Vielleicht hast du das selbst schon erlebt. Du hast ein Ziel. Du findest es großartig. Es entspricht auch deiner Leidenschaft. Es ist eben eine richtig gute Vision. Aber auch ganz schön groß. Du denkst dir, vielleicht ist deine Vision zu groß für dich. So groß, so gut, bin ich ja gar nicht. Sagst du dir.
Und wenn du anderen von deiner Vision erzählst, Freunden, Bekannten, deiner Familie, dann sind da vielleicht auch einige darunter, die das Ziel für zu groß für dich halten. Und damit dich im Grunde genommen für zu klein. Aber es wird auch andere geben. Andere, die dir zu deinem großen Ziel gratulieren. Die dich anfeuern, antreiben, in die Gänge zu kommen und den ersten Schritt zu deinem Ziel zu gehen.
Wem wirst du zuhören? Den Antreibern oder den Zweiflern? Viel öfter halten und unsere Zweifel davon ab, wirklich große Dinge zu vollbringen.
Aber eigentlich muss es ja so sein, dass ich am Anfang zu klein bin für meine Vision. Sonst wäre es ja keine richtige Vision. Du sollst ja auch nicht mit einem einzigen Schritt auf den Gipfel eines Berges springen.
Schau mal, ich bin ein leidenschaftlicher Hobbyläufer. Ich nehme auch gerne an Laufwettbewerben teil, von 10 Kilometer-Läufen bis hin zum Marathon. Irgendwann konnte ich mich nach einem Marathon nicht mehr zum Training motivieren. Ich war schon einige Marathons gelaufen, konnte aber meine Zeit nicht mehr wesentlich verbessern. Was mir fehlte, war ein neues Ziel. Etwas, das mich wieder richtig herausforderte und für das Training begeistern konnte. Und dann wurde ich eines Tages fündig. Und zwar beim Transalpine Run. Das ist ein hochalpiner Traillauf, der sieben Tagesetappen quer über die Alpen umfasst. Heuer, im Jahr 2023 wird dieser Lauf in Lech am Arlberg gestartet und führt über die Schweiz bis nach Südtirol. Die Strecke ist 268 Kilometer lang und die Läufer müssen 15 330 Höhenmeter überwinden.
Das nenne ich eine große Vision! Zumal für einen Hobbyläufer, der bis dahin nur Stadtmarathons gelaufen ist. Und ich war sofort Feuer und Flamme. Jetzt war ich wieder für mein Training motiviert. Ich fing an, auf Trails zu laufen. Ich dehnte die Trainingseinheiten aus. Denn mit einem Marathontraining kommt man bei dieser Herausforderung nicht weiter. Immerhin sind 268 Kilometer mehr als sechs Marathons – hintereinander. Und dann noch die Höhenmeter dazu.
Ich habe in meinem Freundeskreis von meiner Vision erzählt. Manche fanden die Idee cool, glaubten aber nicht, dass ich das schaffen kann. Die meisten haben versucht, es mir auszureden. Und dann habe auch ich angefangen, mit mir Selbstgespräche zu führen. Kann ich das wirklich schaffen? Sechs Marathons in Folge? Im hochalpinen Gelände?
Tatsächlich haben bis heute meine inneren Zweifler die Oberhand. Ich habe mir diesen Traum noch nicht erfüllt. Aber ich habe die Alpen als Trainingsgebiet entdeckt. Und meine Liebe zum Traillaufen. Heute laufe ich nicht mehr auf der Straße, sondern nur mehr im Gelände. Und ich bin auch schon einen Ultramarathon in den Alpen gelaufen.
Manchmal muss man nach dem Mond zielen, um zwischen den Sternen zu landen.
Der Transalpine Run steht immer noch auf meiner Bucket List. Aber worauf ich hier hinaus will ist: Für Unternehmer sind Zweifel und Ängste ein normaler Zustand. Wie oft stehen wir vor Herausforderungen, die uns so riesig erscheinen, dass wir uns davor wie Zwerge vorkommen. Immerhin gehen Unternehmer jeden Tag bewusst Risiken ein. Wir leben in einer Wettbewerbsgesellschaft. Keiner von uns ist doch alleine am Markt. Es gibt keine Monopolisten. Auch der größte Konzern hat immer noch Konkurrenten. Immer müssen wir fürchten, dass unsere Kunden morgen zur Konkurrenz abwandern. Und das ist auch gut so. Denn so sind wir gezwungen, unsere Produkte und Dienstleistungen immer weiter zu verbessern und unsere Kunden zu begeistern.
