Share Trafostation
Share to email
Share to Facebook
Share to X
By Christoph Pause
The podcast currently has 22 episodes available.
Gewusst wie statt gleich gewusst, das ist Meisterschaft. Warum die heutige Transformation genau das braucht, erklären Wolf Lotter und Christoph Pause in der Trafostation.
Wenn der Motor aussetzt und das Display eine Fehlermeldung ausgibt, ist es wohl wieder Zeit für die Profis. Doch wer ist das eigentlich? Während man in der Vertragswerkstatt einen Mangel nach dem anderen findet, fängt für einen engagierten KFZ-Meister mit dem Fehlercode die Sache erst an.
Ein Meister hat nicht nur die Basisausbildung, das reproduzierbare Wissen, das auch in den Codes von Diagnosegeräten gespeichert ist, sondern besitzt die eigentliche Wunderwaffe der Wissensgesellschaft: persönliches, individuelles, mit viel Arbeit, Versuch und Irrtum erworbenes Know how, sagt Wolf Lotter.
Know how heißt „gewusst wie“. Nun ist das bei kniffligen Autoreparaturen genauso wie bei Denk- und Innovationsprozessen am Schreibtisch kein „gleich gewusst“, meint Lotter, sondern die lange, persönlich erworbene Fähigkeit, nach einer Antwort zu suchen und die richtigen Fragen zu stellen. Meister sagen, da geht noch was, weil sie wissen, was gehen könnte, ohne die Antwort schon im Sack zu haben, sagt Lotter: „Meister sind keine Musterschüler. Sein Handwerk zu verstehen, das ist viel mehr, als zu wissen, wie man ein Diagnosegerät einschaltet oder einen Schraubendreher hält.“
Es geht um mehr als das, was im Handbuch steht: Meisterschaft heißt neugierig sein und Fragen an der Lösung haben. Allerdings haben wir laut Lotter zu lange behauptet, es genüge völlig, wenn wir standardisierte Ausbildungen an sogenannten Eliteuniversitäten hinter uns brächten, um schon zu wissen, wie es geht.
„Wahre Meister wissen nicht, wie es geht. Sie verfügen über die menschlichen, fachlichen und mentalen Bordmittel, es herauszufinden“, sagt Lotter und betont: Es sei daher naheliegend, dass die Transformation von heute gerade solche Menschen braucht.
Wer in der Organisation, in der Führung, im Leben etwas zum Besseren verändern wolle, der müsse nicht nur den Aberglauben der Routinen als Problemlöser hinter sich lassen: „Es braucht auch Charakter, der erkennt, dass man, so gut man in seinem Fach auch ist, immer wieder neu anfangen und fragen muss.“
Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Dieser alte Spruch erinnert laut Lotter daran, dass die Meisterschaft, das echte Können immer wieder neu justiert werden muss. „Der natürliche Feind des Fachidioten, das sind all jene, die sich nicht mit Antworten abfinden, die es schon gibt, sondern die immer neue Fragen stellen“, erklärt Lotter. Und das sei schwieriger als recht zu haben, aber nun mal das wahre Meisterstück der Transformation.
Meisterschaft ist wie Wissensarbeit ein ruhiges Gewerbe. Meisterschaft übertreibt nicht. Und das treibt sie an, meint Lotter: „Es braucht nicht den dauernden Applaus, sondern die innere Freude am Werk.“
Hat die Verschulung des Bildungssystems Fließbandarbeiter:innen aus uns gemacht? Über die Chancen durch humanistische Bildung sprechen Wolf Lotter und Christoph Pause in der „Trafostation“.
Kommt unsere Bildung noch klar mit der Wirklichkeit? Wie unsere Vorstellungen von Arbeit, Organisation, Gesellschaft und Menschen hänge auch das Bildungssystem in der Vergangenheit fest, meint Wolf Lotter und wirft einen Blick zurück ins Industriealter, als noch zwischen zwei Sorten der Bildung unterschieden wurde: Einer Bildung für die Eliten und einer für die Massen.
Die eine und die andere Bildung
Neben der fachlichen Ausbildung ist bei den Eliten alles auf Allgemeinbildung ausgerichtet, auf humanistische Bildung, das Lernen lernen. „Es geht um das Erwecken von Neugierde und eine Grundeinstellung, sich leicht auf Veränderung, Überraschung und Innovation einstellen zu können“, betont der Publizist. Früher habe diese Bildung den Leuten, die sie bekamen, langfristig einen Platz am oberen Ende der Gesellschaft gesichert.
