Mit Thomas Kater von der Universität Münster
Kulturelle Teilhabe auch an Literatur ist ein Menschenrecht. Der Zugang zu Kulturgütern und Kunstwerken – die nicht nur individuell bereichernd sein können, sondern prägend für unsere Gesellschaft sind – soll möglichst vielen Menschen offen sein. „Zugang“ meint dabei einerseits die sinnliche Erfahrbarkeit für das Werk wesentlicher Aspekte, aber auch die Möglichkeit eines Verstehens dessen, womit man sich dabei konfrontiert. Im Fall der Literatur stellt anspruchsvolle Schriftsprache allerdings für viele Menschen ein Hindernis dar. Bis zu 17 Millionen Erwachsene haben laut Studien in Deutschland aus ganz unterschiedlichen Gründen eine Beeinträchtigung des Leseverstehens, der ihnen den Zugang zu Literatur erschwert oder ganz verstellt.
Soll man hier eingreifen, indem man die literarischen Werke selbst – vielleicht sogar mittels KI – verändert? Um den Ansatz, Literatur in Wortschatz, Grammatik, inhaltlicher Komplexität und Bedeutung zum Teil radikal zu vereinfachen, ist jedenfalls eine leidenschaftliche Kontroverse entstanden. Auf der einen Seite gibt es auf dem Markt eine Nachfrage nach vereinfachten Klassikern – mitunter verbunden mit der Einforderung des Menschenrechts auf kulturelle Teilhabe. Auf der anderen Seite steht nicht bloß die Würde großer Kunstwerke, sondern vor allem die Frage, ob die Vereinfachung von Literatur überhaupt das leistet, was sie verspricht: Ist ein Kunstwerk, dessen Komplexität reduziert wurde, noch erfahrbar, oder liegen bei dem, was als vereinfachte Literatur publiziert wird, schlicht andere, neue Texte vor, die ihren Vorlagen in Witz und Wirkung kaum noch gleichen?
In dieses Bild tritt nun generative KI, denn erste Verlage und Online-Communities erzeugen auch mithilfe großer Sprachmodelle vereinfachte Versionen literarischer Werke – die Vorstellung einer „Vereinfachung auf Knopfdruck“ scheint greifbar. Was die einen als vielversprechende Hilfestellung auffassen, lehnen andere als Kulturfrevel kategorisch ab, während Dritte befinden, generative KI sei rein technisch sowie aus im Wesen der Literatur selbst liegenden Gründen überhaupt nicht geeignet für diese Art von Aufgabe.
Thomas Kater ist Literaturwissenschaftler, hat Germanistik, Philosophie und katholische Theologie studiert und forscht zurzeit an der Universität Münster als Senior Fellow in der Kolleg-Forschungsgruppe „Zugang zu kulturellen Gütern im digitalen Wandel“. Im Digitalgespräch erklärt der Experte, welche Eigenschaften literarischer Werke Hürden in der Rezeption darstellen und wie man versucht, sie abzubauen, und vor welchem Dilemma diejenigen stehen, die mittels Vereinfachung von Werken kulturelle Teilhabe ermöglichen wollen. Er schildert, wer hier diskutiert und was zentrale Argumente sind, welche Aspekte von Digitalität eine Rolle spielen, wenn es um Teilhabe an Literatur und dem Literaturbetrieb geht, und welche rechtlichen und praktischen Fragen dabei relevant sind. Mit den Gastgeberinnen Marlene Görger und Petra Gehring diskutiert Kater, wie Digitalität die Publikationspraxis verändert, welche neuen Akteure sich dabei für kulturelle Teilhabe einsetzen, wie sich Schriftsteller:innen positionieren, an welche Kernfragen der Literaturwissenschaft der Streit um Vereinfachung von Literatur führt, ob der Einsatz von KI zur Übertragung in leichte und einfache Sprache wirklich ein plausibler Ansatz ist, um in kurzer Zeit wichtige literarische Werke einem bisher ausgeschlossenen Publikum zugänglich zu machen – und welche alternativen Zugänge neben der Vereinfachung Teilhabe ermöglichen können.
Link zum Originalbeitrag: https://zevedi.de/digitalgespraech-064-thomas-kater
Link zur Webseite der Kolleg-Gruppe „Zugang zu kulturellen Gütern im digitalen Wandel“: https://www.uni-muenster.de/KFG-Zugang/forschung/index.html