"J'accuse...! – "Ich klage an...!" Fettgedruckt über sechs Spalten leitet diese Schlagzeile den wohl schlagkräftigsten Zeitungsartikel aller Zeiten ein: Der bekannte Schriftsteller Emile Zola wendet sich gegen den französischen Staatspräsidenten in einer heiklen Staatsaffäre... Hintergrund des offenen Briefs ist die so genannte Dreyfus-Affäre. Vier Jahre zuvor war der jüdische Artillerie-Hauptmann Alfred Dreyfus zu Unrecht wegen Geheimnisverrats verurteilt worden: Antisemitismus, Rechtsbeugung und Nationalismus waren eine gefährliche Mischung eingegangen. Zolas flammendes Plädoyer für Dreyfus' Unschuld spaltete 1898 mit einem Schlag die französische Nation in zwei unversöhnliche Lager. Zwei Tage zuvor hatte der Freispruch des wirklichen Landesverräters das Maß für die Verteidiger des jüdischen Offiziers vollgemacht. Zolas publizistischer Stich ins Wespennest der ideologischen Konstruktion eines Schuldigen aus Gründen der Staatsräson brachte dem Schriftsteller den beabsichtigten Verleumdungsprozess, eine Verurteilung und ein Jahr Exil ein, vor allem aber die juristische Revision des Urteils und schließlich eine Rehabilitierung von Alfred Dreyfus. Darüber hinaus hatte "die Affäre" weit über die Landesgrenzen hinausgehende Folgen für die Verfechter eines verbohrten gefühlsbetonten Nationalismus auf der einen, und die Anhänger einer strikt laizistischen demokratischen und toleranten Staatsform auf der anderen Seite. Eine Kontroverse, die leider aktueller nicht sein könnte. Emile Zola selbst kostete sein Einsatz 1902 vermutlich das Leben.