Für die Herausforderungen der Zukunft sieht der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi die liberalen Demokratien schlecht gerüstet. Sie müssten sich grundlegend reformieren. Erst dann ließen sich die Probleme meistern.Nicht über Politik zu sprechen, ist sehr vernünftig - jedenfalls gelegentlich und unter Freunden. Stattdessen, sagt Klaus von Dohnanyi, Jahrgang 1928 und ehemaliger Minister unter den Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt, gehe er mit Angela Merkel lieber ins Konzert. Über Musik und Kunst könne er sich mit der deutschen Kanzlerin sehr gut verständigen - so gut, dass beide seit langem in inniger Freundschaft verbunden sind. Und noch etwas verbinde die beiden, erklärt von Dohnanyi im "Interview der Woche" der DW: "Wir betrachten die Welt sehr pragmatisch".
Pragmatik ist für von Dohnanyi, seit 60 Jahren SPD-Mitglied, Grundlage aller vernünftigen Politik: "Wenn man Politik machen will, muss man sie so machen, dass sie sich mit den Wirklichkeiten auseinandersetzt und nicht mit irgendwelchen enttäuschenden Hoffnungen."
Diese Haltung vertrete auch die Kanzlerin. Allerdings sei es heute sehr viel schwieriger als früher, Politik zu gestalten. Das liege vor allem daran, dass die Welt komplizierter geworden sei. "Es gibt viel mehr Staaten. Es gibt viel mehr Bedürfnis auch großer Staaten sich wieder zurückzuziehen auf ihre eigenen Interessen. Das sieht man an Amerika, aber auch an anderen Ländern." Paradoxerweise führe die Globalisierung dazu, dass die verschiedenen Regionen sich wieder selbst regieren wollten. "Ihnen ist alles zu weit weg. Brüssel ist zu weit weg. Washington ist zu weit weg. Sie wollen lieber wieder selbst, und das macht die Arbeit natürlich schwer."
USA werden zum Problem für die Europäer
Eine wesentliche Herausforderung für Europa sei der neue Kurs der USA unter Donald Trump. Das gehe vor allem auf die US-Sanktionspolitik zurück. Mit Hilfe der Sanktionen zwängen die Amerikaner die Europäer und andere dazu, "Dinge zu tun, die die Staaten nicht tun wollen. Das ist Sinn der Sanktionspolitik."
Für weniger problematisch hält von Dohnanyi zumindest vom Grundsatz her das Verhältnis zu Russland.
"Mit Putin müsste man sehr viel mehr reden." Allerdings: "Da sind die Amerikaner im Wege, weil sie die Gespräche, die Verhandlungen mit Putin blockieren." Dabei sähen auch viele amerikanische Politiker Gespräche als einzige Möglichkeit, das westlich-russische Verhältnis wieder neu zu ordnen.
Ein schwaches Europa
Europa sieht von Dohnanyi derzeit in einer schwachen Position. Das habe vor allem einen Grund: "Die Europäer können sich nicht auf eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik einigen." Solle sich das ändern, erfordere dies eine verstärkte Führungsrolle von Deutschland und Frankreich. "Deutschland und Frankreich müssen die Dinge in die Hand nehmen, müssen Europa führen. Es hat noch nie eine Einigung eines großen Raumes gegeben ohne einen Hegemonialpartner. Und ehe die Franzosen nicht verstehen welche Chance sie dort haben, auch mit Deutschland hätten, ehe das nicht geschieht, wird auch Europa nicht vorankommen."
Ein geeintes Europa sei auch nötig, weil sich Alte und Neue Welt derzeit auseinanderlebten. Beide seien nicht mehr durch identische Interessen verbunden. Das gehe durchaus auch auf geographische Voraussetzungen zurück: "Nach Amerika kommt kein Flüchtling mit dem Ruderboot. Bei uns sind sie alle sofort im Lande."
