Share Yoga & Vedanta mit Narada
Share to email
Share to Facebook
Share to X
By Narada Marcel Turnau
The podcast currently has 51 episodes available.
Parvatis Tapas im Meenakshi Tempel
Die Geschichte des Hatha Yoga nahm eigentlich erst ab dem 11. Jahrhundert so richtig Fahrt auf, aber die Wurzeln führen teils bis in die vedische Zeit vor über 3000 Jahren zurück. In den letzten Jahren gab es große akademische Bemühungen, die Entwicklung genauer zu verstehen. So gibt es innerhalb der heutigen Indologie ein Netzwerk von “Übenden Gelehrten”, also “Scholar Practicioners”, die mit einem zugleich wissenschaftlichen und spirituellen Blick auf ihr Fachgebiet schauen. Mit neuem Enthusiasmus und kreativen Ideen vertiefen sie das Thema und kommen zu neuen Erkenntnissen. Hier ist vor allem das “SOAS Centre of Yoga Studies” unter der Leitung des Indologen James Mallinson zu nennen. Im Artikel versuche ich in aller Kürze den aktuellen Stand über unser Wissen zur Geschichte des Hatha Yoga bzw. der Wurzeln abzubilden. Wichtig ist hierbei die Differenzierung zwischen “Yoga” im allgemeinen, womit vieles gemeint sein kann, und eben Hatha Yoga.
Spoiler: Es gibt neue Erkenntnisse, nach denen der Buddhismus eine weit größere Rolle in der Geschichte des Hatha Yoga spielt, als man zuvor angenommen hatte!
Die Geschichte des Hatha Yoga liegt insgesamt im Dunkeln, nur wenig klare Informationen zur Rekonstruktion stehen zur Verfügung. Historiker und Indologen versuchen, die wenigen Puzzlestücke zu interpretieren und ein klares Bild zu entwickeln. Als Ursachen für die fehlenden Informationen sind folgende Faktoren gegeben:
“Wenn wir unserem Glauben erlauben, die Geschichte zu diktieren, verraten wir beides.” Dr. Justin Sledge
Ich bemühe mich bei meinen Ausführungen an den belegbaren Fakten zu orientieren.
Die erste schriftliche Erwähnung des Terminus wurde auf das 3. Jahrhundert datiert. Im buddhistischen Text aus der Mahayana-Tradition namens Bodhisattvabhūmi findet sich der Satz “Nicht durch Hatha Yoga”. Damit ist gemeint: Die Eigenschaften eines Bodhisattva (hier Entsagung) sollen natürlich entstehen, “nicht durch Gewalt”. Die Geschichte des Hatha Yoga ist also keine rein hinduistische, sondern auch andere Einflüsse spielen mit rein.
Im hinduistischen Kontext taucht der Begriff erst ab dem 12. Jahrhundert auf, während er in mehreren Vajrayana-Texten vorher Verwendung fand. In diesen Texten geht es speziell um das Zurückhalten des Samens und das forcierte Aufwärtsbewegen des Prana im zentralen Energiekanal.
“In der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends n. Chr. taucht in den Textquellen eine somatische Soteriologie auf, deren Methoden körperbejahend sind; einige ihrer Praktiken werden bald darauf in der materiellen Überlieferung dargestellt. In bestimmten Sanskrit-Texten wurden diese Methoden des Yoga klassifiziert als hatha, was ‘Kraft/Gewalt’ bedeutet; hatha yoga bedeutet “Yoga mit Hilfe von Kraft/Gewalt”.” James Mallinson
Das Sanskrit Wort हठ haṭha „Hatha“ bedeutet „kraftvoll“ oder „Anstrengung“ und bezieht sich auf ein Übungssystem für den Körper, das subtile Energiesystem und den Geist. Man kann das Wort auch auseinandernehmen und dringt damit tiefer in den Kern vor:
Ein wichtiger Schritt im Hatha Yoga ist das Ausgleichen dieser beiden Kräfte, um dadurch die potenzielle Kundalini-Energie zu erwecken. Während im Tantra die Energie eher sanft eingeladen wird, wendet man im klassischen Hatha Yoga einen starken Willen oder Anstrengung an, um die Energieflüsse zu regulieren.
