Seit vier Jahren gibt es nur ein wirklich beherrschendes Thema in den Medien. Es ist nicht Corona, das gibt es erst seit acht Monaten, es ist auch nicht der Klimawandel, der ist immer nur im Sommer so richtig erlebbar und dann leichter medial zu vermitteln. Auch die sich abschwächende Wirtschaftslage seit 2019 oder die wackeligen Kartenhäuser der Finanzpolitik bleiben zweitrangig. Es kann nur ein Thema geben: Donald J. Trump, der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Die anderen Themen sind lediglich das Spielfeld, auf dem die Welt des Guten gegen den Weltenzerstörer auftritt. Der schafft es aber auch immer gegen die gute Sache zu stehen, bösartig und grobschlächtig.
Mr. Trump möchte in die Verlängerung gehen, weitere vier Jahre Präsidentschaft, was eigentlich den Medienhäusern weitere vier Jahre stabile Auflage bringen würde. Wenn man ihn nicht so hassen würde, man müsste ihn für die Rettung des eigenen Arbeitsplatzes lieben. Er hätte es auch fast geschafft, die Wirtschaftslage sah großartig aus, bis zum März 2020. Seitdem hat Corona Trumps Leistungsbilanz verhagelt und Amerika sieht gar nicht mehr so ‚great again' aus. So jedenfalls ist unser Blick von der anderen Seite des großen Ozeans. Der stimmt aber nicht so ganz.
Corona ist beiderseits des Atlantiks nicht zu stoppen, außer wir wählen das komplette Abriegeln der sozialen Kontakte, stärker noch als im Frühjahr, bis zu dem Punkt, an dem alle Träger des Virus gesundet sind. Asiatische Länder und Neuseeland haben es vor gemacht, im Rest der Welt ist aber das Virus schon zu weit vorgedrungen. Ein ‚look down‘ müsste totaler und länger sein, als es unser Gemeinwesen und die uns versorgende Wirtschaft überleben würden. Das heißt, wir müssen mit dem langsam zirkulierenden Virus leben lernen. Doch wenn der ‚look down‘ keine Option mehr ist, wird das schwedische Modell zum Sehnsuchtsort und die hohen Zahlen der USA sind lediglich ein kleiner Vorsprung, den man diesen Winter nachholen wird.
Wie stehen nun die USA wirklich da? Mit Deutschland verglichen, nicht so gut. Aber kann man die Beiden so einfach vergleichen? In den USA sind alle 50 Bundesstaaten jeweils für den Seuchenschutz selbst verantwortlich. Der Präsident kann bei der Koordination helfen, oder z.B. das Militär unterstützen lassen und die Grenzen schließen, was die USA auch zeitig gegenüber China gemacht haben, sogar schneller als die meisten anderen. Es ist ein Land mit 328 Millionen Einwohnern, ziemlich genau das vierfache von Deutschland. Und unser Land ist gerade mal so groß wie der Bundesstaat Washington oder Florida. Besserer Sparringspartner für die USA ist die Europäische Union, mit unterschiedlichsten Corona-Strategien in jedem der 27 Mitgliedstaaten, mit der knappen Hälfte der Landfläche, auf der 447 Millionen Menschen leben, also ein Drittel mehr als die Vereinigten Staaten.
In dem Wettbewerb der beiden Regionen um die schlechteste Coronabilanz ist der aktuelle Stand folgender: Reichlich achteinhalb Millionen positiv Getestete in den USA, fünf Millionen in der EU, ins Verhältnis zur Bewohnerzahl gesetzt sind es von 1000 Personen 26 in den USA und 12 in der EU. Wir haben uns also durch exzessives lahmlegen der Wirtschaft gut gehalten, etwa auf der Hälfte der Infektionen in den USA. Aber dafür haben wir noch ein höheres Infektionspotential und das spielen wir nun so richtig aus. Bei der mittlerweile berühmten 7-Tages-Inzidenz liegen die USA (Zahlen vom 27.10.) bei täglich 211 positiv Getesteten pro eine Million Menschen und die EU bei 340. Wir haben in den letzten drei Wochen bei den Neuansteckungen massiv beschleunigt, vor zwei Wochen die USA überholt und es gibt grad kein Stoppen nach oben. Mit der aktuellen Geschwindigkeit überholen wir in ein paar Wochen die USA auch bei den absoluten Zahlen. Wir stehen nun vor der Wahl, den gleichen Pandemieverlauf wie die USA zu haben oder die Wirtschaft komplett zu erledigen. Was sehen Sie als gefährlicher an?
Der Herbst ist da und es ist völlig normal, dass sich Atemwegserkrankungen in geschlossenen Räumen zügig verbreiten. Wer das nicht will, muss einen fünfmonatigen ‚lock down‘ verhängen und Wirtschaft und Gesellschaft vor die Hunde gehen lassen. Ostern sehen wir uns dann zur Auferstehung wieder. Ansonsten gehen wir jetzt einfach im Gleichschritt mit den USA der langsamen Durchsuchung entgegen, mit einigen kritischen Wochen in den Krankenhäusern und eventuell dann nächsten Sommer einem wirkungsvollen Impfstoff. Allerdings kann mit ein paar regelmäßigen Mutationen Corona auch ein Dauergast werden, wie die Grippe.
Vielleicht könnte man nun endlich aufhören von Europa aus mit dem Finger auf die ‚schlimmen Zustände‘ in den Vereinigten Staaten zu zeigen. Wenn wir Trump wegen Corona anklagen, müssten wir jetzt folgerichtig Macron öffentlich teeren und federn. Für die Wahl in den USA sollte Corona ein geringeres Thema sein, als der notwendige Wiederaufschwung der Wirtschaft. Und Europa muss sich in einem moralischen Dilemma entscheiden, zwischen dem aktuellen Pandemiegeschehen und unserer zukünftigen Lebensgrundlage.
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