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Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn.
Geliebte Gottes in Nebringen,
Lieber Jonathan,
Ich war gar nicht so viel älter als du es heute bist, da waren wir in Österreich im Sommerurlaub. Viel interessanter als die Berge um uns herum war das, was es in den Nachrichten zu sehen gab: Auf der Grenzlinie zwischen Österreich und Ungarn, am Grenztor an der alten Pressburger Landstraße zwischen Sankt Margarethen im Burgenland und Sopronkőhida, wurde ein "paneuropäisches Picknick" gefeiert--mit Menschen von beiden Seiten der Grenze. Dass Europa damals geteilt war, mit Mauern und Stacheldrahtzäunen, mit Todesstreifen und waffenstarrenden Armeen auf beiden Seiten, daran kannst du dich ja gar nicht erinnern. An diesem Nachmittag an der Grenze sah alles friedlich aus. Österreich und Ungarn hatten sich gemeinsam für die Weltausstellung 1995 beworben und an diesem sonnigen Nachmittag wurde symbolisch ein Stück Stacheldraht durchtrennt. Dann überschlugen sich die Ereignisse: Kurz vor 15 Uhr kamen dann etwa 20 bis 30 Menschen, die aus Ostdeutschland, aus der DDR, extra angereist waren, an das immer noch bewachte Grenztor. Plötzlich wurde dieses aufgerissen. Die Grenzwachen wussten gar nicht, was sie tun sollten. Die Menschen rannten die kurze Strecke bis auf die österreichische Seite, wo Journalisten das alles live mit der Kamera aufzeichneten. Freiheit! Gegen 15 Uhr rannten erneut etwa 150 Menschen über die Grenze. Und dann noch einmal. Bis am Abend waren es fast 700. Es gab kein Halten mehr. Zehntausende von Bürgern der DDR reisten nach Ungarn. Hunderte schafften es jeden Tag über die Grenze. In der Hauptstadt des Nachbarlands kletterten ostdeutsche Bürger über die Mauer um die deutsche Botschaft in Prag. Wir waren kaum aus dem Urlaub zuhause, da öffnete Ungarn am 11. September endgültig die Grenzen. Am 30. September verkündete Hans-Dietrich Genscher die Ausreiseerlaubnis für die, die in Prag im Garten der Botschaft kampierten. Der "eiserne Vorhang" bekam immer mehr Risse. Und dann kam der 9. November. Gestern vor 35 Jahren. Günther Schabowski bekam vor einer Pressekonferenz noch schnell einen Zettel in die Hand gedrückt, setzte eine Falschmeldung in die Welt und Tausende versammelten sich an der Berliner Mauer. Völlig überfordertes Grenzpersonal klappte schließlich die Schlagbäume hoch, statt zu schießen. Menschen tanzten auf der Mauer, die uns getrennt hatte. Es lag etwas in der Luft. Freiheit. Zukunft. Neubeginn. Feinde, die sich die Hand reichen und Atomraketen, die verschrottet werden. Vom "Wind of Change", dem "Wind der Veränderung", sangen die Scorpions in dieser verrückten neuen Zeit. Alles schien plötzlich möglich.
1 Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des HERRN steht felsenfest. Er ist der höchste Berg und überragt alle Hügel. Dann werden die Völker zu ihm strömen. 2 Viele Völker machen sich auf den Weg und sagen: »Auf, lasst uns hinaufziehen zum Berg des HERRN, zum Haus, in dem der Gott Jakobs wohnt! Er soll uns seine Wege weisen. Dann können wir seinen Pfaden folgen.« Denn vom Berg Zion kommt Weisung. Das Wort des HERRN geht von Jerusalem aus. 3 Er schlichtet Streit zwischen vielen Völkern. Er sorgt für das Recht unter mächtigen Staaten, bis hin in die fernsten Länder. Dann werden sie Pflugscharen schmieden aus den Klingen ihrer Schwerter. Und sie werden Winzermesser herstellen aus den Eisenspitzen ihrer Lanzen. Dann wird es kein einziges Volk mehr geben, das sein Schwert gegen ein anderes richtet. Niemand wird mehr für den Krieg ausgebildet. 4 Jeder wird unter seinem Weinstock sitzen und unter seinem Feigenbaum. Niemand wird ihren Frieden stören. Denn der HERR Zebaot hat es so bestimmt. 5 Noch rufen viele Völker, jedes zu seinem eigenen Gott. Wir aber leben schon heute im Namen des HERRN, unseres Gottes, für immer und alle Zeit. [...] 7 [...] Dann wird der HERR König über sie sein. Er wird auf dem Berg Zion regieren von heute an bis in alle Zukunft. (Micha 4,1-5.7b)So sagt es der Prophet Micha, im alten Israel, in Juda, schon mehr als 700 Jahre vor Christus.
