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Worüber können Sie staunen? Ich erinnere mich noch sehr genau an ein Erlebnis, das mir bis heute vor Augen steht. Es war das erste Mal, dass ich mit meinem Sohn bei den Domfestspielen in Bad Gandersheim war. Gespielt wurde das Dschungelbuch. Meine Frau und ich hatten im Vorfeld so unsere Zweifel. Unser Sohn war gerade einmal vier Jahre alt. Über eine Stunde Theater – wir dachten: „Das wird ihm bestimmt zu lang. Das wird ihn langweilen.“ Aber wir haben uns geirrt. Und zwar gründlich. Von der ersten Minute an war er fasziniert. Ich musste immer wieder zur Seite schauen, um zu sehen, wie er alles mit großen Augen verfolgte. Mal riss er den Mund vor Staunen weit auf, mal wurden seine Augen riesengroß, und zwischendurch lachte er herzlich und unbeschwert.
Auf dem Rückweg zum Auto redeten unsere Kinder ohne Punkt und Komma. Sie erzählten, was sie gesehen hatten, was sie berührt hatte, was sie lustig fanden. Und natürlich fragten sie gleich: „Können wir das Stück noch mal sehen?“ Ich liebe solche Momente. Wenn Kinder begeistert sind. Wenn sie gar nicht mehr aufhören können zu reden. Wenn sie vor Staunen fast platzen. Und wissen Sie was? Ich ertappe mich oft dabei, dass es mir genauso geht. Wenn ich ein besonderes Bauwerk sehe. Wenn ich mitten in der Natur stehe und ein Moment mich überwältigt. Dann bleibe ich stillstehen. Und ich staune.
So ähnlich stelle ich mir das bei Hesekiel vor. Er war ein junger Mann, als ihn das Schicksal traf: Die Babylonier überfielen das Land, belagerten Jerusalem, plünderten den Tempel. Hesekiel wurde mit vielen seiner Landsleute verschleppt in die Fremde, nach Babylon. Seine Heimat war verloren. Seine Welt lag in Scherben. Gott hatte diese Katastrophe zugelassen, weil das Volk sich immer wieder von ihm abgewandt hatte. Nüchtern betrachtet muss man sagen: Das „Projekt Israel“ war bis dahin nur bedingt gelungen. Statt ein Volk zu sein, das in enger Beziehung zu Gott lebt und dadurch ein leuchtendes Beispiel ist, gab es immer wieder große Enttäuschungen: Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Ausbeutung der Schwachen – und die Hinwendung zu fremden Göttern. Und dann, mitten in dieser Not, mitten in dieser Dunkelheit, öffnet sich Hesekiel der Himmel. Für einen Augenblick darf er schauen. Er darf etwas sehen, das so gewaltig ist, dass es kaum in Worte zu fassen ist. Er sieht Lebewesen, die menschlich wirken und doch ganz anders sind: mit Händen und Füßen, mit Flügeln und Rädern. Ihre Gesichter sind wie Tiere voller Kraft und Majestät – Löwe, Stier, Adler. Alles durchzogen von Licht. Umgeben von Feuer. Blitze zucken. Eine Herrlichkeit, die ihn völlig überwältigt. Und er ringt mit seinen Worten. Im hebräischen Text heißt es immer wieder: „Es war wie … es war ähnlich wie …“ Er kann es nicht genau beschreiben. Er versucht, uns eine Ahnung zu geben – und zugleich bleibt es unbeschreiblich.
Wenn es schon Hesekiel schwerfiel, das Gesehene in Worte zu fassen – dann sollten auch wir vorsichtig sein. Wir tun gut daran, nicht jedes Detail deuten zu wollen. Ich könnte mir vorstellen, Hesekiel würde uns heute sagen: „Darauf kommt es gar nicht an. Wichtiger ist: Ich durfte sehen. Für einen Augenblick durfte ich Gottes Herrlichkeit erleben. Gott hat sich nicht verborgen. Er hat sich gezeigt – mitten in der Dunkelheit.“ Das ist eine wichtige Botschaft: Es gibt Texte in der Bibel, die wollen nicht erklärt werden bis ins Kleinste. Sie laden uns ein stehenzubleiben. Sie laden uns einladen zu staunen. Und ehrlich gesagt: Da packt mich ein bisschen der Neid. So einen Moment hätte ich auch gern. Einen Moment, in dem sich der Himmel öffnet. Einen Augenblick, in dem ich Gott sehen darf. Einen Moment voll von heiligem Staunen.
