Ein Vollblutjournalist, der sich emporschleimt
Mal wieder ein Seitenwechsel: Der Sprecher des neuen Verteidigungsministers kommt direkt aus dem ARD-Hauptstadtbüro. Kurz vor seiner Berufung hat er noch eine Lobeshymne auf Boris Pistorius geschrieben. Ein Zufall?
Ein Kommentar der Hintergrund-Redaktion.
Es klingt wie ein Bewerbungsschreiben. Anders kann man diesen Text auf tagesschau.de mittlerweile kaum mehr charakterisieren. Eine liebedienerische Epistel für den Wechsel im Ministeramt zugunsten Pistorius’. Die Zeit für den ARD-Hauptstadtkorrespondenten Michael Stempfle war gekommen. Er hat sich zum Seitenwechsel emporgeschrieben: „Ein Vollblutpolitiker, der anpackt“, betitelte er sein Machwerk (tagesschau.de, 17.1.23).
Es soll eine Analyse sein. Das steht zumindest über dem Text. Der analytische Gehalt des Artikels indes ist überschaubar. Ein paar Beispiele aus der Vergangenheit, Einschätzungen von Weggefährten und politischen Begleitern. Dazwischen Sätze wie: „Ein Politiker-Typus also, der anpackt – mit einem sicheren Gespür für Themen und für pragmatische Lösungen.“ So schreibt ein Vollblutjournalist, der schleimt. Oder ein Vollblutschleimer, der sich Journalist nennt? „Angesichts solch schmachtender Zeilen hatte Pistorius keine andere Wahl, als Stempfle ins Kanonenboot zu holen“, ätzt die junge Welt im täglichen glossierenden Kurzporträt. Der Minister-Verehrer wird zum „Medienprofi des Tages“ (junge Welt, 25.1.23).
SWR-Hauptstadtkorrespondent Stempfle kennt den neuen Verteidigungsminister schon länger. Im Archiv von tagesschau.de finden sich einige Texte über die Innenministerkonferenz und Pistorius, die Stempfle geschrieben hatte. Vermutlich ist er Pistorius oder dessen Umfeld schon damals aufgefallen, beispielsweise als der ehemalige niedersächsische Innenminister auf bessere Ausstattung beim Zivilschutz drängte (tagesschau.de, 24.3.22).
Dass Stempfle, dessen Impfpropaganda (tagesschau.de, 21.12.21) im Sinne der Mehrheit gegen eine Minderheit gerade wieder im Netz geteilt wird (Nachdenkseiten, 24.1.23), kurz nach seinem Text über Pistorius erstmals Kontakt mit dessen Stab hatte, ist kaum anzunehmen. So hat die ganze Geschichte einen deutlichen Beigeschmack, auch wenn der Wechsel vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk in die Sprecherposition eines Ministeriums – auch Stempfles Vorgänger, Christian Thiels, kam von der ARD – keine Seltenheit ist. Schließlich war auch Steffen Seibert vor seiner Zeit als Regierungssprecher Frontmann bei ZDF-heute. Der Nachrichtenmoderator, dem die Zuschauer vertrau(t)en. Heute ist Seibert deutscher Botschafter in Israel. Keine schlechten Karriereaussichten für Journalisten.
Allerdings: Die Dreistigkeit, mit der Stempfle vom Laudator für Pistorius zu dessen Sprecher avancierte, hat selbst den Mainstream auf den Plan gerufen und die Tagesschau zu einer Notiz veranlasst. Unter dem Text steht nun, dass der Autor zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch ARD-Hauptstadtkorrespondent gewesen sei. Ein solcher Nachsatz ist auch nötig, denn sonst würde man den Unterschied schließlich nicht bemerken. Das Branchenmagazin DWDL.de schreibt entsprechend über Personalie und Artikel, dass das „mindestens unglücklich“ sei und „der ohnehin angekratzten Glaubwürdigkeit der ARD kaum zuträglich sein“ dürfte (