Es ist sicher so, dass die Sprache Goethes weit entfernt von unserer heutigen Alltagssprache ist. Doch dies ist alles andere als erstaunlich: Denn es ist eine Kunstsprache, eine literarische Form der Sprache. Abseits dessen gibt es in der Literaturgeschichte keinen anderen Autor, der die moderne deutsche Sprache so stark bereichert hat wie Goethe. Und dieser Autor hat einige Gedichte, aber auch Prosawerke verfasst, die man/frau einfach mal gelesen oder gehört haben sollte. Grund genug, hier die Novelle „Die Sängerin Antonelli“ zu präsentieren, ursprünglich in dem Buch „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“ (sic! So sprach man damals) erschienen (1795). Diese Novellensammlung lehnt sich formal an Boccaccios „Decamerone“ an, ein wichtiges Vorbild Goethes. Dort bildete die Schilderung der Pest die Kulisse für die einzelnen Erzählungen, jene ungeheure reale Katastrophe im 14. Jahrhundert. Bei Goethe sind es die Kämpfe nach der Französischen Revolution gegen Ende des 18. Jahrhunderts – sie werden in der Rahmenerzählung gleich zu Anfang erwähnt.
In all den von den Ausgewanderten erzählten Geschichten taucht diese Realität nicht mehr auf, hier wird stets äußerst phantasiereich von ganz anderem erzählt. Eine der zahlreichen Figuren in den „Unterhaltungen“ ist die der Novelle den Titel gebende neapolitanische Schauspielerin und Sängerin Antonelli, eine Frau in „der Blüte ihrer Jahre, ihrer Figur, ihrer Talente“, wie es im Text heißt. Die Geschichte dreht sich um Freundschaft, Freundschaft plus, um die Liebe, Krankheit, persönliche Krisen, Leiden und – am rätselhaften Ende – auch um geisterhafte Erscheinungen. Das alles wird sehr, sehr unterhaltsam und humorvoll geschildert. – Es liest Heide Bertram, wohltuend einfühlsam und glasklar im Ausdruck.