Die Psychologie sagt uns, dass wir im Grunde genommen nicht viel weiter entwickelt sind als unsere frühzeitlichen Vorgänger, die mit einem Tierfell um die Hüfte vor einer Höhle rund um das Feuer saßen. Angst war zu dieser Zeit allgegenwärtig. Aber auch notwendig, um zu überleben. Wann immer ein Schatten vor der Höhle auftauchte, war es wichtig zu wissen, ob das eine potenzielle Bedrohung für mein Leben sein kann. Auch wenn wir heute nicht mehr in Höhlen leben und Säbelzahntiger ausgestorben sind, haben wir immer noch Angst und das ist bei gesunden Menschen normal und gut. Angst macht uns wach und aufmerksam.
Und bei Unternehmern ist es meistens nicht die Todesangst vor dem Säbelzahtiger. Wir Unternehmer haben andere Ängste. Die häufigste Angst von Unternehmern ist die Angst vor dem finanziellen Scheitern. Ein Monat oder auch nur eine Woche mit weniger Einnahmen als geplant reicht da schon aus, um einen Unternehmer um seinen Schlaf zu bringen. Natürlich begeben sich Unternehmer, wenn sie Mitarbeiter haben, zu einem gewissen Grad auch in deren Abhängigkeit. Dann können Ängste entstehen, ob Mitarbeiter kündigen und dann möglicherweise Know-How oder Kunden verloren gehen.
Und Unternehmer haben neben Ängsten auch noch Zweifel. Bin ich gut genug als Unternehmer? Oder ist mein Unternehmen gut genug für den Markt? Sind vielleicht Konkurrenten oder deren Produkte besser?
Aber ganz ehrlich. So ist es ja auch. Es wird immer ein Unternehmen geben, dessen Produkte besser sind als deine. Na und? Kann dieses andere Unternehmen den Markt allein bedienen? Wahrscheinlich nicht. Werden Kunden trotzdem bei dir kaufen? Wahrscheinlich schon.
Es geht nicht darum, das beste Produkt zu haben, sondern ein gutes Produkt, das den Kunden Nutzen bietet, der nach der subjektiven Einschätzung des Kunden höher ist als der Preis des Produktes. Und du darfst dich ehrlich bemühen, dein Produkt ständig zu verbessern.
Bananen werden unreif geerntet und reifen erst auf dem Weg zum Konsumenten, oft sogar erst beim Konsumenten. Ist es dir auch schon so gegangen, dass du im Supermarkt Bananen gesehen hast, die teilweise noch grün waren? Die waren noch gar nicht reif. Und daneben lagen vielleicht Bananen, die schon ein paar braune Flecken hatten. Die waren reif und hätten viel besser geschmeckt, aber du hast die grünen genommen. Warum? Weil du die Bananen nicht auf einmal essen wolltest und du wusstest, dass sie bei dir zu Hause nachreifen werden.
Daraus leitet sich der Begriff „Bananenprodukt“ ab. Genau wie eine Banane, die im unreifen Zustand geerntet wird und dann beim Kunden zu Hause nachreift, wird ein Bananenprodukt auf den Markt gebracht, bevor es vollständig ausgereift oder ausreichend getestet ist. Das Unternehmen, das ein Bananenprodukt auf den Markt bringt, weiß, dass es Fehler hat, die beim Kunden auftreten werden. Diese Fehler werden dann nach der Markteinführung durch Updates oder Nachbesserungen behoben. Das beste Beispiel dafür sind Softwareprodukte oder Elektronik.
Ich gebe dir noch ein Beispiel. J. K. Rowling trennte sich kurz nach der Geburt ihrer Tochter von ihrem gewalttätigen Mann. Sie war eine arbeitslose, alleinerziehende Mutter und lebte von der Sozialhilfe. In dieser Zeit schrieb sie das Buch „Harry Potter und der Stein der Weisen“. Das Manuskript wurde von mehreren Verlagen abgelehnt, bevor es nach einem Jahr endlich von einem Verlag angenommen wurde. Die Startauflage waren gerade einmal 500 Exemplare.