Gesucht: Kontextkompetenz
Es sind auch ihre Nachfahren, die fleißig studiert haben und scheinbar über den Problemen stehen. Wer Soziologie oder Kunstgeschichte studiert hat, aber nichts über wirtschaftliche, technische, politische und organisatorische Zusammenhänge ohne ideologische Scheuklappen weiß, wer Zusammenhänge nicht verstehen und erklären kann, kurz, wer keine Kontextkompetenz hat, ist und bleibt laut Lotter ein Fachidiot.
„Wer Zusammenhänge nicht verstehen und erklären kann, wer keine Kontextkompetenz hat, ist und bleibt ein Fachidiot.“
Wenn Programmierer:innen nur coden können oder Betriebswirt:innen nur etwas über BWL wissen, zeige ihm das deutlich: „Die Verschulung des Bildungssystems hat aus allen Fließbandarbeiter:innen gemacht, die in ihren Silos dahinwursteln, aber nicht über den Tellerrand schauen können.“ Die Fachidiot:innen seien heute Menschen mit Diplom, aber ohne weitere Interessen. Es brauche nicht einmal künstliche Intelligenz, um sie zu ersetzen: „Jede Form von Fortschritt geht denen an den Kragen, die nur die eigenen vier Wände ihres bescheidenen Wissens kennen.“
Offene Bildung, die den Horizont erweitert
Humanistische Bildung heißt nicht nur das Lernen zu lernen, sondern auch die Welt verstehen zu wollen und gelegentlich auch zu können. „Offene Bildung, die unseren Horizont erweitert, statt Auswendiglernen und stures Fachwissen, das uns einmauert“, fordert Lotter. Das sei allerdings schon weit fortgeschritten, gut zu beobachten bei allen Berufsgruppen, sogar bei Unternehmer:innen. Hauptsache, man gilt etwas in der Branche. Hauptsache, man wird von Kolleg:innen bestätigt.
„Die neue Allgemeinbildung muss Zusammenhänge vermitteln, nicht bloß enges Fachwissen.“
Selbstbestätigung ist Selbstbetrug. Wissen ist aber kein Selbstzweck. Oder wie es der Schweizer Ökonom Gilbert Probst gesagt hat: „Wissen ist die einzige Ressource, die sich vermehrt, wenn man sie teilt.“ Die neue Allgemeinbildung muss Zusammenhänge vermitteln, nicht bloß enges Fachwissen, meint Lotter. Es seien nämlich diese neuen Zusammenhänge, die Kontextkompetenz des Handelns und Denkens, die das Fachwissen erst nützlich machen.
Der Mensch ist kein ängstlicher Bauer mehr, der sich ums Überleben sorgt, sondern ein Unternehmer. Darüber sprechen Wolf Lotter und Christoph Pause in der „Trafostation.“
Wer auf jedes Problem das Geld anderer kippen will, ist nicht weniger schlimm als der, der anderen eine Fastenkur verordnet, die er selbst nicht einhält. So sieht es Wolf Lotter und meint, dass vielleicht schon das Wort im Kern daneben sei: Sparen. Das altgermanische „spar“ bedeutet so viel wie etwas unversehrt lassen, schonen und aufschieben. Im Mittelalter hatte genau das einen guten Grund.
In den warmen Jahreszeiten wurden Ernten eingefahren und Vorräte angelegt, die für den langen Winter bis zur nächsten Ernte reichen mussten.
„In der alten Hauswirtschaft war Sparen eine unverzichtbare Angelegenheit, eine ökonomische Notwendigkeit, eine Frage der Existenzgrundlage“, erklärt der Autor.
Wer früher nicht sparte, war bald tot und vergessen. Und Gesellschaften haben ein kollektives Gedächtnis, eine vage Erinnerung an das, was ihre Vorfahren bewegte. Unterbewusst beeinflusst dieses Gedächtnis unser kulturelles Denken bis heute.
