„Ist wahre literarische Größe noch immer möglich?“, so fragte sich die amerikanische Star-Schriftstellerin Susan Sontag im „Times Literary Supplement“, und antwortete sich selbst: Ja, und zwar im Werk des rätselhaften Autors W.G. Sebald. Dessen erstes auf Englisch erschienenes Buch, „The Emigrants“ („Die Ausgewanderten“), wurde mit nur diesem einen Satz zum Bestseller. Sebald, der in Freiburg studierte hatte, avancierte in den USA binnen kurzer Zeit neben Kafka zum berühmtesten deutschen Schriftsteller. Er galt vor seinem frühen Unfalltod 2001 und nach Veröffentlichung seines Meisterwerks „Austerlitz“, laut dem „Guardian“ unter den fünf besten Büchern des 21. Jahrhunderts, als Favorit für den nächsten Literaturnobelpreis. Ben Lerner, Rachel Cusk und Teju Cole zählen zu seinen Verehrern. In Deutschland, dessen Nazi-Vergangenheit mitsamt der Menschheitsverbrechen des Holocausts im Mittelpunkt von Sebalds Schreiben steht, ist dieser nach England ausgewanderte Autor weniger legendär. Aber das dürfte sich mit Carole Angiers Biografie „Speak, Silence: In Search of W.G. Sebald“, auf Deutsch in Kürze im Hanser Verlag, bald ändern: Die mit dem „Writers‘ Guild Award for Non-Fiction“ ausgezeichnete Biografin von Jean Rhys und Primo Levi erzählt das mysteriöse Leben und von Melancholie durchwirkte Werk des Allgäuers und Exil-Engländers auf schwer vergessliche Weise. Angiers Recherchen über Sebalds literarische Praxis, auf Grundlage von realen Schicksalen fiktionale Erzählungen zu entwickeln, sorgen für aufgeheizte Feuilleton-Debatten auf beiden Atlantikseiten. Prof. Torsten Hoffmann, Germanist an der Universität Stuttgart und Herausgeber von Sebalds Interviews, spricht dann mit uns darüber, was dessen Werk – befasst mit der Zerstörungskraft unserer Spezies – heute noch topaktuell macht.