Industal Siegel
Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden im heutigen Pakistan, im Gebiet des Indus bei Harrapa und Mohenjo-Daro, spektakuläre Ausgrabungen gemacht. Es wurde die alte Indus-Hochkultur entdeckt, die heute auf die Zeit 3300-1300 v.Chr. datiert wird. Die Indus-Kultur verfügte über Kenntnisse, die man in anderen Kulturen erst viel später entdeckte, so z.B. geplante Städte, Drainage-Systeme, Backstein-Bauweise, Wasserversorgung und spezielle handwerkliche Techniken. Auch hat man offenbar kein herrschaftliches Gebäude gefunden, sondern Versammlungsstätten im Zentrum der Orte, was auf demokratische Strukturen deutet. Man verschiedene Siegel gefunden, vermutlich mit Darstellungen von Göttern. So wird bei der Abbildung rechts eine Proto-Shiva interpretiert, ein Pashupati oder Rudra. Bei genauer Betrachtung (und ein bisschen Fantasie) sieht man Maha-Bhadrasana, die Schmetterlings-Haltung. Hier werden die Fußsohlen aneinander gegeben und dann die beiden Versen nach oben gedreht, dazu braucht man viel Dehnbarkeit. Oft wird dieses Siegel als “Beweis” hergenommen, dass das Hatha Yoga bereits 5000 Jahre alt sei. Aber das reicht bei weitem nicht aus! Zumal es auch in anderen Kulturen Körperverrenkungen gibt.
“Im Kulturschutt der Indus-Städte förderten die Forscher Spuren einer Vergangenheit zutage, die den Vergleich mit den Hochkulturen Ägyptens und Mesopotamiens nicht zu scheuen braucht. Langsam schält sich das Bild eines Gemeinwesens heraus, das in der Geschichte ohne Beispiel ist. Waffen, so scheint es, besaßen die Menschen am Indus nicht. Sie lebten in einer Oase des Friedens. Ihr Reich errichteten sie ohne Armee, Eroberungsfeldzüge führten sie nicht.” Spiegel
Es gibt viele Hinweise darauf, dass es bereits zu vedischen Zeiten Körperübungen gab, aus denen sich dann später das Hatha Yoga dann entwickelte. Das Wort Tapas bedeutet wörtlich “Feuer” oder “Hitze”, es ist damit das “Feuer der Disziplin oder Askese” gemeint. Tapas-Übungen sind körperliche Übungen oder Atemtechniken, diese gelten als frühe Form des Hatha Yoga. Es waren vor allem die “Shramanas”, also die wilden Asketen, die solche Übungen machten.
“Die vedische Tapas-Praxis ist grundlegend für Yoga und geht dem Begriff Yoga sprachlich um mehrere hundert Jahre voraus.” Christopher Key Chapple
Im frühen Hinduismus gab es die priesterlich-vedische häusliche Tradition und die der wandernden Asketen. Die früheste Erwähnung von Tapas finden wir im ältesten Text des Hinduismus, dem Rig Veda, so ist in Vers 10.154.5 von “asketischen Weisen” sie Rede. Das Atharva Veda deutet an, dass die Rishis und Götter nur durch Tapas ihren Status erlangt haben. Eine der ältesten Upanishads aus dem 8. Jahrhundert v.Chr. betont die Wichtigkeit von Tapas, ohne die Übungen genauer zu definieren.
Diejenigen, die in den Wäldern leben und im Glauben Tapas üben, sie gehen nach dem Tod in die Welt des Lichts.” Chandogya Upanishad 5.10.1
Die Mahanarayana Upanishad definiert den Begriff “etwas” weiter:
“Ordnung ist Tapas. Wahrhaftigkeit ist Tapas. Verständnis der Schriften ist Tapas. Friedfertigkeit ist Tapas. Die Unterwerfung der eigenen Sinne ist Tapas. Die Beherrschung des Körpers durch Mittel wie Fasten ist Tapas. Die Kultivierung einer friedfertigen Gesinnung ist Tapas. Geschenke ohne selbstsüchtige Motive zu geben ist Tapas. Anbetung ist Tapas.” Maha Narayana Upanishad, 10.1
Als Bhrigu seinen Vater Varuna um Unterweisungen bat, bekam er umfassende lehren vermittelt, die in der Taittiriya Upanishad verankert sind. Auf die Frage, wie man Brahman erreichen könne, erwiederte Varuna:
“Durch Tapas suche das Brahman zu erkennen; das Brahman ist Tapas.” Taittiriya Upanishad 3.2
Der bekannteste vedische Tapas-Übende ist wohl der Rishi Vishvamitra, der Seher des Gayatri-Mantras und mythologische Mitautor des Rig Veda. Er war zunächst König, war dann aber neidisch auf die Kräfte des Rishi Vasishta und aus Wut zog er sich dann zum Tapas zurück.
