„Wir glauben, wir könnten uns ins Amalgam einer Gesellschaft flüchten, die es so nie gegeben hat“, sagt der Kolumnist, Buchautor und Mitgründer des Wirtschaftsmagazins brand eins Wolf Lotter im Interview zu seinem Buch „Zusammenhänge Wie wir lernen, die Welt wieder zu verstehen“. Lotter erteilt damit dem gefühlig-fürsorglich-paternalistischen „Wir“ eine klare Absage.
Angesichts der Komplexität unserer Spätmoderne, mit fraktalen Gesellschaftsstrukturen und einer, viele Menschen verunsichernden, Entwicklungsdynamik nicht nur technologischer Natur wachsen vielerorts Bestrebungen von Gemeinschaftsgläubigkeit, die einen Schutzwall bieten sollen. Die tragfähige Antwort auf Komplexität liegt indes, sagt Lotter, nicht im Bemühen einer Vereinfachung, einer Verringerung von Komplexität. Im Gegenteil ist es die Durchdringung und damit das Anerkennen von Vielfalt, Vieldeutigkeit und Vielschichtigkeit, welche der Spezies Mensch Gegenwartsbewältigung ermöglicht und eine Vorstellung von Zukunft öffnet.
„Damit befinden wir uns in der Tradition der Aufklärung“ pointiert Lotter, „einer nüchternen Gemeinschaft von Menschen, die ihre Angelegenheiten selbst regeln, in der Tradition einer offenen Gesellschaft, die sich auf einiges einigen kann, ohne dass das ‚Wir‘ alles regelt“.
Im WeiterDenker-Talk folgt die Kommunikationsmentorin Katharina Daniels mit ihrem Interviewpartner Wolf Lotter dem Pfad durch sein Buch – von einer grundlegenden Definition dessen, was Kontextkompetenz begrifflich beinhaltet, über kulturhistorisch gewachsene Konnotationen, Zusammenhänge von Technologie, Ökonomie, organisationalem Gefüge und Bildungsgenese bis hin zu einem der heutigen Zeit angemessenen Humanismus. Hier ein paar weitere „best of“-Pointierungen Wolf Lotters aus unserem Gespräch:
„Vielfalt ist die Wurzel jeder Entwicklung“
„Wenn wir verstehen wollen, müssen wir uns die Welt ansehen, wie sie ist“
„Digitalisierung wird als Digitalismus verkauft“
„Neoliberalismus ist ein dummer, geschichtsloser Begriff, Liberalismus ist der Prototyp sozialer Marktwirtschaft“
„Menschen wurden kulturell erzogen, ihre Möglichkeiten nicht auszuschöpfen“
„Der entfremdete Mensch weiß immer weniger vom Gesamtzusammenhang. Das hat nichts mit sinistren Verschwörungstheorien zu tun“.
„Wissen ist etwas, was man verstanden hat und was man erklären kann, wie es Konrad Paul Liessmann (https://de.wikipedia.org/wiki/Konrad_Paul_Liessmann) formuliert hat. Das bedeutet auch eine ganz andere Vorstellung vom geistigen Eigentumsbegriff“.
„Es geht darum, das Ego (der Mitarbeiter), ihre Persönlichkeit zu stärken. Das ist heute der Job einer Führungskraft“
„Was ich mit Reflexionstagen in Unternehmen meine? Darüber nachzudenken, wer sind wir? Was tun wir und warum? Wie können wir erklären, was wir tun? Es geht darum, aus dem Unternehmen heraus ein Narrativ zu bilden, aus den Perspektiven jedes Mitarbeiters, nicht aus einem von Beratern und Vorstand entworfenen Leitbild. Jeder Mitarbeiter wird eine andere Perspektive haben – und das ist gut so!“.
„Es geht um Selbstbestimmung, unabhängiges Denken, Offenheit, Anschlussfähigkeit, Neugier auf das, was andere möchten“
Links zum Buch und zur Person Wolf Lotter
https://www.koerber-stiftung.de/publikationen/shop-portal/show/zusammenhaenge-260
https://www.amazon.de/Zusammenh%C3%A4nge-lernen-Welt-wieder-verstehen/dp/3896842811
https://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_Lotter