Die Frage, ob die liberalen Demokratien für die Herausforderungen der Zukunft hinreichend gerüstet seien, beantwortet von Dohnanyi zurückhaltend. Deren Hauptproblem - "nicht nur in Europa, auch in Australien, in Neuseeland, in Island also wo immer Sie hinschauen" - sei, dass sie keine festen Verfassungsstrukturen für die neue Zeit hätten. "Wir müssen sehen, ob unserer Form zu wählen, unsere Form Regierungen zu bilden noch stabil genug sind für diese stürmischen Zeiten, die vor uns liegen, und die Zeiten werden sehr stürmisch werden, sehr stürmisch."
Niedergang der Sozialdemokratie
Just in diese aufgewühlte Zeit fällt der Niedergang der Sozialdemokratie. Diesen sieht von Dohnanyi vor allem dadurch begründet, dass zentrale sozialdemokratische Anliegen - etwa die wachsende Ungleichheit oder das Problem einer gerechteren Verteilung - in einer liberalen Demokratie sehr schwer zu organisieren seien. Zwar stehe Deutschland bei der Einkommensungleichheit sehr gut da. "Aber bei der Vermögensungleichheit haben wir die Probleme aus den vergangenen vielen Krisen. Diese Folgen haben wir noch nicht wirklich im Griff - und das ist ein großes Problem."
Für den Niedergang der deutschen Sozialdemokratie sieht von Dohnanyi auch personelle Gründe. Indem sie auf Martin Schulz als SPD-Chef und Kanzlerkandidat setzte, habe die SPD "einen kardinalen Fehler" gemacht. "Der Mann war nicht geeignet eine Partei zu führen, nicht geeignet die SPD zu führen, nicht geeignet, politische Entscheidungen wirklich sorgfältig zu durchdenken. Der ist halt ein netter Kerl, aber kein guter Politiker. Den hätte man da nie an der Spitze haben dürfen."
Skeptisch zeigt sich von Dohnanyi gegenüber dem Vorschlag einer linken Sammlungsbewegung aus SPD, Grünen und Linken. Dass diese komme könnte, hält der SPD-Mann für denkbar. Allerdings: "Ich glaube man muss da sehr aufpassen, dass da nicht wie meist in diesem Zusammenhang eher die Radikalen bestimmen, wo es hin gehen soll." Die Geschichte lehre, dass bei einer gemeinsamen Regierung von Sozialdemokraten und Kommunisten immer die Kommunisten regiert hätten - "obwohl sie ursprünglich einen kleineren Anteil hatten".
"SPD muss Herausforderungen der Globalisierung verstehen"
Seiner Partei macht SPD-Mann von Dohnanyi vor allem einen Vorwurf: Sie habe die Erfordernisse der globalisierten Welt nicht hinreichend verstanden. Als Beispiel nennt er die Senkung der Unternehmenssteuer in den USA. In Reaktion auf sie denke Deutschland sofort darüber nach, sie ebenfalls zu senken. "Das heißt, die Wettbewerbsbedingungen in der Welt bestimmen eigentlich, was man tun kann. Das muss man als Ausgangspunkt akzeptieren." Sachzwänge könne und dürfe man nicht leugnen. Eben das tue aber die SPD, und das sei ihr wesentlicher Fehler. "Natürlich gibt es Sachzwänge, und mit denen muss man sich konstruktiv auseinandersetzen."
Dieser Herausforderung müsse sich die SPD noch stellen. "Wenn die SPD einmal dazu sich durchgerungen hat, festzustellen, dass Wettbewerb und Markt und Freiheit zusammenhängen und dazu zwingen, Dinge zu tun die man vielleicht lieber anders machen würde - dann kann man auch anfangen wieder richtig mit der SPD zu segeln."
Wesentlich geprägt sieht sich Klaus von Dohnanyi durch seinen Vater, den Juristen und Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, Hans von Dohnanyi. Er wurde von den Nazis hingerichtet, als sein Sohn Klaus sechzehn Jahre alt war. Von ihm habe er vor allem eines gelernt: "zu seiner Meinung zu stehen und sich nicht zu fürchten, wenn andere anderer Meinung sind."