Ein fünfzigjähriger Schriftsteller, der den selben Namen trägt wie sein Autor und dessen Lebensdaten jenem bis aufs letzte Komma gleichen unternimmt mit seiner gemütskranken und stinkreichen Mutter eine Reise durch die Schweiz, immer eine Plastiktüte mit Tausendfrankenscheinen in den zittrigen Händen. Bei ihr sind die Schweißausbrüche eine Entzugserscheinung, bei ihm pure Angst: Denn obwohl der Schriftsteller in den letzten fünfundzwanzig Jahre ein gestandener und anerkannter, im Grunde weltberühmter Mann geworden ist, gelingt es seiner Mutter von der ersten bis zur letzten Zeile, dies nicht im geringsten anzuerkennen und ihm die Schuld an ihrer Misere zu geben, wobei die Frage, woraus die bei einer Frankenmillionärin eigentlich besteht, immer wieder gestellt, aber nicht beantwortet wird. Christian Krachts müdes Spiel mit der Autofiktion gleicht auf gespenstische Weise dem letzten Buch des deutschpolnischen Schriftstellers Matthias Nawrat, dessen Protagonist ihm ebenfalls aufs Haar gleicht und wie Christian Krachts Figur Christian Kracht eine Reise mit der Mutter unternimmt, halb freiwillig nur, durch Neuengland, und die Mutter ist, nunja, gesund. Am Ende geben beide Muttersöhne auf und ergeben sich in ihr Schicksal, nicht zu genügen. Wie erholsam ist dagegen Booker Price-Gewinnerin Bernadine Evaristos’ Girl, Woman, Other, die, soweit wir das erkennen können, auf selbstverliebte Spiele mit der Autofiktion verzichtet und eine schlichte Familiengeschichte erzählt, in der sie schwarz und weiß, straight und gay, englisch und karibisch, Mann und Frau oder auf den Wegen dorthin sind. Und das erste Buch des Literaturnobelpreisträgers Kazuo Ishiguro nach dem Preis haben wir erst nicht, dann etwas, dann doch gelesen.
Das war ein großer Spaß!
Christian Kracht: Eurotrash
Matthias Nawrat: Reise nach Maine
Bernadine Evaristo: Girl, Woman, Other
Kazuo Ishiguro: Klara und die Sonne