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Zinskritik ist kein Denkfehler | Von Norbert Häring


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Ein Standpunkt von Norbert Häring.
Weil mit steigenden Zinsen die grundsätzliche Zinskritik wieder Auftrieb bekommt, hat der Chefredakteur der NachDenkSeiten, Jens Berger, seine schon 2011 erstmals erschienene Kritik an der Zinskritik nochmals publiziert. Aus meiner Sicht ist seine Gegenkritik zu sehr im kapitalistischen System verhaftet und berücksichtigt zudem systemische Effekte nicht ausreichend. <1> 
Jens Berger nimmt in „Zinskritik – Rückkehr eines alten Denkfehlers <2>“ für sich in Anspruch, mit dem Artikel „Kritik an der Zinskritik <3>“ von August 2011 die „Argumente“ der Zinskritiker im Kern widerlegt zu haben, wobei er „Argumente“ sogar in Anführungszeichen setzt, so als hätten die Zinskritiker gar keine richtigen Argumente. Ich finde, sie haben durchaus einen Punkt, auch wenn diejenigen, die ihre Kritik im Rahmen des kapitalistischen Systems formulieren, schnell an Grenzen stoßen. Deshalb hat Jens Berger auch recht mit der Feststellung, dass es ein Trugschluss wäre zu meinen, man könne durch ein Zinsverbot – wie auch immer man das erreichen möchte – die ökologischen und sozialen Mängel des derzeitigen Systems beheben.
Im Folgenden wird zur Vereinfachung von einer Situation ohne Inflation ausgegangen oder – gleichwertig – von einem um die Inflationsrate reduzierten „Realzins“. Bei einem Zins in Höhe der Inflationsrate bekommt man als Kreditgeber, in Kaufkraft gerechnet, so viel zurück, wie man gegeben hat.
Zins für Unternehmenskredite
Die sehr systemimmanente Sichtweise Bergers wird schon deutlich, wo er zu Anfang erklärt, was Zins aus Sicht des Kreditnehmers und Kreditgebers ist. Er schreibt:

„Unternehmen nutzen Kredite meist dazu, Investitionen vorzunehmen, mit deren Hilfe sie bessere wirtschaftliche Ergebnisse erzielen. Der Zins ist aus Sicht dieser Kreditnehmer eine Prämie dafür, mit Hilfe von Fremdkapital Investitionen vorzunehmen, um die eigene Ertragssituation zu steigern.“
Das ist richtig. Wichtig zu erwähnen wäre aber auch, dass der Zins ein Mittel ist, um im Sinne des kapitalistischen Systems zu steuern, wer bevorzugt auf gesamtwirtschaftliche Ressourcen zugreifen darf, um „Investitionen vorzunehmen und die eigene Ertragssituation zu steigern“. Es sind diejenigen, die die höchste Zahlungsfähigkeit und das größte verwertbare Vermögen (als Sicherheit) haben.
Es ist mitnichten garantiert, ja es ist nicht einmal wahrscheinlich, dass diejenigen, die (dank großer Marktmacht) den höchsten Gewinn erwarten dürfen und (dank verwertbarem Vermögen) die besten Kreditsicherheiten bieten können, die aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ertragreichsten Investitionen tätigen. Das kreditzinsgesteuerte System sorgt aber dafür, dass sie Kredit zu günstigen Konditionen bekommen und andere, kleinere, weniger reiche und marktmächtige, weniger etablierte Unternehmen entweder gar nicht oder nur zu schlechteren Konditionen bedient werden.
Es gibt andere Möglichkeiten der Zuteilung. Stellen wir uns zum Beispiel eine Konsumgenossenschaft vor, die einen Betrieb gründet, um die Produkte herzustellen, die die Mitglieder der Konsumgenossenschaft haben wollen. Die Konsumenten strecken dem Produzenten die nötigen Betriebsmittel vor, damit er für sie gemäß Vereinbarung Waren produziert.
Oder stellen wir uns ein vergesellschaftetes Kreditsystem vor, in dem Kredite nach gesellschaftlichen Kriterien vergeben werden. Der Zins muss dann vielleicht dafür sorgen, dass die Kreditgeber keine Verluste machen, aber er wäre idealerweise nicht das Hauptzuteilungsinstrument.
Das soll vor allem deutlich machen, dass es ganz andere Sichtweisen gibt, wenn man die Prämissen des kapitalistischen Systems verlä...
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