Der Mensch der Aufklärung ist laut Lotter aber kein ängstlicher Bauer mehr, der sich um das tägliche Überleben sorgt. Der Mensch von heute ist Unternehmer, der gezielt das einsetzt, was er hat, damit es sich vermehrt. Unternehmen sparen nicht, Unternehmen investieren. Dabei geht es laut Lotter nicht nur um Geld und materielle Güter:
„Der wirtschaftliche Erfolg in den vergangenen 250 Jahren ist unbestreitbar der Fähigkeit zum Investieren in Ideen und Innovationen geschuldet.“
Heute traut man sich etwas und geht mit geradezu verschwenderischem Talent ans Werk, stellt der Publizist fest. Übersetzt heiße das, in Unbekanntes zu investieren, Experimente zu wagen, Risiken auf sich zu nehmen. Und dabei entdecke man die Ressource Vielfalt. Sparen werde damit immer mehr zur Investition oder wenigstens zu deren Vorstufe. Also zu dem, was der Ökonom Thomas Straubhaar „aufgeschobenen Konsum“ bezeichnet.
„Wenn wir uns heute zurückhalten, dann nur mit dem klaren Ziel, die Mittel dafür zu konzentrieren, dass wir es richtig krachen lassen können“, betont Lotter. Liegt der Fokus auf Zukunftsfähigkeit, geht es um Bildung, um Technik und um Innovation. Das richtige Wort sei dann nicht mehr sparen oder verschwenden, sondern investieren oder noch besser: ein Ziel haben. Wer sich ängstlich an das Alte klammert, könne dieses Ziel jedoch nicht sehen.
Es fehlt uns nicht an Geld. Vielmehr fehle es uns an Perspektiven, an Ideen, Willen und Mut, sagt Lotter. Etwas vorhaben, sich entscheiden und es durchziehen, das müsse man wollen. Schon Thomas Straubhaar habe vor Jahren festgestellt, was unser Problem ist. Demnach seien wir Sicherheitsgenerationen, die sich zu wenig zutrauen, vor allem zu wenig Kreativität. Das sei bislang auch gut gegangen, alle Entscheidungen waren irgendwie okay. Aber das hat sich nun geändert.
„Wir brauchen keine Sparfüchse, aber auch keine Populisten, die Geld auf Probleme werfen, die sie nicht annähernd verstanden haben.“
Was man heutzutage brauche, seien Leute mit Sachverstand, Menschen mit Zielen und Ideen. Alles andere könnten wir uns ab sofort sparen.
Industrienation Deutschland Adé? Warum sich das Land vom Gestern verabschieden und das Heute begrüßen sollte, darüber sprechen Wolf Lotter und Christoph Pause in der „Trafostation“.
Rauchende Schornsteine, rollende Fließbänder, echte Malocher: Deutschland ist schon lange keine Industrienation mehr, stellt Lotter fest. Heute arbeiten nur noch etwa 20 Prozent der deutschen Arbeitnehmer:innen in der Industrie, der Rest arbeitet in Dienstleistungen, in der Wissensarbeit.
„Die Wissensökonomie, auf die man Politiker, Bürger und Medienleute immer extra hinweisen muss, ist keine Schimäre, sondern längst Realität.“ (Wolf Lotter)
Aber die Wissensproduktion ist individualisiert und kompliziert. Die Deindustrialisierung dauert schon lange an, ist gut für Mensch, Wohlstand und Umwelt und richtet keinen Schaden an, betont Lotter. Was dem Lande schade, sei das sture Festhalten am Konzept der Industriegesellschaft: Lange Arbeitswege, Staus, energieintensive Produktion.
„Zeitverschwendung und Routinearbeit, wo eigentlich Maschinen die Arbeit machen sollten. Und unflexible Strukturen, die unser Leben bestimmen.“ (Wolf Lotter)
Die Wirtschaft braucht keine Industriestrategie, sondern eine Wissensstrategie. In so einer Transformationsstrategie gehe es um ein bisschen mehr, als dass der Staat Geld für alte Organisationsformen locker macht.
Die wichtigste Ressource im rohstoffarmen Deutschland sind letztlich die Köpfe: Ihre Ideen und ihre Fähigkeit, Neues zu schaffen, sich zu verändern, sich in einer Welt anzupassen, die mehr als kompliziert ist. Die Politik werde das nicht hinkriegen, so viel steht für Lotter fest. Auch weil sie so sehr am Gestern festzuhält. Das Heute macht dem Publizisten jedoch Mut:
„Wir leben jetzt und längst und gut von unserem Wissen. Es wäre noch besser, wenn wir uns das bewusst machen.“ (Wolf Lotter)
Das Verhältnis Mensch Maschine gehört klargestellt. Warum und wie aus Verbrauchern endlich auch Gestalter werden, darüber sprechen Wolf Lotter und Christoph Pause in der „Trafostation“.