Friede. Gerechtigkeit. Wohlergehen für alle. Wind of Change.
Das ist die Zukunft, die ich dir für dein Leben wünschen würde, lieber Jonathan. Das ist die Welt, die wir uns alle wünschen.
35 Jahre nach dem Fall des "eisernen Vorhangs" scheint der Wind viel zu oft in eine andere Richtung zu wehen. Da herrscht Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten und kein Ende scheint in Sicht. Da gewinnt man mit Hassparolen Wahlen und wird amerikanischer Präsident oder Abgeordnete in einem deutschen Parlament. Und am 9. November, an dem Tag, der nicht nur an den Fall der Berliner Mauer erinnert, sondern lange vorher schon an die nie zu wiederholenden Schrecken der Nazis und ihres Hasses auf die Juden, sehen wir erschüttert in den Nachrichten, wie jüdische Menschen in Amsterdam um ihr Leben rennen müssen. Bitterkalt, eiskalt bläst der Wind der Veränderung in Richtungen, die uns gar nichts Gutes ahnen lassen.
Vieles davon hat auch mit der Ernüchterung, der Enttäuschung von dem, was damals begonnen hat, zu tun. "Blühende Landschaften im Osten" hatte einst ein Bundeskanzler versprochen. Darüber können viele heute nur noch bitter lachen, wo ganze Landstriche wie ausgestorben scheinen. Die "Wende" hin zur Freiheit scheint vielen Menschen im Rückblick ein Verlust gewesen zu sein, überrumpelt von den Interessen anderer, die sich möglichst schnell daran bereichern wollten. Das Zusammenwachsen Deutschlands ist auch 35 Jahre nach dem Fall der Mauer nicht abgeschlossen. Das Zusammenwachsen Europas auch nicht.
"The world is closing in...", sangen die Scorpions damals. "Die Welt rückt zusammen. Und hättest du je gedacht, dass wir uns so nahe sein könnten, wie Brüder? Die Zukunft liegt in der Luft. Ich kann es überall spüren. Sie weht mit dem Wind der Veränderung."
"Nimm mich mit in die Magie des Moments, dieser herrlichen Nacht, in der die Kinder des Morgens im Wind der Veränderung träumen."
Ist der Traum geplatzt?
"Es kommt die Zeit", sagt Jahrhunderte vorher Micha von Moreschet, der Prophet. "Die Zeit kommt." "Am Ende der Tage wird es geschehen." Es ist noch nicht da.
Das unbeschränkte Friedensreich mit Wohlergehen für alle, das kann man nicht mit menschlichen Mitteln herbeiführen. Weder mit Waffen noch ohne. Es gibt keine Strategie, die das erreicht. Es gibt keine Lehre, der man dorthin folgen kann. Keinen Plan, den man einfach umsetzen kann. Keinen "Wind der Veränderung2, der es herbläst. Das unbeschränkte Friedensreich bleibt für uns unerreichbar. Es ist sein Reich: Gottes Reich. Nur er kann das schaffen. Der Friede, den Micha beschreibt, geht von ihm aus und davon, dass alle sich auf ihn ausrichten. Es ist vor ihm, dass sie entdecken, dass man hier keine Schwerter und keine Lanzen mehr braucht. Stattdessen Pflugscharen und Winzermesser, für eine Welt, in der alle auskömmlich leben können: Jeder unter seinem Weinstock und seinem Feigenbaum.
Ein Traum. Ein Traum?
"Es kommt die Zeit", sagt Micha von Moreschet. "Sie kommt."
Das Friedensreich Gottes ist nämlich kein Traum. Es ist nicht die Vorstellung einer herrlichen Nacht, in der man sich an dieser wunderbaren Zukunft freut und dann morgens zitternd im eiskalten Wind der Realität aufwacht. Das Friedensreich Gottes ist eine Hoffnung. Es kommt nämlich. Es kommt bestimmt. Es kommt, weil Gott es so will. Das ist gewiss.