“…Nach diesen Worten entsagte der Monarch seinem großen Reich, wandte allem Glanz und Vergnügen den Rücken, und widmete sich der Askese. Als diese von Erfolg gekrönt war, erfüllte er die drei Welten mit der Hitze seiner Askese, bedrängte (auf seinem Weg) viele Wesen und wurde schließlich zum Brahmanen. Zu guter Letzt trank der Sohn von Kushika sogar mit Indra den Soma Saft.” Mahabharata 1.171
Auch im anderen alten Epos der Inder, dem Ramayana, gibt es immer wieder Stellen, in denen von Tapas die Rede ist. So hat der Asura Ravana, der Ramas Gemahlin Sita nach Lanka entführt hat, und damit zu seinem Gegner wurde, intensivstes Tapas geübt, um übersinnliche Kräfte zu erlangen. Um Brahma anzurufen hat er insgesamt 19.000 Jahre auf dem Chandrashila Berg zwischen fünf Feuern gestanden und sich 9 seiner 10 Köpfe als Opfer abgeschnitten, bis Brahma ihm dann Kräfte gewährt hat. Die Methode “Panchagni” ist eine traditionelle Askese-Übung: Man sitzt zwischen 4 Feuern und setzt sich eine Schale mit glühender Kohle auf den Kopf. Durch das Aushalten der Hitze überwindet man die Identifikation mit dem Körper.
“Ravana führte strenges Tapas für Shiva durch und erhielt mehrere Segnungen. Er wurde dämonisch, als er zu viele Kräfte erlangte.” Krishna Yajurveda Taittirya Aranyaka 1.31.1-16
Aus dem 4. Jahrhundert v.Chr. stammt die älteste Definition von “Yoga”, hierbei geht es aber nicht um Hatha Yoga:
„Erkenne das Selbst als den Herrn der Kutsche. Der Körper ist der Wagen, der Intellekt der Wagenlenker und das Denken die Zügel. Die Sinne sind die Pferde, die Objekte die Wege.“ Katha Upanishad 1.3.3.
Die Shramanas waren und sind die indischen Asketen, die wohl schon immer auch körperliche Übungen machten. Das Wort bedeutet: “jemand, der für ein höheres oder religiöses Ziel arbeitet, schuftet oder sich anstrengt”, Shrama bedeutet “spirituelle Praxis, Askese, religiöses Bemühen”.In den alten Texten gibt es Synonyme für die Asketen, so z.B. “Muni, Keshin, Tapasvin, Sadhu”, und je nach Kontext auch “Rishi” und “Yogin” Die Shramana Tradition gibt es mindestens seit vedischer Zeit, also ab 1500 v.Chr, sie hat sich parallel und unabhängig von der vedischen tradition entwickelt, aber beide haben sich gegenseitig beeinflusst. Es gibt Asketen im Kontext des Hinduismus, Buddhismus, Jainismus und zu alter Zeit noch aus der ausgestorbenen Religion der Ajivikas. Hier ein Shramana Gelübde aus dem Kontext des Jainismus:
“Ich werde ein Shramana werden, der kein Haus besitzt, keine Söhne, kein Vieh besitzt, der isst, was andere ihm geben; ich werde keine sündige Handlung begehen; Meister, ich verzichte darauf, etwas anzunehmen, was nicht gegeben wurde.’ Nachdem er solche Gelübde abgelegt hat, sollte er, wenn er ein Dorf oder eine freie Stadt betritt, nicht selbst etwas nehmen oder andere dazu verleiten, etwas zu nehmen, was ihm nicht gegeben wurde, oder anderen erlauben, etwas zu nehmen.” Ācāranga Sūtra
Naga Baba in Haridwar
Die ältesten schriftlichen Hinweise auf die Tradition der asketischen Bettelmönche gibt es in der Brihadaranyaka Upanishad aus dem 8. Jahrhundert. Hier heißt es, dass man in der Erkenntnis der Nondualität “weder Asket noch nicht-Asket” ist. Aber schon vorher im Rig Veda 10.136.2 ist von den Luftbekleideten “Munis” die Rede. Das Wort Muni bedeutet wörtlich “Still”, und im weiteren Sinn: “Begeisterter, Verzückter, Heiliger, Weiser, Asket, Seher”. Im Mahabharata (Striparvan 10.2) wird nicht unterschieden, zwischen einem Asketen (namentlich einem “Urdhvabahur”, der den Arm über lange Zeit erhebt) und einem Yogi. Tapas und Yoga werden hier häufig synonym verwendet.
