Ein Standpunkt von Marcus Zeller.
Der Transhumanismus wird als Weg in die Zukunft angepriesen — doch mit diesem verwandelt sich der aufgeklärte Mensch in ein Objekt der Verwertung.
„Trans“ bedeutet „über etwas hinaus“. Jahrhundertelang träumten Philosophen und Wissenschaftler von optimierten Exemplaren unserer als unzureichend empfundenen Spezies. „Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss“, sagte Nietzsche. Aber: Wenn die Entwicklung über den Menschen hinausführt, wo geht sie hin? Wäre es auch denkbar, dass wir dann schrumpfen, anstatt zu wachsen? Die Ideologie des Transhumanismus will uns von Fehlern befreien, von Krankheiten, im äußersten Fall gar von der „Zumutung“ der eigenen Sterblichkeit. Diese Aversion gegen unsere Fehlerhaftigkeit ist aber vielleicht der größte Fehler überhaupt. Er macht unser Sosein obsolet, erschafft inhumane Funktionstüchtigkeit nach dem Gusto von ein paar „Visionären“ mit Größenfantasien, die niemand von uns gewählt hat, knüpft unser weiteres Schicksal gar an Algorithmen, also an mechanische Entscheider. Dass die neue Welt, die daraus hervorgeht, wirklich eine schöne sein wird, erscheint unwahrscheinlich.
„Quo vadis?“ — „Wohin gehst du?“ oder „Wohin willst du gehen?“ — war eine Frage, die Jesus kurz vor seiner Hinrichtung von seinem Jünger Petrus gestellt bekam. Eine symbolische Frage, die Grundsätzliches verdeutlichen wollte. Es ist nützlich, Fragen dieser Art von Zeit zu Zeit neu zu stellen. Wohin will der Mensch heute? Will er überhaupt dorthin, wohin es „offiziell“ gehen soll? Transhumanismus ist das bedeutungsschwere Wort, das scheinbar alternativlose Ideal unserer aller Zukunft. Dabei geht es nicht nur um die Verbesserung medizinischer Möglichkeiten, ein längeres Leben oder Ähnliches.
Ich lese bei FUTURA.de:
„Raymond Kurzweil, Leiter der Technikabteilung bei Google, behauptete vor einigen Jahren, dass das Gehirn des Menschen bis 2030 direkt mit dem Internet verbunden sein würde, um Zugang zu einer riesigen Menge an Informationen zu haben. Diese Denkweise wird unter anderem von Elon Musk, dem Gründer von Tesla, Space X und Neuralink, geteilt, der 2017 erklärte: ‚Wenn du die Maschine nicht schlagen kannst, ist es am besten, selbst eine zu werden.‘“
Es liegt auf der Hand, dass eine geplante Verbesserung des Menschen seine Natur beschneiden und seine Freiheit massiv einschränken kann. Bevor dieses von technophilen Eliten geschaffene Ideal also klammheimlich und unbemerkt zur Selbstverständlichkeit wird und damit in unserem Wortschatz und unserem Denken Einzug hält, sollten wir es einmal unter die Lupe genommen haben.
Technologische Metaphysik
„Trans“ bedeutet „über etwas hinaus“. Was möchte man denn im Transhumanismus „überschreiten“? „Transzendenz“ kennen wir schon länger. Dieser Begriff bezeichnet das Überschreiten des gegenständlich Fassbaren. In Religion und Spiritualität versucht der Mensch mittels verschiedener Praktiken, die eigene Existenz zu überschreiten und Zugang zu den Dimensionen „dahinter“ zu erlangen. Dabei ist es nicht so, dass diese Dimensionen vom Menschen nicht erfassbar wären, sondern gerade weil sie dem Menschen zugänglich sind, kann er erkennen, dass er ihnen entstammt und angehört. Er erlebt auf eine einzigartig individuelle Art, dass das eigene Leben mehr ist, als er alltäglich erfasst. Transzendenz bindet den Menschen im Kosmos ein, er überschreitet darin sein alltägliches Sein. Eine solche Erfahrung ist nicht generalisierbar. Sie erschüttert den Menschen tief, sie ergreift ihn, und in dieser höchst individuellen Erfahrung findet er einen tieferen Sinn.
Auch der Transhumanismus will das Menschsein überschreiten, allerdings auf einem ganz anderen Wege. Dieser Weg lässt eigentlich gar keinen Platz für das Menschliche, weil er eben genau dessen Eigenschaften abschaffen will: Intuition, Stimmung, Verfassung, eben eine gewisse Unberechenbarkeit — all das sind Quellen potentielle...