Atombomben zünden im eigenen Land? Speicherseen aus der Erde sprengen mit nuklearen Sprengköpfen, ganze Bergketten pulverisieren für eine Autobahn? Oder gleich einen Durchbruch vom Atlantik zum Pazifischen Ozean mit einigen Nuklearexplosionen graben - und dafür Millionen Menschen umsiedeln? Klingt absurd. Und doch gab es in der Zeit des Kalten Krieges in den USA und der Sowjetunion ernstzunehmende Projekte dazu. Von Markus Mähner (BR 2025)
Credits
Autor: Markus Mähner
Regie: Rainer Schaller
Es sprachen: Burchard Dabinnus, Hemma Michel, Friedrich Schloffer, Peter Veit
Technik: Robin Auld
Redaktion: Thomas Morawetz
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Linktipps
Deutschlandfunk (2024): Die Atombombe – Wie die schlimmste Waffe aller Zeiten Frieden schaffen soll
Russlands Präsident Wladimir Putin droht offen mit seinen Atombomben. Seither diskutiert der Westen wieder über nukleare Abschreckung. Können Atomwaffen tatsächlich Kriege verhindern? Die Geschichte liefert Antworten. JETZT ANHÖREN
Deutschlandfunk Kultur (2020): Atomwaffen in Deutschland – Leben mit der Bombe
Seit über sechs Jahrzehnten lagern US-amerikanische Atombomben in Deutschland. Im Kalten Krieg waren es tausende, heute sind es knapp zwei Dutzend. Sie schützen uns im Rahmen der Nato, sagen die einen. Sie machen uns zum Angriffsziel, sagen die anderen. JETZT ANHÖREN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an [email protected].
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
JETZT ENTDECKEN
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHER
Ein Werbefilm der Amerikanischen Atomenergiebehörde, der AEC…
AEC 2:
"The 100kT Nuclear Explosion excavated more than 6 Million cubic Yards of Earth in a Matter of Seconds.
SPRECHER
Er beschreibt begeistert, wie in nur wenigen Sekunden gut viereinhalb Millionen Kubikmeter Erde weggesprengt wurden.
AEC 2:
The result was a crater more than 12000 Feet in Diameter, the length of 4 Football-Fields and 325 Feet Deep - the height of a 32-storey Building. Created in less time than it takes to describe it."
SPRECHER
Ein Krater blieb, der so tief war wie ein 32-stöckiges Hochhaus! Wie war das zu schaffen? – Die AEC schwärmt in dem Film von den Folgen eines Kernwaffentests im Testgelände Nevada vom 6. Juli 1962, dem sogenannten Project Sedan. Und diese hocheffiziente Sprengung war angeblich ohne gravierende Nebenwirkungen zu haben. Denn: 95 Prozent der freigesetzten Radioaktivität verblieben im Krater, hieß es. Die restlichen 5 Prozent seien gleich daneben niedergegangen, so die AEC.
SPRECHERIN
Die Wirklichkeit jedoch sah ein wenig anders aus: Tatsächlich war der radioaktive Niederschlag ungefähr fünfmal so hoch wie erwartet. Ein Wissenschaftler mit Studenten von der Universität Utah war zufällig genau an diesem Tag mit Geigerzählern unterwegs. Auch wenn sie über 600 Kilometer von der Sprengung entfernt waren, so war die radioaktive Belastung doch so hoch, dass sie unverzüglich in die Universität zurückkehrten. Noch Monate später wurde – wenn auch nur geringer - radioaktiver Fallout bis in die Nähe von Chicago nachgewiesen. Über 2000 Kilometer entfernt! Heute geht man davon aus, dass durch Sedan etwa 7 Prozent der Bevölkerung der USA, also ungefähr 13 Millionen Menschen radioaktiv belastet wurden.
SPRECHER
Sedan war nur einer von vielen Kernwaffentests, die die USA im Namen der „friedlichen“ Erforschung dieser unglaublichen Kraft durchführten. Das sogenannte „Plowshare“-Programm sollte zeigen, dass man damit Häfen, Kanäle, Straßen oder Speicherseen bauen könnte.
AEC 1:
This is the peaceful potential of nuclear explosives that the US is developing for all mankind in a program it calls PLOWSHARE." - Musik
SPRECHER
„Friedliche Nukleare Sprengungen für den Nutzen der ganzen Menschheit“. Nichts weniger versprach der Werbefilm der AEC.
Kaufman 21
Well, I was fascinated by it because I happened to come across it while working on a different project, and I thought: This cannot be true! But it was! It's it's another example of the idea that science has all the answers, when sometimes science doesn't.