Nein, es ist noch nicht da. Aber an der Gewissheit seines Kommens kann man sich festhalten. Man kann darauf vertrauen, auch wenn die Realität oft bitter anders ist. Christ:innen sind Menschen, die das tun. Wir leben aus der Hoffnung auf das kommende Gottesreich. "Wir aber leben schon heute im Namen des HERRN, unseres Gottes, für immer und alle Zeit."
Und das ist keine Ewigkeitsvertröstung. Kein Strohhalm, an den wir uns klammern, um in den Wellen des Jetzt nicht unterzugehen. Es ist kein Luftschloss, das wir uns bauen, weil wir die Welt, wie sie ist, nicht ertragen können. Unsere Hoffnung ist eine Gewissheit!
Woher wir das so genau wissen? Nun, ganz einfach: Weil die Zukunft bereits begonnen hat. Weil das Reich Gottes bereits angebrochen ist.
"Es kommt die Zeit", sagt Micha von Moreschet. "Sie kommt." "Jetzt ist sie da.", sagt ein paar Jahrhunderte später Jesus von Nazaret. "Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!" (Markus 1,15 [BB]) Und dann lädt er ein, ein Teil dieses Reiches Gottes zu werden. Teil eines Reiches, das noch ganz anders ist, als wir uns das normalerweise vorstellen. Es konkurriert noch mit dem System dieser Welt. Noch herrscht kein universeller Gottesfriede. Aber Gottes Reich ist hereingebrochen in unsere Wirklichkeit und nichts kann es aufhalten. "Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Zeichen;", sagt Jesus. "[M]an wird auch nicht sagen: Siehe, hier!, oder: Da! Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch." (Lukas 17,20-24 [BB])
"Wir aber leben schon heute im Namen des HERRN, unseres Gottes", sagt Micha. Wir sind heute schon Teil dessen, was da kommt. Die Taufe, die du heute empfangen hast, Jonathan; die wir alle empfangen haben -- sie ist Gottes Versprechen: Du gehörst dazu. Du bist ein Teil davon. Da kommt deine Gewissheit her.
"Es kommt die Zeit", sagt Micha von Moreschet. "Sie kommt." Es kommt die Zeit, in der die Fülle dessen da sein wird, was nur Gott machen kann. Friede, Gerechtigkeit, Wohlergehen für alle. Kein Traum, sondern eine gewisse Hoffnung.
Nur Gott kann das vollenden. Aber wir, "wir leben schon heute im Namen des Herrn", erinnert uns Micha. "Das Reich Gottes ist mitten unter uns", erinnert uns Jesus und ruft uns auf, dann auch so zu leben. Das beschränkt sich nicht auf das Hoffen und Daran-Festhalten tief in mir drin. Als Teil des Reiches Gottes leben, das heißt, mich im Alltag meines Lebens so zu verhalten, als sei ich ein Teil des Kommenden. Das geschieht da, wo wir uns die Hände reichen und uns versöhnen. Am Esstisch, auf der Straße und bei Begegnungen am Gartenzaun. Selbst vor dem Supermarkt, wo mir gerade einer den Parkplatz weggeschnappt hat. Das geschieht da, wo wir teilen, was wir haben, als sei genug für alle da. Wo wir statt uns abzugrenzen Tische aufstellen und miteinander essen. Wo wir statt Schuldige zu suchen neue Freunde finden. Wo wir aufeinander zugehen, auch über Grenzen hinweg. Wo wir lernen, die Sprache des anderen zu sprechen und die Dinge auch mal mit den Augen des anderen zu sehen. Wo wir verantwortlich miteinander und mit der Welt, in der wir leben, umgehen. Wo wir das auch in Wahlentscheidungen fassen und in Kirchengemeinderatsbeschlüsse und in neue Arten, mit unseren Nachbarn zu reden. Wo wir Aufrüstung, im Kleinen und im Großen, nicht für alternativlos halten. Wo wir, die wir heute schon im Namen des Herrn leben, seine Stimme gerade da hören, wo wir anders denkenden, anders glaubenden und anders lebenden Menschen begegnen. Wo die Welt ein Stückchen mehr so wird, wie wir sie Jonathan wünschen. Und uns.
Da weht uns dann auf einmal ein sanftes Lüftchen um die Nase. Es ist kein großer Sturmwind, aber es riecht. Nach Verheißung. Nach Hoffnung. Nach Freiheit. Nach Gottes "Wind of Change."
Und die Zeit kommt...
Amen.
