Tierärztliche Fakultät - Digitale Hochschulschriften der LMU - Teil 06/07

Zur Stressbelastung des Rehwilds (Capreolus capreolus) beim Fang mit der Kastenfalle


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Seit Jahrzehnten werden in Europa Kastenfallen eingesetzt, um die Spezies Reh zu erforschen. Die Rolle des Wildtiers in seinem natürlichen Lebensraum, Räuber–Beute–Beziehungen, die Bedeutung des Rehs beim Verbiss von Jungpflanzen und Gefahren für den Straßenverkehr sind einige der Untersuchungsschwerpunkte. In den letzten Jahren hat es sich bewährt, Telemetriehalsbänder beim Reh einzusetzen, um somit das räumliche Verhalten analysieren zu können. Zu diesen Zwecken ist Fang und direkte Manipulation der Tiere erforderlich.
Da diese Maßnahmen für das „scheue Wildtier“ immer eine unnatürliche Situation darstellen, wurden sie folglich von den zuständigen Behörden als möglicherweise „stark belastend“ und nach §8 Absatz 1 im Tierschutzgesetz als genehmigungspflichtig eingestuft. Untersuchungen zur Stressbelastung beim Fang mit der Kastenfalle fehlten bislang. Um weitergehende Erkenntnisse zu erlangen, wurde die Stressreaktion der Rehe erforscht.
Für die vorliegende Untersuchung wurden zwischen Januar und März 2012 im „Nationalpark Bayerischer Wald“ 18 Rehe an Futterstellen angelockt und mit Kastenfallen gefangen. Das Verhalten während der Gefangenschaft wurde mit einer Infrarotkamera aufgezeichnet und mittels „time-sampling“ Methode ausgewertet. Nach Sonnenaufgang wurden die Tiere aus der Falle geholt und mittels einer Ohrmarke gekennzeichnet. Blutproben, Kotproben, Körpertemperatur, Herzfrequenz und Atemfrequenz sollten Aufschluss über eine mögliche Stressreaktion der Tiere liefern. Die Glucocorticoidmetabolitkonzentrationen in Kotproben, die aus der Falle gewonnen wurden, wurden mit rektal entnommenen Proben verglichen. Kurz vor Freilassung wurden erwachsene Tiere mit einem GPS-Halsband „besendert“. Dies lieferte Hinweise, wie sich das Rehwild nach Freilassung im räumlichen Bezug zur Falle verhielt und ob ein „Meiden“ der Falle zu beobachten ist. Zudem wurden Aktivitätsdaten von im Winter 2009/2010 freigelassenen Rehen auf Unterschiede im Verhalten nach dem Fang analysiert.
Die gewonnenen Daten wurden vom statistischen Beratungslabor der LMU München ausgewertet. Diverse Tests lieferten statistische Ergebnisse, die Rückschlüsse auf die Höhe der ausgelösten Stressreaktion beim Reh zulassen.
Die Tiere der Versuchsreihe zeigen bei allen Untersuchungsmethoden große individuelle Unterschiede. Die Videoanalyse mittels „time-sampling“ belegt, dass wenige Rehe erhebliche Anzeichen von Stress während der Gefangenschaft zeigen, der überwiegende Anteil der Tiere jedoch sich nach kurzer Zeit beruhigt und keine Anzeichen eines erhöhten Stresslevels aufweist.
Herzfrequenz, Atemfrequenz, Körpertemperatur und Blutwerte weisen ebenfalls erhebliche individuelle Unterschiede auf, die nur in Einzelfällen auf hohen Stress für das Tier hindeuten.
Generell ist der Anstieg der Cortisolmetaboliten im Kot nur gering. Wenige Tiere zeigen einen erhöhten Anstieg. Dieser liegt jedoch deutlich unter den in der Literatur beschriebenen Werten, die nach stressauslösenden Ereignissen beim Reh gemessen wurden.
Mit Hilfe der Analyse der Aktivitätsdaten lässt sich belegen, wie sich das Verhalten der Tiere nach wenigen Stunden nach der Freilassung normalisiert und statistisch ab dem zweiten Tag nach dem Fang im Vergleich zu Tag 3-20 nach dem Fang nicht unterscheidet. Wie die Darstellung der Streifgebiete offenbart, suchen fünf Rehe nach dem Fang Rückzugsgebiete auf, die sie mehrere Tage nicht verlassen. Anhand der errechneten Distanzen konnte belegt werden, dass die Tiere die Falle an Tag 1 bis 5 in Vergleich zu Tag 6 bis 20 meiden (p=0,03782).
Die Untersuchung der Stressbelastung zeigt, dass der Fang der Rehe zu wissenschaftlichen Zwecken, trotz großer individueller Unterschiede, nur mit vergleichsweise geringem Stress für das Tier verbunden ist, wenn ein professionelles, erfahrenes Team die Fangaktionen durchführt. In der Zeit der Gefangenschaft beruhigt sich das Reh nach kurzer Zeit bis zur Zeit der Morgendämmerung. Ausbruchsversuche sind selten und find
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