Ich bin sicher: Mit dieser Sehnsucht bin ich nicht allein. Schon immer wollten Menschen Gott sehen. Einer von Jesu Jüngern, Philippus, bringt diese Sehnsucht einmal direkt zur Sprache. Er sagt: „Herr, zeig uns den Vater, das genügt uns“ (Johannes 14,8). Vielleicht hatte er Bilder im Kopf wie bei Hesekiel. Vielleicht dachte er an Mose auf dem Sinai. An diese gewaltigen, überwältigenden Gotteserfahrungen, von denen die Bibel immer wieder berichtet. Und was antwortet Jesus? Nicht das, was Philippus erwartet hatte. Kein Feuer, keine Blitze, keine gewaltige Vision. Sondern: „Wer mich sieht, sieht den Vater.“ Das ist überraschend. Und doch ist es im Kern dasselbe wie bei Hesekiel.
Gott verbirgt sich nicht. Bei Hesekiel öffnet er für einen Augenblick den Himmel. In Jesus kommt er selbst auf die Erde. Bei Hesekiel ist es ein Bild voller Herrlichkeit, schwer in Worte zu fassen. In Jesus ist es Liebe, Nähe, Zuwendung. Ganz konkret. Ganz menschlich. Ganz erfahrbar. Und beides ist Gott. Und das ist die gute Nachricht: Dieser Gott ist da. Auch in dunklen Zeiten. Damals bei Hesekiel – in all den Katastrophen, als die Heimat und dann auch der Tempel zerstört wurden. Da hat Gott sich nicht versteckt. Er zeigte sich. Und heute bei uns – in den Momenten, in denen unser Leben dunkel ist. In den Momenten, in denen Schuld und Sünde uns gefangen nehmen. Auch da verbirgt er sich nicht. Er zieht sich nicht zurück. Er kommt uns entgegen in Jesus Christus. Er bietet uns seine Vergebung an.
Worüber können Sie staunen? Ich wünsche Ihnen, dass Sie über diesen Gott staunen können. Über den Gott, der größer ist, als wir ihn je beschreiben könnten. Über den Gott, der unbegreiflich ist – und doch ganz nah kommt. Über den Gott, der sich nicht zurückzieht, sondern uns anspricht. Über den Gott, der sich uns zeigt – mitten in den hellen Momenten und mitten in den dunklen Zeiten.
► Mehr Infos zum Buch Hesekiel:
Autor: Daniel Behrens
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Worüber können Sie staunen? Ich erinnere mich noch sehr genau an ein Erlebnis, das mir bis heute vor Augen steht. Es war das erste Mal, dass ich mit meinem Sohn bei den Domfestspielen in Bad Gandersheim war. Gespielt wurde das Dschungelbuch. Meine Frau und ich hatten im Vorfeld so unsere Zweifel. Unser Sohn war gerade einmal vier Jahre alt. Über eine Stunde Theater – wir dachten: „Das wird ihm bestimmt zu lang. Das wird ihn langweilen.“ Aber wir haben uns geirrt. Und zwar gründlich. Von der ersten Minute an war er fasziniert. Ich musste immer wieder zur Seite schauen, um zu sehen, wie er alles mit großen Augen verfolgte. Mal riss er den Mund vor Staunen weit auf, mal wurden seine Augen riesengroß, und zwischendurch lachte er herzlich und unbeschwert.
Auf dem Rückweg zum Auto redeten unsere Kinder ohne Punkt und Komma. Sie erzählten, was sie gesehen hatten, was sie berührt hatte, was sie lustig fanden. Und natürlich fragten sie gleich: „Können wir das Stück noch mal sehen?“ Ich liebe solche Momente. Wenn Kinder begeistert sind. Wenn sie gar nicht mehr aufhören können zu reden. Wenn sie vor Staunen fast platzen. Und wissen Sie was? Ich ertappe mich oft dabei, dass es mir genauso geht. Wenn ich ein besonderes Bauwerk sehe. Wenn ich mitten in der Natur stehe und ein Moment mich überwältigt. Dann bleibe ich stillstehen. Und ich staune.
