Wasser zu sehen war. Darunter war zu lesen:
„Gas sprudelt an die Oberfläche: Leck in der Pipeline von Nord Stream 2“
Am linken Rand des Bilds wurde der lapidare Text noch einmal im Plural wiederholt: „Lecks in den Pipelines von Nord Stream“. Unter einem Leck bzw. einer Leckage wird ein Loch oder eine Undichtigkeit in einem technischen System verstanden, durch das Feststoffe, Flüssigkeiten oder Gase unerwünscht ein- oder austreten können 1)
Mit der Botschaft von „Lecks in der Pipeline“ wurde die geopolitische Dimension dieser drei oder sogar vier Sabotage-Akte 2) in der Nähe der Insel Bornholm an Nord Stream 1 und Nord Stream 2 weitgehend vernebelt. Immerhin wurde der Zusammenhang hergestellt, dass „das nukleare Risiko steigt“.
Quelle: Marine Traffic
Der Angriff auf die Nord Stream-Pipelines mit inzwischen vier Sabotage-Stellen war eine generalstabsmäßig ausgeführte Operation. Dabei ist es nur von sekundärer Bedeutung, ob diese Angriffe durch Taucher von einem Schlauchboot aus oder mittels Einsatz von Unterwasser-Drohnen, sogenannten Autonomous Underwater Vehicles (AUV) durchgeführt wurden. Auch das Spekulieren über die eingesetzte Menge Sprengstoff oder die Art der Mittel (Schneid-, bzw. Hohlladungen) ist überflüssig. Wichtig ist nur, zu erkennen, dass dieser konzertierte Terroranschlag die Situation Europas sowohl in energetischer wie auch in militärischer Hinsicht dramatisch verändert hat. Dass diese „Operation“ von „zivilen“ Akteuren durchgeführt wurde, ist auszuschließen; es bedurfte professioneller Erkundung, aufwendiger Logistik und fachspezifischer Sprengtechnik-Kenntnisse. Auch schien es den Tätern wichtig gewesen zu sein, dass die weit auseinanderliegenden Anschlagstellen in der Nähe der dänischen Insel Bornholm - zwischen dem schwedischen Schonen und der polnischen Woiwodschaft Westpommern - nicht im Hoheitsbereich eines der Anrainerstaaten liegen.
Das Potenzial für so einen folgenschweren Sabotage-Akt haben nur Russland, die USA und einige NATO-Partner wie Deutschland, Dänemark, Norwegen oder Polen.
Im Rahmen der Militärübung BALTOPS (5.-17. Juni 2022) übte ein Minensuchtrupp der US-Marine den großflächigen Einsatz von Untersee-Minenräumgeräten in der Nähe der dänischen Insel Bornholm und der dort verlegten Rohrleitungen.3)
Dass wenige Tage vor den Sprengungen ein US-Flottenverband vom Fehrmann-Belt kommend südlich an Bornholm vorbei Richtung Osten fuhr und dabei die späteren Sprengstellen passierte, mag verdächtig erscheinen, ist aber noch kein Beweis dafür, dass die USA für die Sabotage-Akte verantwortlich sind. Noch verdächtiger machte sich ein nicht identifiziertes Flugobjekt, das zur Zeit der Sprengungen von Polen kommend über die Insel Bornholm flog, und dann der konventionellen Radar-Ortung entschwand. Zuvor war es aus Richtung der Färöer-Inseln über den Atlantik gekommen und in Polen von der US Air Force luftbetankt worden, ehe es dann seinen rätselhaften Flug in Richtung Zielgebiet fortsetzte. Sollte das AUV die Ergebnisse der Sprengungen in Echtzeit nach Washington liefern?4)
Ein norwegischer Militärexperte ist sich dagegen sicher: Hinter den Lecks steckt Russland. Marineoffizier Tor Ivar Strömmen sieht darin die wahrscheinlichste Erklärung für die Lecks der Nord Stream-Pipelines in der Ostsee.
„Ein Leck an drei verschiedenen Orten mit so großer Entfernung dazwischen kann nur die Folge eines vorsätzlichen Akts oder von Sabotage sein“5), sagte Strömmen am 27. September 2022 der Nachrichtenagentur AFP.