Technik und Wissenschaft beherrschen? Diesen Versuch brauche man gar nicht erst unternehmen. Am Ende stehe immer die Katastrophe. Falsch und fatal sei diese Botschaft des literarischen Klassikers „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ im 20. Jahrhundert, meint Wolf Lotter und bezieht sich auf Günther Anders, der von der prometheischen Scham sprach:
Die Maschinen kränken den Menschen, denn sie sind viel schneller als selbst der Beste von ihnen.
Es ist merkwürdig, findet Lotter: „Die Maschine ist ein Teil von uns, unser Werkzeug. Nur haben das die meisten nicht verstanden.“ Und was sollte ein Computer sonst sein als eine universale Maschine, die sich den Menschen nützlich macht, vorausgesetzt, wir verstehen sie zu nutzen?
Den Menschen gebe die Maschine vor allem Zeit, sagt der Publizist. Zeit für Unterscheidbarkeit, Persönlichkeit, Innovation, Entwicklung, Verbessern.
„Es ist ein Zeichen intellektueller Faulheit, dass wir die alte Dualität der magischen Maschine und des ohnmächtigen Menschen nicht ablegen“, stellt der Publizist fest. Klug sei demnach, was sich nutzen lässt.
Die Naturwissenschaftler müssen mehr über Intuition lernen und die Schöngeistigen etwas mehr über naturwissenschaftliche Realität. „Am Ende müssen zwar nicht alle alles können, aber wir sollten uns schon im Griff haben. Und das, das wir schaffen, erst recht“, fasst es der Publizist zusammen.
Eigentlich gehe es um Haltung, betont Lotter: „Ich bin hier der Chef, die Chefin und du bist mein Werkzeug.“ Wenn das im Verhältnis Mensch Maschine klar sei, könnten wir endlich aufhören zu fantasieren. Und damit anfangen, richtig zu digitalisieren.
Zum Wohle aller muss sich Management verändern. Warum das mehr Demokratie erfordert, diskutieren Wolf Lotter und Christoph Pause in der „Trafostation“.
„Unternehmen, wie wir sie kennen, sind ausgesprochen undemokratisch. Wir gestehen dort unseren Vorgesetzten, also denen, die man uns vor die Nase gesetzt hat, zu, dass sie uns sagen dürfen, was wir zu tun haben.“ Wer sich im Rahmen des Unternehmens entwickeln will, wer Karriere machen will, der müsse sich diesem Urteil vollständig ausliefern und beugen. Absolutismus in Reinkultur.
Das hat drastische Folgen, nicht nur für Mitarbeitende, sondern auch für Unternehmen. „Der Manager, der glaubt, alles zu kennen und zu können, was die Leute, die mit ihm arbeiten, kennen und können, ist eine enorme Gefahr für den Erfolg jeder Organisation.“
Damit sich Wissensarbeitende optimal entfalten können, muss Management zu Leadership werden. Das erfordert jedoch demokratische Grundstrukturen, in denen Kompetenz und Können materiell, kulturell und sozial akzeptiert werden. Demokratie heißt nicht: Ich kann alles, ich weiß alles, ich muss alles wissen. „Vielfalt in Einheit statt Herrschaft von irgendjemanden über irgendjemanden. Keine Gleichheit, aber Fairness.“
In der Praxis bedeutet das: „Wenn mehr selbstbestimmte und selbstständige Arbeit gemacht wird, dann heißt das auch, dass mehr Selbstverantwortung gelebt wird. Wenn einem etwas gehört, also das Unternehmen, ist davon auszugehen, dass das Interesse an dem, was einem gehört, größer ist, als wenn man nur Befehle entgegennimmt.“
Lasst das mal die Politiker machen, lasst das mal die Manager machen. Das sei von gestern. „Es geht nicht nur um eine einseitige Abgabe von Macht von oben nach unten, sondern um mehr Verantwortung und Courage. Demokratie ist, wenn Vielfalt funktioniert.“
Und dazu gehören natürlich Selbstbestimmung und Selbstständigkeit. Im System der Demokratie müsse man auch verhandeln. Permanent. Einmal damit angefangen, hört man nicht mehr auf.