Den Asketen ging es vor allem darum, durch Übungen den Willen zu stärken und die identifikation mit dem Körper auszulösen. Dazu waren sie bereit Schmerzen zu ertragen, zu Hungern und zu Dürsten und ihrem Körper massiv Schaden zuzufügen. Neben dem oben erwähnten “Panchagni”, den fünf Feuern denen man sich aussetzt, gibt und gab es noch weitere “Askese-Praktiken” oder Tapas-Übungen, zu denen ich sagen möchte. Don`t try this at home!
„Ich zerstöre einen Teil von mir, um mich mit Gott zu verbinden.“ Amar Bharati
Interessant ist hier die Begegnung von Alexander dem Großen, der im 3. Jahrhundert v.Chr. den Khyber-Pass überquerte und am Indus auf nackte Asketen traf, also auf “Luftbekleidete”. Diese haben verschiedene Körper-Übungen gemacht, die von Alexanders Geschichtsschreibern festgehalten wurden. Hier wird deutlich, dass die Shramanas einen erheblichen Beitrag zur Geschichte des Hatha Yoga geleistet haben.
Alexander und die Gymnosophen, La Cité de Dieu, Paris
Erst in den letzten Jahren durch die großen Studien des “Hatha Yoga Project” der Londoner SOAS-University um James Mallinson ist die Rolle des Vajrayana Buddhismus in der Geschichte des Hatha Yoga deutlich geworden. Zunächst war ja Buddha viele Jahre ein Asket und mit den damaligen Tapas-Übungen vertraut. Als Shramana wurde er von verschiedenen damals existierenden Traditionen in der Gangesebene beeinflusst. Im Palikanon-Text “Mahāsaccaka Sutta” spricht der Buddha von Tapas als “Selbst-Folter” die ihm schmerzen bereitet haben. Er Konsultiert, dass körperliche Praktiken wie verschiedene Meditationen über das Anhalten des Atems ihm nicht dabei halfen,
“(…)zu größerer Vortrefflichkeit in edlem Wissen und Einsicht zu gelangen, die über den menschlichen Zustand hinausgeht.”
Als erster Text, der das System des Hatha Yoga klar beschreibt, gilt das Buddhistisch-Tantrische Werk Amritasiddhi aus dem 11. Jahrhundert, allerdings ohne den Terminus zu verwenden. Im Text werden Methoden beschrieben wie Mahabandha, Mahavedha und Mahamudra. Auch werden hier Konzepte von Surya und Chandra (Ha & Tha) im Kontext von Bindu und dem Alterungsprozess beschrieben, was ganz klar Teil der Hatha Yoga Methodik ist. Viele spätere Hatha Yoga Texte aus dem Shaiva-Kontext kopieren Verse oder entnehmen Konzepte aus dem Amritasiddhi.
Fazit: Man kann annehmen, dass die Grenzen zwischen Vajrayana-Buddhistischen auf der einen Seite und Sivaitisch-Hindusitischen Praktizierenden im indischen Mittelalter deutlich fließender waren, als gemeinhin angenommen wurde. Zumal der Begründer der Nath-Yogis Matsyendranath (10. Jahrhundert) sowohl von Buddhisten als auch von Hindus verehrt wurde und wird. Ich mag den Gedanken, dass es keine klaren Grenzen zwischen den Überzeugungen gibt.
Wenn Du es genauer wissen möchtest, lies das Buch:
Ashoka-Säule und antike Stupa in Vaishali
The podcast currently has 51 episodes available.