Paulus und Silas befinden sich im Gefängnis. Mit schmerzendem Rücken hocken sie in der kalten und feuchten Gefängniszelle.
Doch sie versinken nicht in Selbstmitleid. Sie klagen auch Gott nicht an, warum er zulässt, dass ihnen Unrecht geschieht. Aller Angst und Trostlosigkeit zum Trotz loben sie Gott.
Ich höre sie singen: „Großer Gott wir loben dich, Herr wir preisen deine Stärke …“ – wenn es diesen wunderbaren Choral damals schon gegeben hätte.
Im Gefängnis wurde wohl oft geklagt, geschrien oder geflucht. Ich kann mir vorstellen, wie sich durch den Gesang der beiden schlagartig die Atmosphäre im Gefängnis verändert hat.
Das Jammern und Klagen der Mitgefangenen verstummt. Da kommt plötzlich Licht in die Dunkelheit der Gefängniszelle. Vielleicht kommen bei manchen Gefangenen Kindheitserinnerungen hoch, als die persönliche Welt noch in Ordnung war, als die Mutter zum Einschlafen noch ein Lied gesungen hat.
Paulus und Silas denken offensichtlich nicht, jetzt habe Gott sie verlassen. Im Gegenteil, indem sie Gott hier loben, bringen sie ihn mit ins Gefängnis, bringen ihn zu den Mitgefangenen und schließlich zum Gefängnisaufseher. Sie erleben und bezeugen, was Dietrich Bonhoeffer in seinem Gedicht zum Ausdruck bringt: „Gott ist mit uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“
Meine Frau hat seit Jahren Krebs. Mehr als 10 Operationen hat sie überstanden. Nach jeder OP lag sie kraftlos darnieder. In der akuten Coronazeit durfte ich sie einige Tage nicht besuchen. Menschlich gesehen, war sie wie hinter Gefängnismauern. Ich und viele andere, die sie kennen, haben sie immer wieder bewundert, wie tapfer sie diese schwierigen Zeiten überstanden hat. Sie hat sich immer wieder auf diese Zeiten, in denen sie der Krankheit und der Kraftlosigkeit ausgeliefert war, innerlich vorbereitet. Sie hat Gesangbuchlieder auswendig gelernt. Vor allem die vielen Verse des Liedes von Paul Gerhardt: „Befiehl du deine Wege…“
Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt
der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt.
Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn,
der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.
Wenn sie kraftlos darniederlag, oft auf der Intensivstation, hat sie diese wertvollen Texte innerlich, manchmal auch laut gebetet oder gesungen. Dies hat ihr geholfen, nicht in Hoffnungslosigkeit zu versinken. Diese wertvollen Texte haben ihr Trost und Zuversicht gegeben.
Hoff, o du arme Seele, hoff und sei unverzagt!
Gott wird dich aus der Höhle, da dich der Kummer plagt,
mit großen Gnaden rücken; erwarte nur die Zeit,
so wirst du schon erblicken die Sonn der schönsten Freud.
Auf, auf, gib deinen Schmerzen und Sorgen gute Nacht,
lass fahren, was dein Herze betrübt und traurig macht;
bist du doch nicht Regente, der alles führen soll,
Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl.
Neben diesen verinnerlichten Texten ist sie dankbar für die Unterstützung von außen. Durch die Audiothek von ERF Plus hat sie oft die Sendung „Gern gehört“ aufgerufen und sich die trostvollen Lieder zusingen lassen.
Im übertragenen Sinn erlebte sie immer wieder, wie die Gefängnismauern der Angst einstürzen.
Ich muss nicht hinter Gefängnismauern sitzen oder eine unheilbare Krankheit haben, um mich wie eingemauert, hilflos und wehrlos zu fühlen.
Ich denke an die Menschen in Kriegsgebieten oder bei Naturkatastrophen. Ich denke an Menschen, deren Ehe gescheitert ist. Manche empfinden auch ihre Ehe wie ein Gefängnis, weil einer den andern ständig bevormundet oder gar demütigt. Ich denke an Menschen, die allein leben, allein in ihren vier Wänden oder in einem Seniorenheim. Ich denke an Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten zu uns gekommen sind. Ich denke an Menschen, die in ihrer Depression gefangen sind, wie in einem Gefängnis.
Ich weiß nicht, in welcher Lebenssituation Sie, liebe Hörerin, lieber Hörer, sich befinden.
Vielleicht kann diese Geschichte von Paulus und Silas Ihnen einen wertvollen Impuls geben.
Zunächst erleben die beiden absolute Hilflosigkeit. Sie lehnen sich nicht gegen ihr Schicksal auf. Sie beschweren sich nicht. Sie protestieren nicht. Sie schlagen nicht mit den Fäusten gegen die Wand. Sie schimpfen nicht über die geldgierigen Geschäftsleute und nicht über die Hauptleute, die ihre Macht missbrauchen. Sie rufen auch nicht zu einer Gefängnisrevolte auf. Sie laufen nicht mal weg, nachdem die Tore aufgesprungen sind.
Sie bringen ihre Situation vor Gott. Sie leben das, was Paulus später im Brief an die Römer schreibt: „Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“
Dass Gott diesen kurzen Gefängnisaufenthalt dazu nutzt, damit der Gefängnisaufseher die Botschaft von Jesus erfährt und zum Glauben kommt, das hätten Paulus und Silas nicht ahnen und nicht planen können.
Keiner soll sich schwierige Lebenssituationen wünschen. Doch ich kann einüben, mein Leben auf Gott auszurichten, damit ich in schwierigen Zeiten den Halt nicht verliere.
Ich schließe mit einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer:
Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.
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