Was die Zahlen sagen
Ein Standpunkt von Norbert Häring.
Überall hört man von fehlenden Arbeitskräften. Es sei furchtbar schwer, neue Mitarbeiter zu finden. In Anbetracht der coronageschädigten Wirtschaft fragt man sich, wo die Arbeitnehmer und potentiellen Arbeitnehmer sind, die in so vielen Branchen fehlen. Ich habe mir deshalb die Beschäftigungsentwicklung nach Branchen angeschaut und einen Sektor gefunden, der kräftig Personal aufgestockt hat.
Ein leergefegter Arbeitsmarkt ist normal, wenn die Wirtschaft längere Zeit boomt. Aber wenn die Wirtschaft gerade aus einem pandemiebedingten Abschwung kommt und der Ukraine-Krieg eine neue Rezessionsgefahr schafft, ist solch ein Arbeitskräftemangel ungewöhnlich.
Die deutsche Wirtschaftsleistung lag im ersten Quartal 2022 preisbereinigt gerade einmal ein knappes Prozent höher als im ersten Quartal 2020, vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Ein halbes Prozent pro Jahr ist wenig. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat im gleichen Zeitraum doppelt so stark zugenommen, um knapp 700.000 oder 2,1 Prozent. Von März 2020 bis April 2021 betrug die Zunahme sogar 713.000 Beschäftigte.
Die Beschäftigung hat sich also in zwei Pandemiejahren erstaunlich gut entwickelt und trotz der mauen Wirtschaftslage und schlechten Konjunkturaussichten fehlen den Unternehmen in vielen Branchen Arbeitskräfte. Was ist da los? Etwas ist anders als früher.
Sind es vielleicht vor allem Minijobs, die zugenommen haben? Im Gegenteil: Die Anzahl der Beschäftigten, die ausschließlich in einem (oder mehreren) Minijobs beschäftigt sind, ist um gut 300.000 gesunken. Die Anzahl der nicht geringfügig entlohnten Stellen ist also nicht nur um 700.000, sondern um annähernd eine Million gestiegen.
Zugenommen, und zwar um knapp 280.000 hat die Anzahl derer, die neben einem regulären Job noch eine geringfügige Beschäftigung ausüben. Sie sind bereits über ihren Hauptjob bei den versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen erfasst. Dass die Minijobs als Zusatzjob zunehmen und die Minijobs als einzige Einkommensquelle abnehmen, ist ein Zeichen für große Arbeitskräftenachfrage.
Insgesamt ist allerdings die Zunahme des Arbeitsvolumens hinter der Zunahme der Beschäftigung zurückgeblieben. Die durchschnittliche Arbeitszeit hat sich verkürzt, was nicht an tariflichen Arbeitszeitverkürzungen lag. Laut Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) hat die Arbeitsstundenzahl das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht.
Alterung und weniger Zuwanderung?
Die Erwerbstätigenquote, also der Anteil der Erwerbstätigen an den Einwohnern im erwerbsfähigen Alter ist im Verlauf von 2021 gestiegen, die Arbeitslosigkeit gesunken. Die Menschen haben sich also nicht massenhaft vom Arbeitsmarkt zurückgezogen.
Sind vielleicht viele der während der Pandemie freigesetzten ausländischen Arbeitskräfte abgewandert und kommen nicht zurück? Hat die Pandemie den Zustrom ausländischer Arbeitskräfte unterbrochen oder gedämpft?
Letzteres trifft zu, Ersteres nicht.
Obwohl zum 1. März 2020 mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz liberalere Regelungen für die Arbeitsmigration beschlossen wurden, ging die Nettozuwanderung aus dem Nicht-EU-Ausland zu Beschäftigungszwecken deutlich zurück. Auch die Nettozuwanderung insgesamt gab nach.
Schaut man allerdings auf die Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung von Ausländern, so zeigt sich ein anderes Bild. Von März 2020 bis September 2021 nahm diese nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit um um fast 400.000 auf 4,7 Millionen zu. Die Zunahme war damit rund 30 Prozent stärker als in den eineinhalb Jahren zuvor. Die Beschäftigtenzahl der Deutschen nahm im gleichen Zeitraum nur um 280.000 zu, sodass der Ausländeranteil an der Gesamtbeschäftigung von 12,8 auf 13,7 Prozent stieg. Das dürfte damit zusammenhängen,