By Christoph FischerGnade sei mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn.
Geliebte Gottes in Nebringen,
Lieber Jonathan,
Ich war gar nicht so viel älter als du es heute bist, da waren wir in Österreich im Sommerurlaub. Viel interessanter als die Berge um uns herum war das, was es in den Nachrichten zu sehen gab: Auf der Grenzlinie zwischen Österreich und Ungarn, am Grenztor an der alten Pressburger Landstraße zwischen Sankt Margarethen im Burgenland und Sopronkőhida, wurde ein "paneuropäisches Picknick" gefeiert--mit Menschen von beiden Seiten der Grenze. Dass Europa damals geteilt war, mit Mauern und Stacheldrahtzäunen, mit Todesstreifen und waffenstarrenden Armeen auf beiden Seiten, daran kannst du dich ja gar nicht erinnern. An diesem Nachmittag an der Grenze sah alles friedlich aus. Österreich und Ungarn hatten sich gemeinsam für die Weltausstellung 1995 beworben und an diesem sonnigen Nachmittag wurde symbolisch ein Stück Stacheldraht durchtrennt. Dann überschlugen sich die Ereignisse: Kurz vor 15 Uhr kamen dann etwa 20 bis 30 Menschen, die aus Ostdeutschland, aus der DDR, extra angereist waren, an das immer noch bewachte Grenztor. Plötzlich wurde dieses aufgerissen. Die Grenzwachen wussten gar nicht, was sie tun sollten. Die Menschen rannten die kurze Strecke bis auf die österreichische Seite, wo Journalisten das alles live mit der Kamera aufzeichneten. Freiheit! Gegen 15 Uhr rannten erneut etwa 150 Menschen über die Grenze. Und dann noch einmal. Bis am Abend waren es fast 700. Es gab kein Halten mehr. Zehntausende von Bürgern der DDR reisten nach Ungarn. Hunderte schafften es jeden Tag über die Grenze. In der Hauptstadt des Nachbarlands kletterten ostdeutsche Bürger über die Mauer um die deutsche Botschaft in Prag. Wir waren kaum aus dem Urlaub zuhause, da öffnete Ungarn am 11. September endgültig die Grenzen. Am 30. September verkündete Hans-Dietrich Genscher die Ausreiseerlaubnis für die, die in Prag im Garten der Botschaft kampierten. Der "eiserne Vorhang" bekam immer mehr Risse. Und dann kam der 9. November. Gestern vor 35 Jahren. Günther Schabowski bekam vor einer Pressekonferenz noch schnell einen Zettel in die Hand gedrückt, setzte eine Falschmeldung in die Welt und Tausende versammelten sich an der Berliner Mauer. Völlig überfordertes Grenzpersonal klappte schließlich die Schlagbäume hoch, statt zu schießen. Menschen tanzten auf der Mauer, die uns getrennt hatte. Es lag etwas in der Luft. Freiheit. Zukunft. Neubeginn. Feinde, die sich die Hand reichen und Atomraketen, die verschrottet werden. Vom "Wind of Change", dem "Wind der Veränderung", sangen die Scorpions in dieser verrückten neuen Zeit. Alles schien plötzlich möglich.
1 Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des HERRN steht felsenfest. Er ist der höchste Berg und überragt alle Hügel. Dann werden die Völker zu ihm strömen. 2 Viele Völker machen sich auf den Weg und sagen: »Auf, lasst uns hinaufziehen zum Berg des HERRN, zum Haus, in dem der Gott Jakobs wohnt! Er soll uns seine Wege weisen. Dann können wir seinen Pfaden folgen.« Denn vom Berg Zion kommt Weisung. Das Wort des HERRN geht von Jerusalem aus. 3 Er schlichtet Streit zwischen vielen Völkern. Er sorgt für das Recht unter mächtigen Staaten, bis hin in die fernsten Länder. Dann werden sie Pflugscharen schmieden aus den Klingen ihrer Schwerter. Und sie werden Winzermesser herstellen aus den Eisenspitzen ihrer Lanzen. Dann wird es kein einziges Volk mehr geben, das sein Schwert gegen ein anderes richtet. Niemand wird mehr für den Krieg ausgebildet. 4 Jeder wird unter seinem Weinstock sitzen und unter seinem Feigenbaum. Niemand wird ihren Frieden stören. Denn der HERR Zebaot hat es so bestimmt. 5 Noch rufen viele Völker, jedes zu seinem eigenen Gott. Wir aber leben schon heute im Namen des HERRN, unseres Gottes, für immer und alle Zeit. [...] 7 [...] Dann wird der HERR König über sie sein. Er wird auf dem Berg Zion regieren von heute an bis in alle Zukunft. (Micha 4,1-5.7b)So sagt es der Prophet Micha, im alten Israel, in Juda, schon mehr als 700 Jahre vor Christus.
