Wie erging es Ihnen, als Sie eben den Bibeltext gehört oder vielleicht sogar mitgelesen haben? Sagen Sie sich auch: „Alles schön und gut. Aber wer kann das?“ Zurück bleibt so das schale Gefühl: Ein Ideal, das unerreichbar ist. Müssen wir damit leben?
Wie immer ist es gut, den Zusammenhang zu beachten. Jesus sagt zuvor, an welche Feinde er insbesondere denkt: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und euch ausstoßen und schmähen und verwerfen euren Namen als böse um des Menschensohnes willen.[1] Es geht also um Menschen, die den Nachfolgern von Jesus feindlich gesinnt sind und das auch zum Ausdruck bringen. Natürlich können wir auch Feindschaft erleben, ohne erkennbaren Grund. Wie sollen wir damit umgehen? Versuchen Sie mit mir, in Jesu Gedanken hineinzuhören.
Feindesliebe – was ist das?
Zunächst: „Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen.“ Jesus meint mit Liebe nicht so sehr ein wohliges Gefühl, sondern denkt an den Willen zum Guten, der auf das Wohlwollen des anderen bedacht ist. Das heißt, wir sollen dem Bösen bewusst etwas Gutes entgegensetzen, das etwas Förderliches in die Situation bringt. Das betrifft unser Tun: „tut wohl“, unser Reden: „segnet“, und unser Gebet: „bittet für sie“. Statt Vergeltung möchte Jesus, dass wir etwas Positives einbringen, das den Gegner vor die Entscheidung stellt, ob er so weitermachen will.
Es lohnt sich, in Ruhe sehr konkret zu überlegen, was dieses „Wohltun“, „Segnen“ und „Fürbitten“ konkret in unserer unschönen, kritischen Situation bedeutet. Denn wenn das bei Feinden gilt, dann erst recht bei Menschen, die zwar nicht unsere Feinde sind, mit denen wir aber doch Ärger haben. Auch wenn solch positive Reaktion Energie kosten mag, eine negative Reaktion kostet auch viel Kraft und schadet zudem uns selbst.
Konstruktiv denken und handeln
Weiter meint Jesus: „Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar; und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht.“ Es gibt eine Großzügigkeit, die es sich leisten kann, nicht mit gleicher Münze heimzuzahlen. Statt an Vergeltung zu denken, können wir fragen: „Was bringt uns in diesem Konflikt jetzt weiter?“ Und vielleicht sogar: „Was braucht vielleicht der, der uns Ärger bereitet?“ Das hat nichts damit zu tun, sich alles und jedes widerspruchslos gefallen zu lassen. Selbst Jesus hat zurückgefragt, als ihm ins Gesicht geschlagen wurde: „Habe ich recht geredet, was schlägst du mich?“ [2] Das war nicht Schwäche, das war Stärke.
Jetzt legt Jesus uns eine grundsätzliche Überlegung nahe: „Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch!“ Vielleicht notieren Sie gleich mal, was für Sie wichtig ist, wie andere Ihnen begegnen sollen. Meine spontane Liste enthielt: „Mir Respekt entgegenbringen, mir die Freiheit lassen, mich fördern wollen ...“ Und schon merke ich: Irgendwie ist es genau das, was Jesus bei uns sehen möchte: tut wohl, segnet, betet für sie. Und ja: Wie würde ich mir wünschen, dass mir das auch dann noch entgegengebracht wird, wenn ich versagt habe. Sollte ich dann dem anderen – sogar meinem Feind – diese Chance nicht geben?
Doch wie ist es, wenn von der anderen Seite aber nichts zurückkommt? Jesus sagt dazu: „Und wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben, die ihnen Liebe erweisen. ... Vielmehr liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht, ohne etwas dafür zu erhoffen.“ Wir können nicht damit rechnen, dass unsere Güte immer von dem anderen honoriert wird. Doch soll uns das abhalten, aus Liebe etwas in die Beziehung zu investieren? Wenn Jesus sagt, dass „Geben seliger ist als nehmen“ [3], dann werden wir bei solcher Großzügigkeit nur gewinnen.
Mich würde nicht wundern, wenn bei Ihnen mittlerweile das Gefühl aufkommt: „Das wird mir zu viel.“ Wird hier nicht einfach etwas schöngeredet, aber in der Praxis sieht es doch ganz anders aus?
Wenn Jesus uns so herausfordert, sagt er damit ja nicht, dass Hass oder Beleidigung etwas Gutes ist. Jemandem ins Gesicht zu schlagen und ungefragt jemandem etwas zu nehmen, ist nicht gut. Wir haben gesehen, dass Jesus schon weiß, was Recht und Unrecht ist. Nicht nur das, er spricht es auch an. Auch Paulus machte es so, als er unrechtmäßigerweise ins Gefängnis gesteckt wurde. In Apostelgeschichte 16 lesen wir, dass er auf seine öffentliche Rehabilitierung bestand. [4]
Jesus geht es hier nicht um eine moralische Checkliste, wie man sich verhält, wenn einem Unrecht widerfährt. Es kann Fälle geben, wo es nicht nur um eine individuelle Verletzung, sondern um ein weitaus höheres Gut geht. Manchmal müssen wir entschieden für Gerechtigkeit eintreten. Allerdings als Menschen, durch die Gottes Gnade und Wohlwollen Raum gewinnen kann. Wie finden wir zu solch einer Haltung?
Ermutigung zu liebevollem Handeln
Eine Antwort finden wir zum Schluss unseres heutigen Bibelabschnitts. Jesus sagt: „So wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Kinder des Höchsten sein; denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.“ Hierin haben wir eine dreifache Ermutigung zu solch einem neuen Lebensstil.
1. „Euer Lohn wird groß sein.“ Manchmal werden wir überrascht, dass es in einem Konflikt zu einer Wendung kommt, wenn wir ruhig und überlegt auf eine brenzlige Situation eingehen. Oftmals jedoch müssen wir unseren Blick über unsere Situation hinaus, vielleicht sogar über unsere Zeit hinaus auf Gottes neue Welt richten. Gott vergisst nicht, was seine Kinder erlebt haben und was sie eingebracht haben. Es wird belohnt mit der Freude, wie wir sie in seinem herrlichen Reich erleben werden.
2. „Ihr werdet Kinder des Höchsten sein.“ Natürlich nicht erst in der neuen Welt. Jesusnachfolger sind es schon jetzt und erweisen sich als solche. Sie verstehen sich nicht als Duckmäuser oder willenlose Opfer, sondern als bewusste Kinder des Höchsten. Mehr Würde, aus der ein gesundes Selbstbewusstsein erwächst, geht nicht.
3. „Der Höchste ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.“ Jesus sagt damit: Ihr sollt so sein, weil Gott so ist. Er schenkt allen Gutes, ob sie es verdienen oder nicht. Ihr habt diese großzügige Liebe Gottes erlebt. Paulus erinnert daran im Römerbrief, dass „wir mit Gott versöhnt worden sind ... als wir noch Feinde waren. [5]“ Darum ist euch diese Liebe möglich. Die nächste Möglichkeit kommt bestimmt, das einzuüben.
[3] Apostelgeschichte 20,35
[4] Apostelgeschichte 16,37ff
Autor: Pastor Siegfried Leferink
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