VO:
Ich bin zufällig darüber gestolpert und dachte mir: Das kann nicht wahr sein! Aber es war Wirklichkeit! Ein weiteres Beispiel für die Vorstellung, die Wissenschaft hätte Antworten auf alle Fragen. Aber so ist es einfach nicht!
SPRECHERIN
Scott Kaufmann, Historiker an der Francis Marion Universität in South Carolina, hat sich ausführlich mit dem Projekt Plowshare beschäftigt und letztlich ein ganzes Buch darüber geschrieben. Darin setzt er sich unter anderem mit seiner eigenen Verwunderung auseinander. Seiner Verwunderung darüber, wie Menschen in den 1950er und 1960er Jahren der Idee verfallen konnten, Kernwaffen im eigenen Land einzusetzen, lediglich, um Gräben – wenn auch recht große – zu graben. Eine Verwunderung, die er heute wohl mit den meisten Menschen teilt.
SPRECHER
In den Nachkriegsjahren war das anders. Damals galt die Kernenergie als verheißungsvolle Energiequelle für ein paradiesisches Zeitalter:
Kaufman 19
[...] We have to keep in mind that there was and I think still is enormous faith in science. [...] And if we look back at the 1950s, which is when Plowshare began, there was this idea that everybody would have their own private plane, that they would fly around. That we [...] would get to the moon by the end of the century and even have bases on the moon. This faith in science and what it could do for us, what it could achieve. And that's a part of Project Ploughshare: This faith in science. You tie into that Dwight Eisenhower's idea that he gave 1953 called „Atoms For Peace“:
VO:
Wir dürfen nicht vergessen: Es gibt einen starken Glauben an die Kraft der Wissenschaft. Besonders in den 1950er Jahren, als das Projekt Plowshare anfing. Man dachte: Jeder würde bald seinen Privatjet haben, man würde Mondbasen bauen. Dieser ungebremste Glaube an die Fähigkeiten der Wissenschaft spiegelt sich auch in Dwight D. Eisenhowers berühmter Rede vor den Vereinten Nationen wider, der „Atoms for Peace“-Rede von 1953:
Eisenhower:
"It is not enough to take this weapon out of the Hands of the soldiers. It must be put in the Hands of those who have the Know-how to strip its military casing and adapt it to the Acts of Peace. The United States knows that if the fearful trend of atomic military build-up can be reversed, this greatest of destructive forces can be developed into a great boon, for the benefit of all mankind.
ZITATOR
„Wir müssen diese Waffe nicht nur dem Militär wegnehmen, wir müssen ihre zerstörerische Kraft in die Hände derer legen, die sie so weiterentwickeln können, damit sie ein Segen für die gesamte Menschheit wird,…“
Kaufmann 19b
[...] So you have that in mind. And add to that the idea that this would be cheaper. It would be faster. You put it all together and you end up with this idea: yes, we can control the atom! Yes, we can make the atom do our bidding! And by doing that, we can use the atom to lead us down the path of progress, the path of modernity and do it far faster and far cheaper than by using conventional means!
VO:
Und wenn man zu diesen Gedanken auch noch die Vorstellung hinzufügt, es würde alles viel billiger und schneller machbar sein, dann kommt man schnell zu dem Schluss: Ja, wir können die Kraft des Atoms kontrollieren und ihm befehlen was es für uns zu tun hat!
SPRECHERIN
Der Glaube an die Kontrollierbarkeit einer nuklearen Kettenreaktion spiegelt sich nicht nur in Werbefilmen wie „Unser Freund, das Atom“ von Walt Disney aus dem Jahr 1956 wider:
SPRECHER
1957 nehmen die USA das erste Kernkraftwerk in Betrieb. Ein Jahr später stellt Ford Pläne für das Nucleon vor, ein mit Atomkraft betriebenes Auto. Gleichzeitig läuft die Nautilus, das erste US-Atom-U-Boot, vom Stapel.
SPRECHERIN
Dass das Atom nicht immer nur unser Freund ist, zeigt wiederum ein Vorfall im März 1958: Ein US-Kampfjet verliert versehentlich eine Atombombe über einer kleinen Farm in South Carolina. Zwar war die Bombe nicht mit spaltbarem Material versehen; der Auslöser explodierte dennoch und hinterließ dort, wo sich einmal die Farm befand, ein 10 Meter tiefes und 25 Meter breites Loch – und einen Zweifel an den Glauben der Beherrschbarkeit des Atoms: Denn was wäre passiert, wenn die verlorene „Atombombe“ tatsächlich spaltbares Material an Bord gehabt hätte?