Friede. Gerechtigkeit. Wohlergehen für alle. Wind of Change.
Das ist die Zukunft, die ich dir für dein Leben wünschen würde, lieber Jonathan. Das ist die Welt, die wir uns alle wünschen.
35 Jahre nach dem Fall des "eisernen Vorhangs" scheint der Wind viel zu oft in eine andere Richtung zu wehen. Da herrscht Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten und kein Ende scheint in Sicht. Da gewinnt man mit Hassparolen Wahlen und wird amerikanischer Präsident oder Abgeordnete in einem deutschen Parlament. Und am 9. November, an dem Tag, der nicht nur an den Fall der Berliner Mauer erinnert, sondern lange vorher schon an die nie zu wiederholenden Schrecken der Nazis und ihres Hasses auf die Juden, sehen wir erschüttert in den Nachrichten, wie jüdische Menschen in Amsterdam um ihr Leben rennen müssen. Bitterkalt, eiskalt bläst der Wind der Veränderung in Richtungen, die uns gar nichts Gutes ahnen lassen.
Vieles davon hat auch mit der Ernüchterung, der Enttäuschung von dem, was damals begonnen hat, zu tun. "Blühende Landschaften im Osten" hatte einst ein Bundeskanzler versprochen. Darüber können viele heute nur noch bitter lachen, wo ganze Landstriche wie ausgestorben scheinen. Die "Wende" hin zur Freiheit scheint vielen Menschen im Rückblick ein Verlust gewesen zu sein, überrumpelt von den Interessen anderer, die sich möglichst schnell daran bereichern wollten. Das Zusammenwachsen Deutschlands ist auch 35 Jahre nach dem Fall der Mauer nicht abgeschlossen. Das Zusammenwachsen Europas auch nicht.
"The world is closing in...", sangen die Scorpions damals. "Die Welt rückt zusammen. Und hättest du je gedacht, dass wir uns so nahe sein könnten, wie Brüder? Die Zukunft liegt in der Luft. Ich kann es überall spüren. Sie weht mit dem Wind der Veränderung."
"Nimm mich mit in die Magie des Moments, dieser herrlichen Nacht, in der die Kinder des Morgens im Wind der Veränderung träumen."
Ist der Traum geplatzt?
"Es kommt die Zeit", sagt Jahrhunderte vorher Micha von Moreschet, der Prophet. "Die Zeit kommt." "Am Ende der Tage wird es geschehen." Es ist noch nicht da.
Das unbeschränkte Friedensreich mit Wohlergehen für alle, das kann man nicht mit menschlichen Mitteln herbeiführen. Weder mit Waffen noch ohne. Es gibt keine Strategie, die das erreicht. Es gibt keine Lehre, der man dorthin folgen kann. Keinen Plan, den man einfach umsetzen kann. Keinen "Wind der Veränderung2, der es herbläst. Das unbeschränkte Friedensreich bleibt für uns unerreichbar. Es ist sein Reich: Gottes Reich. Nur er kann das schaffen. Der Friede, den Micha beschreibt, geht von ihm aus und davon, dass alle sich auf ihn ausrichten. Es ist vor ihm, dass sie entdecken, dass man hier keine Schwerter und keine Lanzen mehr braucht. Stattdessen Pflugscharen und Winzermesser, für eine Welt, in der alle auskömmlich leben können: Jeder unter seinem Weinstock und seinem Feigenbaum.
Ein Traum. Ein Traum?
"Es kommt die Zeit", sagt Micha von Moreschet. "Sie kommt."
Das Friedensreich Gottes ist nämlich kein Traum. Es ist nicht die Vorstellung einer herrlichen Nacht, in der man sich an dieser wunderbaren Zukunft freut und dann morgens zitternd im eiskalten Wind der Realität aufwacht. Das Friedensreich Gottes ist eine Hoffnung. Es kommt nämlich. Es kommt bestimmt. Es kommt, weil Gott es so will. Das ist gewiss.
