Ein Standpunkt von Rüdiger Pauls.
Zwei Städte stehen im Zentrum der weltweiten Aufmerksamkeit. Sie stehen nicht nur für sich alleine. Sie stehen für Grundsätzliches. In Minneapolis offenbart sich der gesellschaftliche Verfall des Westens, besonders seiner Führungsmacht USA. An Hongkong offenbart sich seine Angst vor diesem Verfall. Hongkong belegt die Ohnmacht des Westens gegenüber China.
Amerikanische Zustände
Über 100.000 Corona-Tote, etwa 40 Millionen Arbeitslose, Reiche, die immer reicher werden, und Arme, die immer mehr werden. Das ist die Lage im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Unbegrenzt sind die Möglichkeiten aber nur für Investoren und Kapitalbesitzer. Alle anderen stoßen sehr schnell an die Grenzen des American way of life. Besonders die schwarzen Bürger versinken immer mehr im Elend. Ihre Zahl an den Arbeitslosen ist mehr als doppelt so hoch wie ihr Anteil an der amerikanischen Bevölkerung. Dasselbe Verhältnis gilt auch für ihre Toten durch die Corona-Epidemie und durch Polizeigewalt.
Im Mutterland der westlichen Werte scheinen diese für einen Großteil der eigenen Bevölkerung nicht zu gelten.
Die Menschenrechte, denen die USA nicht nur unter Trump immer wieder gegenüber Russland und China Geltung verschaffen wollen, wären für die Wortführer im Weißen Haus am leichtesten im eigenen Land umzusetzen. Von Guantanamo ganz zu schweigen, das mittlerweile aus der westlichen Menschenrechtsheuchelei ganz verschwunden ist. Nicht dass dieses Problem gelöst wäre. Es interessiert die Wortführer nicht mehr, auch nicht die alternativen.
In Minneapolis entladen sich Wut und Verzweiflung über die gesellschaftlichen Verhältnisse, aber nicht nur dort. Dass der wiederholte Tod eines schwarzen US-Bürgers durch Polizeigewalt eine solche Welle der Empörung auslöste, macht deutlich, dass es sich um ein landesweites Problem handelt.
Die amerikanische Gesellschaft zerfällt unter dem Druck der Arbeitslosigkeit, der miserablen Gesundheitslage, dem zehntausendfachen Sterben infolge von Corona, dem Verfall der Städte und Infrastruktur, der Kriminalität, dem Niedergang der Industrie und zunehmend auch der Landwirtschaft. Die USA erscheinen immer deutlicher als ein aufgeblasener Heißluftballon, aus dem die Luft entweicht.
Unangemessen
Vermutlich werden die Proteste bald wieder abklingen, wie sie immer abgeklungen sind, nachdem die Wut erschöpft war. Sie laufen sich tot, weil es kein klares Ziel gibt. Und vor allem: Es gibt keine Organisation, die wie zu Zeiten von Martin Luther King und der Bürgerrechtsbewegung den Protest bündeln und ihm eine Stoßrichtung geben könnte. Die Gruppen in den einzelnen Städten scheinen im Moment noch weitgehend für sich zu agieren.
Es ist ein spontaner Protest, hervorgerufen durch ein aktuelles Ereignis. Eine landesweite Vereinheitlichung von Forderung und Handeln ist nicht zu erkennen. Es fehlt die politische Organisierung und die übergeordnete Organisation, der sich die Vielen freiwillig unterordnen im Bewusstsein, dass sie mit einem untereinander abgestimmten Verhalten und Vorgehen ihre Schlagkraft und Erfolgsaussichten erhöhen. Empörung ist kein Ziel.
Das wird es der Regierung und ihren paramilitärischen Kräften leicht machen, die Kontrolle zu behalten und die Oberhand zu gewinnen. Wenn auch bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, so kommt die US-Regierung bisher nicht in Bedrängnis. Die Regierung setzt die Nationalgarde ein, droht mit militärischer Gewalt und zieht über tausend Soldaten der regulären Armee zusammen. Das ist mehr als bei manchen Auslandseinsätzen.
Nun ist die Lage sicherlich nicht so ernst, wie Trump sie zu sehen scheint, weshalb auch gerade altgediente Generäle sich heftig gegen den Einsatz regulärer Truppen gegen das eigene Volk stellen. Sie tun das aber nicht aus grundsätzlichen Erwägungen, nicht weil es der westlichen Menschenrechts-Beschallung widersprechen würde,