SPRECHER
Als der ein wenig aus dem Ruder gelaufene Kernwaffentest „Projekt Sedan“ im Juli 1962 stattfindet, ist das Projekt Plowshare schon viele Jahre alt und bereits in der Krise. Einen Monat später, im August, wird das erste Vorhaben des Plowshare-Programms offiziell als beendet erklärt: das Projekt Chariot, dessen Anfänge schon fast zehn Jahre zurückreichen. Scott Kaufman:
Kaufman 1
What they wanted to do was to build a port using nuclear explosives. And the idea was that the port would be located near coal and oil reserves, so that way the people could use the port to ship out the coal and oil.
VO:
Sie wollten einen Hafen mit Hilfe von Kernwaffen bauen. Ganz in der Nähe von Kohle- und Ölvorkommen, die dann verschifft werden sollten.
SPRECHERIN
Damit wollte man zeigen, welche Möglichkeiten solche Bomben für friedliche Projekte hatten. Dennoch war man sich der Gefahr der radioaktiven Strahlung wohl bewusst. Es musste also in einem wenig besiedeltem Gebiet stattfinden. Arthur Larson, stellvertretender Arbeitsminister in der Regierung Eisenhowers, hatte damals die Idee:
ZITATOR
„Warum nicht einen einigermaßen abgelegenen Ort – wie zum Beispiel Alaska – finden, der einen Hafen braucht, und die ganze Arbeit mit einer einzigen Explosion erledigen?“
SPRECHERIN
Frei nach dem Motto des damaligen US-Verteidigungsministers „Far more bang for the buck!“ - „Mehr Wums für Piepen!"
SPRECHER
Edward Teller, der „Vater der Wasserstoffbombe“ und glühendster Befürworter des Plowshare-Programms ist begeistert! Und sogleich ist auch ein Ort gefunden: Cape Thompson an der Westküste Alaskas. Einziges Problem: Die Nähe zu Russland.
Kaufman 5b
If you can't guarantee which way the wind is going to be blowing that day - what if the wind not blows from the west, but blows from the east: You're then going to have radioactivity falling over the Soviet Union, which is not that far away, and the Soviets are not going to be happy about that.
VO:
Was ist, wenn der Wind an dem Tag nicht aus Westen, sondern aus Osten weht? Dann wird Radioaktivität über der Sowjetunion niedergehen. Die ist nicht weit entfernt. Und die Sowjets werden darüber nicht erfreut sein.
SPRECHERIN
Dass in dem Gebiet auch eine indigene Bevölkerung wohnt, scheint erst einmal niemanden zu stören. Besonders nicht Edward Teller, der Zweifel darüber, ob diese weiter jagen und fischen könnten, ein für allemal aus dem Weg räumt:
ZITATOR
„Wir interessieren uns nicht dafür, den Eskimo als Jäger zu erhalten. Wir wollen ihm die Gelegenheit verschaffen, in einer Kohlenmine zu arbeiten.“
SPRECHERIN
Um die Bevölkerung in der 30 Meilen von Cape Thompson entfernten Stadt Point Hope zu beschwichtigen, reist im August 1958 Gary Higgins dorthin, leitender Wissenschaftler des Plowshare-Programms. Er versichert den Bewohnern, die freigesetzte Radioaktivität sei ungefährlich. Es könnten lediglich einige Scheiben in ihren Häusern kaputt gehen. Und ja, die müssten sie ohnehin für so ungefähr ein Jahr verlassen – nur um sicher zu gehen. Falls irgendetwas schieflaufen würde - was eigentlich unvorstellbar sei – dürften sie selber entscheiden, ob sie zurückkehrten oder nicht.
SPRECHER
Doch Higgins spricht lediglich mit den aus den USA zugezogenen Bürgern, nicht mit den Ureinwohnern, den Inupiat – die von der AEC stark unterschätzt werden: Nicht nur schreiben sie Briefe mit Bitte um Aufklärung an die Atomenergiebehörde, sie unterrichten auch andere Indigene aus ganz Alaska, was die US-Regierung mit ihrem Land vorhat. Daraus entsteht die erste landesweite Zeitung für Indigene.
Kaufman 4
You had indigenous people, Eskimos, living in the area who said: We're very well aware of what happened to Hiroshima. We're very well aware of other accidents that have taken place with nuclear explosives, such as one near Bikini Atoll that ended up killing a Japanese sailor and injuring others because of the fallout. And they said: we have no evidence that you can do this safely. And there is no way that we are going to support this if you can't do this safely. And the opposition of those individuals in Alaska expanded to include scientists, politicians and others throughout the country. It became nationally known what the Atomic Energy Commission wanted to do and generated intense opposition.