Wo die Vielfalt abgewertet und das Plagiat idealisiert wird, da hat es das Original schwer. Über die Zukunft des Echten sprechen Wolf Lotter und Christoph Pause in der „Trafostation“.
Noch immer setzt das Schulwesen auf reproduzierbares Wissen. Umso wichtiger – meint Wolf Lotter – sei also die Frage, was wir mit diesen Wissenskopien anstellen werden. Doch die Welt der Kopie und der Massenproduktion könnten nur dann funktionieren, wachsen und überleben, wenn diese Strukturen immer wieder automatisiert werden.
Wenn ChatGPT und die künstliche Intelligenz der Rede wert sind, dann in diesem Zusammenhang, meint Lotter, auch weil sie zeigen: „Routinearbeit, also kopiertes Arbeiten, die immer gleiche Nachahmung nach einer Vorlage ist für Menschen obsolet geworden.“
In unserer Welt sei es laut des Publizisten schwierig bis unmöglich, neues Wissen und Originale zu schaffen: „Es braucht eine enorme Anstrengung, um das Echte wieder nach vorn zu bringen sowie geistige Arbeit und ihre Hersteller zu schätzen.“
Wo bleiben wir, wenn wir das Echte nicht schätzen, wenn wir unser Glück als reine Konsumenten von Produkten einer wenig originellen Industrie sehen? Viele durchschauen jedoch den Trick: „Menschen wollen Originale. Sie wollen Unterscheidbarkeit. Die Individuen, die Persönlichkeiten, die guten Unterschiede zwischen uns.“
Wenn wir Glück haben, gewinnen also nicht die Abziehbilder, sondern die Originale.
Und das Original seien wir letztlich selbst.
Lohnt sich Innovation heute noch? Über unser gestörtes Verhältnis zum Original und Nachahmung in Zeiten der Wissensökonomie sprechen Wolf Lotter und Christoph Pause in der „Trafostation“.
Früher wurden Künstler und ihre Verleger beklaut, Bücher im Copyshop reproduziert und Musik auf Kassetten mitgeschnitten. Konnte man damals eine Fälschung ohne Aufwand erkennen – weil die Buchseite einen starken Druckrand hatte oder die Musik beim Abspielen rauschte – ist es heute nicht mehr so einfach. Der Computer, die digitale Universal-Maschine, schafft Kopien, die vom Original nicht mehr unterscheidbar sind.
„Was digital perfektioniert wurde, ist ein Merkmal der Industriegesellschaft und ihres Betriebssystems“, meint Wolf Lotter.
Die Fabrik sei demnach nichts anderes als eine riesige Kopiermaschine, die außer der sogenannten Form viele einzelne Abzüge herstellt. Wir leben in einer Welt der Kopien. Die Ideologie heute wie früher: Gerecht ist, was gleich ist. Und nichts ist gleicher als die Kopie, stellt Lotter fest:
„Masse, Kopie, Nachahmung, das Ende der Persönlichkeit und der Kampf gegen das Original. Sie gehören zusammen.“
Wir haben ein zutiefst gestörtes Verhältnis zum Echten, meint der Publizist und verweist auf die Unternehmenswelt: Warum ist abweichendes Denken so verpönt und warum ist es leichter, dem Chef eine geklaute Idee von jemand anderem zu verkaufen, als eine eigene zu entwickeln?
„Unsere Kultur verachtet das Neue, die Veränderung, damit die Innovation und das Original“, sagt Lotter.
Was nicht passt, wird passend gemacht. Doch wie wird ein System so attraktiv, dass man nach einer Innovation, die nachgeahmt wird, wieder die Kraft, die Mittel und die Anreize hat, das nächste Projekt anzugehen? Ob sich das lohnt, sei laut Lotter eine Kulturfrage: in der Organisation, der Wirtschaft und der Gesellschaft.
„Wir haben Ansprüche an Menschen, dass sie mit dem, was die Realität anbietet, realistisch umgehen. Also nicht mit dem Ellbogen durch die Welt zu gehen, sondern auch etwas in Form von Ideen und Problemlösungen zurückzugeben“, betont Lotter.