In einer Rede vor Harvard-Absolventen erzählte sie: „Ich hatte keinen Job, war eine alleinerziehende Mutter und so arm, dass ich gerade noch über der Grenze zu Obdachlosen lag“. Als sie die ersten „Harry Potter“ Büchern schrieb, war sie Sozialhilfe-Empfängerin. Sie hatte als Schriftstellerin zuerst keinen Erfolg. Sie hatte nicht nur Selbstzweifel, sondern Depressionen, betrachtete sich als Versagerin und hatte sogar Selbstmordgedanken. In den „Harry-Potter“ Büchern gibt es magische Kreaturen, Dementoren, die jedes Glücksgefühl aus Menschen heraussaugen und ein Gefühl der Kälte und Leblosigkeit zurücklassen. Zu diesen Dementoren wurde J.K. Rowling durch ihre eigene Depression inspiriert.
2004 wurde ihr Vermögen von der Zeitschrift Forbes auf eine Milliarde US-Dollar geschätzt. Sie ist die bestbezahlte Schriftstellerin der Welt.
Und da darf man sich wirklich ernsthaft fragen: Wie ist denn meine Situation angesichts der Lage, in der sich J.K. Rowling damals befunden hat? Und wenn sie es geschafft hat, ihre Selbstzweifel zu überwinden und einen derartigen Erfolg zu haben, dann kann auch ich meine Selbstzweifel überwinden und meine Vision verwirklichen.
Oprah Winfrey wurde 1954 in Mississippi als geboren. Ihre Eltern waren selbst minderjährig. Sie war ein uneheliches Kind und ihre Hautfarbe ist dir sicher bekannt. Kann man noch einen größeren Startnachteil in das Leben haben? Zudem wurde sie mit neun Jahren sexuell missbraucht. Mit vierzehn wurde sie schwanger aber das Kind starb kurz nach der Geburt. Ihre Jugend war von Armut geprägt. Heute ist sie Unternehmerin und Milliardärin.
Richard Branson ist Legastheniker und hatte in der Schule sehr schlechte Noten. Sein Schuldirektor sagt am letzten Schultag zu ihm, er wird entweder im Gefängnis enden oder als Millionär. Mit Letzterem hatte er Recht. Er hat die Virgin Group gegründet, zu der ein Plattenlabel, Telekommunikationsunternehmen, Virgin Atlantic Airways, die Virgin Rail Group und Virgin Galactic, ein Raumfahrtunternehmen, gehören. Sein Vermögen wurde 2019 auf vier Milliarden US-Dollar geschätzt.
Steve Jobs gründete 1976 die Apple Computer Company, aus der er 1985 rausgeworfen wurde. Dies war zweifellos ein tiefer Schlag für sein Selbstwertgefühl. Erst 1997 kehrte er wieder als Vorstandsmitglied in das von ihm selbst gegründete Unternehmen zurück.
Walt Disney wurde mehrmals gefeuert, darunter einmal, weil er „keine guten Ideen“ hatte. Auch sein erstes Unternehmen ging bankrott.
Was können wir aus all diesen Geschichten mitnehmen? Alle Menschen, jeder von uns, steht vor seinem persönlichen Berg von Problemen und Herausforderungen. Ängste und Selbstzweifel sind eine universelle menschliche Erfahrung. Aber egal wie groß die Probleme und Herausforderungen sind, sie können überwunden werden. Wenn ich mir noch einmal die Menschen anschaue, die wir gerade aufgezählt haben, dann fällt mir auf, dass alle diese Menschen Probleme hatten, die meiner Meinung nach deutlich größer sind als die Probleme der meisten anderen Menschen. Und ihre Erfolge sind auch wesentlich größer als die Erfolge der meisten Menschen.
Ich glaube, dass wir wirklich sagen können:
Je größer dein Problem ist, desto größer ist der Lohn, der auf dich wartet, wenn du das Problem gelöst hast.
In deiner Komfortzone gibt es keine Probleme. Da kennst du dich aus. Da fühlst du dich wohl. Deswegen heißt sie ja auch Komfortzone. Aber in der Komfortzone wirst du nicht wachsen. Weil es dort eben keine Probleme gibt. Aber ohne Probleme gibt es auch nichts zu gewinnen. In deiner Komfortzone gibt es logischerweise auch keine Selbstzweifel und keine Ängste. Aber auch keinen Erfolg. Wenn du Erfolg willst, dann musst du deine Komfortzone verlassen. Und zwar öfter und weiter, als du dir vielleicht jetzt vorstellen kannst. Denn mit jedem Verlassen der Komfortzone verschieben sich auch deren Grenzen. Und irgendwann ist etwas, das du dir niemals zugetraut hättest, plötzlich normal für dich. Eben zu meiner Komfortzone geworden.