So ähnlich stelle ich mir das bei Hesekiel vor. Er war ein junger Mann, als ihn das Schicksal traf: Die Babylonier überfielen das Land, belagerten Jerusalem, plünderten den Tempel. Hesekiel wurde mit vielen seiner Landsleute verschleppt in die Fremde, nach Babylon. Seine Heimat war verloren. Seine Welt lag in Scherben. Gott hatte diese Katastrophe zugelassen, weil das Volk sich immer wieder von ihm abgewandt hatte. Nüchtern betrachtet muss man sagen: Das „Projekt Israel“ war bis dahin nur bedingt gelungen. Statt ein Volk zu sein, das in enger Beziehung zu Gott lebt und dadurch ein leuchtendes Beispiel ist, gab es immer wieder große Enttäuschungen: Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Ausbeutung der Schwachen – und die Hinwendung zu fremden Göttern. Und dann, mitten in dieser Not, mitten in dieser Dunkelheit, öffnet sich Hesekiel der Himmel. Für einen Augenblick darf er schauen. Er darf etwas sehen, das so gewaltig ist, dass es kaum in Worte zu fassen ist. Er sieht Lebewesen, die menschlich wirken und doch ganz anders sind: mit Händen und Füßen, mit Flügeln und Rädern. Ihre Gesichter sind wie Tiere voller Kraft und Majestät – Löwe, Stier, Adler. Alles durchzogen von Licht. Umgeben von Feuer. Blitze zucken. Eine Herrlichkeit, die ihn völlig überwältigt. Und er ringt mit seinen Worten. Im hebräischen Text heißt es immer wieder: „Es war wie … es war ähnlich wie …“ Er kann es nicht genau beschreiben. Er versucht, uns eine Ahnung zu geben – und zugleich bleibt es unbeschreiblich.
Wenn es schon Hesekiel schwerfiel, das Gesehene in Worte zu fassen – dann sollten auch wir vorsichtig sein. Wir tun gut daran, nicht jedes Detail deuten zu wollen. Ich könnte mir vorstellen, Hesekiel würde uns heute sagen: „Darauf kommt es gar nicht an. Wichtiger ist: Ich durfte sehen. Für einen Augenblick durfte ich Gottes Herrlichkeit erleben. Gott hat sich nicht verborgen. Er hat sich gezeigt – mitten in der Dunkelheit.“ Das ist eine wichtige Botschaft: Es gibt Texte in der Bibel, die wollen nicht erklärt werden bis ins Kleinste. Sie laden uns ein stehenzubleiben. Sie laden uns einladen zu staunen. Und ehrlich gesagt: Da packt mich ein bisschen der Neid. So einen Moment hätte ich auch gern. Einen Moment, in dem sich der Himmel öffnet. Einen Augenblick, in dem ich Gott sehen darf. Einen Moment voll von heiligem Staunen.
Ich bin sicher: Mit dieser Sehnsucht bin ich nicht allein. Schon immer wollten Menschen Gott sehen. Einer von Jesu Jüngern, Philippus, bringt diese Sehnsucht einmal direkt zur Sprache. Er sagt: „Herr, zeig uns den Vater, das genügt uns“ (Johannes 14,8). Vielleicht hatte er Bilder im Kopf wie bei Hesekiel. Vielleicht dachte er an Mose auf dem Sinai. An diese gewaltigen, überwältigenden Gotteserfahrungen, von denen die Bibel immer wieder berichtet. Und was antwortet Jesus? Nicht das, was Philippus erwartet hatte. Kein Feuer, keine Blitze, keine gewaltige Vision. Sondern: „Wer mich sieht, sieht den Vater.“ Das ist überraschend. Und doch ist es im Kern dasselbe wie bei Hesekiel.
Gott verbirgt sich nicht. Bei Hesekiel öffnet er für einen Augenblick den Himmel. In Jesus kommt er selbst auf die Erde. Bei Hesekiel ist es ein Bild voller Herrlichkeit, schwer in Worte zu fassen. In Jesus ist es Liebe, Nähe, Zuwendung. Ganz konkret. Ganz menschlich. Ganz erfahrbar. Und beides ist Gott. Und das ist die gute Nachricht: Dieser Gott ist da. Auch in dunklen Zeiten. Damals bei Hesekiel – in all den Katastrophen, als die Heimat und dann auch der Tempel zerstört wurden. Da hat Gott sich nicht versteckt. Er zeigte sich. Und heute bei uns – in den Momenten, in denen unser Leben dunkel ist. In den Momenten, in denen Schuld und Sünde uns gefangen nehmen. Auch da verbirgt er sich nicht. Er zieht sich nicht zurück. Er kommt uns entgegen in Jesus Christus. Er bietet uns seine Vergebung an.
Worüber können Sie staunen? Ich wünsche Ihnen, dass Sie über diesen Gott staunen können. Über den Gott, der größer ist, als wir ihn je beschreiben könnten. Über den Gott, der unbegreiflich ist – und doch ganz nah kommt. Über den Gott, der sich nicht zurückzieht, sondern uns anspricht. Über den Gott, der sich uns zeigt – mitten in den hellen Momenten und mitten in den dunklen Zeiten.
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Autor: Daniel Behrens
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