Modellansatz

Wissenschaftskommunikation


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Der March for Science am 22. April 2017 hat auch in Deutschland ein großes Echo gefunden. Es gab Veranstaltungen in Berlin, Bonn, Dresden, Frankfurt/Main, Freiburg/i.Br., Göttingen, Greifswald, Hamburg, Heidelberg, Helgoland, Jena, Kassel, Koblenz, Leipzig, München, Rostock, Stuttgart, Trier und Tübingen mit schließlich über 37.000 Teilnehmern.

Unter dem Eindruck der Vorbereitungen auf den 22. April haben sich Gudrun Thäter und Annette Leßmöllmann zum Gespräch getroffen. Sie teilen das Interesse an den Fragen:

  • Welche Rolle hat Wissenschaft in unserer Gesellschaft?
  • Welche Rolle sollte sie haben?
  • Wie nimmt Wissenschaftskommunikation darauf Einfluß?

Dabei haben sie unterschiedliche Rollen und Erfahrungen, die im Gespräch zu einer persönlichen Einschätzung des Status quo und der Wünsche für die Zukunft zusammengeführt werden. Annette Leßmöllmann leitet die Abteilung Wissenschaftskommunikation im Institut für Germanistik des KIT, das heißt sie forscht und lehrt im Bereich Wissenschaftskommunikation. Ihr Interesse lässt sich kurz fassen als: Was nehmen die Konsumenten wissenschaftlicher Botschaften für ihren Alltag mit?

Drei Gedanken stehen am Anfang des Gespräches:

  1. Die Rolle von Wissenschaft ist auch eine ökonomische Frage: Wer stellt Geld für Wissenschaft bereit und mit welchen Zielen?
  2. Was ist wissenschaftliches Erkennen und was ist ihr Vorteil als Sicht der Welt?
  3. Demokratie und Pressefreiheit sind nicht selbstverständlich.

Tatsächlich wird die Arbeit mit Studierenden immer politischer, was sich erst kürzlich am großen Interesse am Vortrag von Michael Blume zum Themenfeld "Wahrheit" zeigte.

Am Beispiel der Mathematik zeigen sich konträre Eintwicklungen. Einerseits durchlaufen alle in Deutschland eine mathematische Schulbildung von 10-13 Jahren und setzen das häufig in Ausbildung oder Studium fort. Gesellschaftlich akzeptiert ist jedoch die Aussage: "Das brauche ich später sowieso nicht..." Was noch nie zutreffend war, aber mit der aktuellen Entwicklung in Alltag und Technik immer unwahrer wird, denn

  • fast jede/r muss mit Wahrscheinlichkeiten hantieren und Daten deuten,
  • Kausalität von Korrelation unterscheiden,
  • Entscheidungen beurteilen oder treffen, die auf Computer-Simulationen beruhen.

Man bräuchte dafür auch psychologische Forschung, z.B. um den Umgang von Menschen mit Risikobotschaften besser zu verstehen. Denn wir treffen häufig sehr wichtige Entscheidungen unter Zeitdruck und mit nur teilweise zugänglichen Informationen. Dem trägt inzwischen auch ein von der DFG finanziertes Schwerpunktprogramm Rationalität Rechnung.

Durchdringung der Berufswelt mit Hochtechnologie und Computern

  • führt zu Monitorrückseitenberatung bei Banken/Reisebüros etc. inkl. dem Effekt "the computer says no".
  • Damit wird Erfahrungs- und IInsiderwissen der klassischen Berufsausbildung in Deutschland entwertet.
  • Anweisungen von Spezialisten sind schwerer durchschaubar für untergebene. Dies führt zu latenten Vorbehalten gegen gebildete Leute ("die wissen ja nichts sondern sind nur eingebildet") und einer gefühlten Benachteiligung.
  • Gleichzeitig erfolgt eine versteckte Umverteilung des Vermögens von unten nach oben und damit eine echte Benachteiligung der Mehrheit.
  • Technische und soziale Kompetenz greifen zusammen in der Nutzung moderner Medien.
  • Es ändern sich auch die Formen von Gesprächen hierdurch.
  • Wissenschaftskommunikation muss man deshalb auch auf die Art der Kommunikation der jungen Leute abstimmen.

Man könnte diese Entwicklung doch auch dazu nutzen, um Beratung zu verbessern! Dazu bräuchten Mitarbeiter aber auch Spielraum und eine andere kommunikative Ausbildung. Es ändert auch die Arbeit im Journalismus, denn Nachrichten sind inzwischen überall verfügbar, aber das Einordnen und Wichten wird zum eigentlichen Spezialwissen. Eine wichtige Rolle kommt Modellen zu. Sie ermöglichen die Einordnung der Geschehnisse in der Welt in einen persönlichen Zusammenhang, d.h. genügend vereinfacht, um sie mit Sinn zu füllen und darüber kommunizieren zu können.

Die Schulbildung müsste dem Rechnung tragen, ist aber strukturell unterfinanziert und als Beruf und Berufung ist das Lehramt nicht genug wert geschätzt. Auch Universitäten werden immer abhängiger von Geldgebern mit bestimmten eng gesteckten Zielen.

Wenn offensichtliche Lügen wenig bis gar keine Konsequenzen haben, greift das die Position von rational begründeten Entscheidungen - also auch eine im Kern von wissenschaftlichen Erkenntnissen getragener Weltaneignung - an der Wurzel an. Als Wissenschaftlerinnen können wir das nur schwer ertragen.

Was sind aber Fakten? In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung geht es dabei stets um Interpretation von Daten und unterschiedliche Formen von Gewissheit. Was davon ist diskutabel oder überhaupt öffentlich diskutierbar? Als Menschen in der Forschung müssten wir außerhalb unserer Arbeitswelt offensiv für wissenschaftliche Kriterien werben. Wir müssen verstehen, wieso Leute Kraftposen so bewundernswert finden und rationale Diskussionen als "Liberales Getue" abwerten. Das ist unabhängig von Fakten sondern sehr emotional geprägt.

Wir als Forscherinnen müssen verstehen, dass unser Fortschrittsglaube außerhalb der Wissenschaft in der Gesellschaft nicht geteilt. wird: "Meine Kinder werden es nicht so gut haben wie ich."

Literatur und weiterführende Informationen
  • B. Lugger (Leitung NaWik) Redebeitrag beim March of Science in Heidelberg
  • Bachelor-Studiengang Wissenschaft – Medien – Kommunikation am KIT
  • Master-Studiengang Wissenschaft – Medien – Kommunikation am KIT
  • Blog der Abteilung Wissenschaftskommunikation mit Kurzbeitrag und Storify zum March of Science
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ModellansatzBy Gudrun Thäter, Sebastian Ritterbusch


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