Vieles wird diesem Autor zugeschrieben. Was in Bezug auf Franz Kafka aber meist übersehen wird, sind seine unglaublich präzisen Beschreibungen. Dabei gleicht beispielsweise die Eröffnung des Textes „Der Maler Titorelli“ einem Meisterstück moderner Erzählkunst. Es ist dies eine Milieuschilderung, die von solch einer sprachlichen Genauigkeit und Anschaulichkeit geprägt ist, dass man/frau sich ohne Umwege die geschilderte großstädtische Szenerie vorstellen kann – ja eigentlich steht man dabei, am Rand der Szene, wie ein Beobachter, und meint die aus einer Mauerlücke herausschießende „widerliche gelbe, rauchende Flüssigkeit“, vor der sich sogar „einige Ratten in den nahen Kanal flüchteten“, zu sehen und zu riechen – und den Krach aus der benachbarten Werkstätte zu hören, der das Weinen des am Boden liegenden Kindes übertönt. Kafkas Darstellungskunst provoziert im Leser/in der Hörerin ein multiples sinnliches Mit- und Nachempfinden. Wenn der Bankangestellte K. – angeklagt, doch nicht inhaftiert – die hohen Stufen der engen Treppe hochgeht, mal verfolgt und mal begleitet von einer sozial auffällig wirkenden Mädchen-Truppe, spürt der Leser oder die Hörerin die Mühe, die es macht, das Ziel zu erreichen, und die dauernden Störungen durch die Begleiterinnen. Und dann noch, im Atelier des Gerichtsmalers, all die geschlossenen Fenster, die verborgenen Türen, die Schwellen und natürlich wieder die unaufhörlich aufdringliche Mädchen-Clique. Ja, auch der eigentümliche Kafka-Humor kommt hier zum Ausdruck. Und wie! (Alles Weitere ist im Roman selbst zu lesen.)
Dieser Text ist ein virtuos geschriebenes Werk moderner Literatur. Franz Kafka schrieb an dem Roman „Der Prozess“, aus dem „Der Maler Titorelli“, dessen Einleitung hier von Eva Schröer bravourös gelesen wird, in den Jahren 1914 und 1915. Dieser Text hat auch über 100 Jahre später nichts an Originalität eingebüßt.