Nein, es ist noch nicht da. Aber an der Gewissheit seines Kommens kann man sich festhalten. Man kann darauf vertrauen, auch wenn die Realität oft bitter anders ist. Christ:innen sind Menschen, die das tun. Wir leben aus der Hoffnung auf das kommende Gottesreich. "Wir aber leben schon heute im Namen des HERRN, unseres Gottes, für immer und alle Zeit."
Und das ist keine Ewigkeitsvertröstung. Kein Strohhalm, an den wir uns klammern, um in den Wellen des Jetzt nicht unterzugehen. Es ist kein Luftschloss, das wir uns bauen, weil wir die Welt, wie sie ist, nicht ertragen können. Unsere Hoffnung ist eine Gewissheit!
Woher wir das so genau wissen? Nun, ganz einfach: Weil die Zukunft bereits begonnen hat. Weil das Reich Gottes bereits angebrochen ist.
"Es kommt die Zeit", sagt Micha von Moreschet. "Sie kommt." "Jetzt ist sie da.", sagt ein paar Jahrhunderte später Jesus von Nazaret. "Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!" (Markus 1,15 [BB]) Und dann lädt er ein, ein Teil dieses Reiches Gottes zu werden. Teil eines Reiches, das noch ganz anders ist, als wir uns das normalerweise vorstellen. Es konkurriert noch mit dem System dieser Welt. Noch herrscht kein universeller Gottesfriede. Aber Gottes Reich ist hereingebrochen in unsere Wirklichkeit und nichts kann es aufhalten. "Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Zeichen;", sagt Jesus. "[M]an wird auch nicht sagen: Siehe, hier!, oder: Da! Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch." (Lukas 17,20-24 [BB])
"Wir aber leben schon heute im Namen des HERRN, unseres Gottes", sagt Micha. Wir sind heute schon Teil dessen, was da kommt. Die Taufe, die du heute empfangen hast, Jonathan; die wir alle empfangen haben -- sie ist Gottes Versprechen: Du gehörst dazu. Du bist ein Teil davon. Da kommt deine Gewissheit her.
"Es kommt die Zeit", sagt Micha von Moreschet. "Sie kommt." Es kommt die Zeit, in der die Fülle dessen da sein wird, was nur Gott machen kann. Friede, Gerechtigkeit, Wohlergehen für alle. Kein Traum, sondern eine gewisse Hoffnung.
Nur Gott kann das vollenden. Aber wir, "wir leben schon heute im Namen des Herrn", erinnert uns Micha. "Das Reich Gottes ist mitten unter uns", erinnert uns Jesus und ruft uns auf, dann auch so zu leben. Das beschränkt sich nicht auf das Hoffen und Daran-Festhalten tief in mir drin. Als Teil des Reiches Gottes leben, das heißt, mich im Alltag meines Lebens so zu verhalten, als sei ich ein Teil des Kommenden. Das geschieht da, wo wir uns die Hände reichen und uns versöhnen. Am Esstisch, auf der Straße und bei Begegnungen am Gartenzaun. Selbst vor dem Supermarkt, wo mir gerade einer den Parkplatz weggeschnappt hat. Das geschieht da, wo wir teilen, was wir haben, als sei genug für alle da. Wo wir statt uns abzugrenzen Tische aufstellen und miteinander essen. Wo wir statt Schuldige zu suchen neue Freunde finden. Wo wir aufeinander zugehen, auch über Grenzen hinweg. Wo wir lernen, die Sprache des anderen zu sprechen und die Dinge auch mal mit den Augen des anderen zu sehen. Wo wir verantwortlich miteinander und mit der Welt, in der wir leben, umgehen. Wo wir das auch in Wahlentscheidungen fassen und in Kirchengemeinderatsbeschlüsse und in neue Arten, mit unseren Nachbarn zu reden. Wo wir Aufrüstung, im Kleinen und im Großen, nicht für alternativlos halten. Wo wir, die wir heute schon im Namen des Herrn leben, seine Stimme gerade da hören, wo wir anders denkenden, anders glaubenden und anders lebenden Menschen begegnen. Wo die Welt ein Stückchen mehr so wird, wie wir sie Jonathan wünschen. Und uns.
Da weht uns dann auf einmal ein sanftes Lüftchen um die Nase. Es ist kein großer Sturmwind, aber es riecht. Nach Verheißung. Nach Hoffnung. Nach Freiheit. Nach Gottes "Wind of Change."
Und die Zeit kommt...
Amen.

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