Jeder Handwerker mache das so, Intellektuelle aber immer weniger. Wenn Menschen im Zeitalter der Wissensökonomie den Austausch von Wissen so missverstehen, dass sie sich ihren Teil nehmen, aber nichts mehr zurückgeben – dessen ist sich der Buchautor sicher – dann stimme etwas nicht.
Was ist echt? Was ist Fälschung? Was Kopie? Das Thema ist drängend, spätestens mit ChatGPT und generativer KI wird es schwer zu unterscheiden, welches Video echt ist, welches Fake, welches Foto wirklich aufgenommen wurde, welches künstlich generiert.
Dazu kommen nach wie vor Produktpiraterie, Plagiate aller Art. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie nutzen die originäre Arbeit anderer aus. Ohne Original keine Kopie, ohne Original keine Fälschung.
Die späte Konsumgesellschaft konsumiert sich selbst.
Das wusste schon Ferrero, der Konzern schaltete 1979 eine Werbekampagne. „Nur wo Nutella draufsteht, ist auch Nutella drin.“ Das zeigte vor allem eins: „Das Beusstsein der Verbraucher dafür, Originale statt Kopien zu kaufen, war nicht besonders ausgeprägt“, meint Wolf Lotter. Nur einige wenige Statussymbole galten als sakrosankt, „eine gefälschte Levi’s 501 hätte niemand getragen“, so Lotter. Aber Musik, Bücher etc. wurden wie wild und ohne Bedenken kopiert.
„Immerhin galt es noch als unvorstellbar, das geistige Eigentum anderer Menschen einfach zu klauen“, meint Lotter. Anders als heute, „wo geistiger Diebstahl als Inspiration verkauft wird“. Das Problem ist also alt, aber wir müssten genau jetzt intensiv darüber reden, weil mit Digitalisierung und KI ein Punkt erreicht sei, an dem Original und Fälschung kaum zu unterschieden seien.
Kopieren und fälschen sind der Tod jeder Innovation.
„Wenn wir das Original nicht wieder schätzen lernen, begehen wir kulturellen, sozialen und ökonomischen Selbstmord.“ Davon ist Wolf Lotter überzeugt. Denn wir grüben uns das eigene Wasser ab, wenn wir unsere Zeit und unser Geld in Kopien investieren. Kopieren und fälschen sei der Tod jeder Innovation, sagt Lotter. „Die späte Konsumgesellschaft konsumiert sich selbst.“
Leben wir in einer Marktwirtschaft oder in einer Planwirtschaft? Wie gute Ideen in der Regulierung untergehen und warum wir Verantwortung für die nachhaltige Transformation tragen, darüber sprechen Wolf Lotter und Christoph Pause in der dreizehnten Folge des Podcast „Trafostation."
„Man ist als Unternehmer nur mehr erfinderisch und fortschrittlich, wenn es dafür garantiert Geld vom Staat gibt. Und das wirkt sich mittlerweile auch auf kleine und mittlere Unternehmen aus, die ähnliche Forderungen stellen. Ohne staatliche Intervention, so scheint es, gibt es fast nichts mehr“ stellt Lotter fest.
Radikale Beschränkung oder völlige Rahmenlosigkeit: Weder das eine noch das andere tut dem Markt gut, meint Lotter: „Er ist ein Ort, auf den sich alle, wie es in einer Demokratie üblich sein sollte, einigen müssen. Bevor man handeln kann, muss man verhandeln.“ Das ist die Idee der Marktwirtschaft.
Das Einzige, was man angesichts des Klimawandels tun kann, ist laut Lotter ein Aufbruch in eine ökologische Moderne: Wo die Marktwirtschaft ein wichtiger Treiber für den ökologischen Umbau und für die nachhaltige Transformation ist.
Verantwortung übernehmen, sich etwas trauen, auch wenn es dafür kein Geld gibt. Dieses Bewusstsein werde Kindern nicht gelehrt, Lotter beobachtet das Gegenteil: „Wenn du schön brav mitmachst und das tust, was alle tun, dann kriegst du auch einen Teil aus dem Topf.“ Das sei jedoch die völlig falsche Haltung: „Wir brauchen eine Gesellschaft, die etwas will und die nicht auf etwas wartet.“
The podcast currently has 22 episodes available.
0 Listeners