VO:
Die Indigenen aus der Gegend sagten: Wir wissen genau, was in Hiroshima passiert ist. Wir kennen auch andere Unfälle mit nuklearen Sprengstoffen, wie zum Beispiel dem nahe des Bikini-Atolls, bei dem ein japanischer Matrose starb und andere durch den radioaktiven Niederschlag verseucht wurden. Es gibt keine Belege dafür, dass dies hier nicht passiert. Und solang dies der Fall ist, werden wir das auf keinen Fall unterstützen. Und der Widerstand dieser Indigenen in Alaska wurde landesweit bekannt und löste heftigen Widerstand in den ganzen Vereinigten Staaten aus.
SPRECHERIN
Das Problem war also größer als gedacht. Da half es auch nicht, dass die AEC bereits im Jahr 1959 – Alaska war soeben 49. Bundesstaat der USA geworden - Wissenschaftler in das Gebiet sandte, um Umweltverträglichkeitsuntersuchungen anzustellen.
Kaufman 5
The Atomic Energy Commission, the AEC, did hire scientists, local scientists, who conducted what were called bioenvironmental surveys to try to learn more about the geology, the geography, the plants, the animals, the people living in the area. And what they were discovering was if you test something like this, if you conduct this experiment it increasingly became clear you're going to have an enormous amount of fallout that is going to cause radioactive that can have enormous amount of fallout that's going to affect the plants on which the reindeer eat - the reindeer which the locals eat. It's going to get in their systems. It is going to cause immense harm to the local ecology, is going to cause immense harm to the human population. And this would be an absolute disaster.
VO:
Man wollte mehr über die Geologie, Geographie, Pflanzen, Tiere und Menschen in der Region erfahren. Dabei wurde immer deutlicher: Wenn man solche Tests durchführt, kommt es zu enormen Mengen radioaktiven Niederschlags, der von den Pflanzen aufgenommen wird. Und die werden von den Rentieren gegessen. Und die Rentiere werden von der lokalen Bevölkerung gegessen. Es wird also sowohl der lokalen Ökologie als auch der Bevölkerung enormen Schaden zufügen. Das wäre eine absolute Katastrophe.
SPRECHER
Denn die nukleare Sprengkraft, um die es hier ging, war um einiges höher als man das bisher kannte.
Kaufman 2
It started out around 500 kilotons and they reduced it to about 260 kilotons. So they kept changing the amount, but we're still talking about a huge amount of explosives. Just to give you an idea what I'm talking, what I'm explaining here: The bomb that was used in Hiroshima, Japan, that killed 100,000 people was 17 kilotons, so 17,000 tons of TNT. At Chariot we're talking about at a minimum. 260 to 280 kilotons, so many times more powerful than what was used on Japan.
VO:
Sie begannen mit einer Sprengkraft von etwa 500 Kilotonnen. Die wurde später auf etwa 260 Kilotonnen reduziert. Es handelt sich aber dennoch um eine riesige Menge Sprengstoff: Die Bombe, die in Hiroshima eingesetzt wurde und 100.000 Menschen tötete, hatte 17 Kilotonnen, also 17.000 Tonnen TNT. Bei Chariot sprechen wir von mindestens 260 bis 280 Kilotonnen, also um ein Vielfaches stärker als die Atombombe von Hiroshima.
SPRECHERIN
Als dann auch noch die Forscher, die man nach Kap Thompson entsandt hatte, zu vehementen Gegnern des Projekts werden und öffentlich dagegen Stimmung machen – allen voran der Geograph Don Foote und die Biologen Leslie Viereck und William Pruitt – gerät das Projekt Chariot immer mehr ins Stocken. Im August 1962 wird Chariot endgültig offiziell als beendet erklärt. Da hat es bereits nahezu 4 Millionen Dollar aufgefressen. Ein Hafen entstand zwar nicht, aber etwas vielleicht viel Wichtigeres:
Kaufman 7
Yes, we learned a lot about the people, about the animals, about the plants, the geography of that region. So certainly in that respect, Chariot provided us with an enormous amount of information. But luckily the blast itself did not take place.
VO:
Ja, wir haben eine Menge über die Menschen, die Tiere, die Pflanzen und die Geographie dieser Region gelernt. Ein Glück, dass die Sprengung nicht stattgefunden hat.
SPRECHER
Ein Grund, warum man sich Anfang der 1960er Jahre immer weniger für den Hafen am Cape Thomson interessiert, ist wohl auch, dass ein anderes, viel größeres Projekt immer mehr Form annimmt. Ein Projekt, das als zentrales Vorhaben des Plowshare-Programms gilt, und für das wohl auch der Hafen in Alaska nur als Testlauf geplant war:
AEC 5:
"The most dramatic example so far is in central america…
SPRECHER
… der Bau eines neuen Mittelamerika-Kanals - als Alternative zum engen Panama-Kanal.
SPRECHERIN
Der bereits 1904 gebaute Panamakanal war mit dem Wirtschaftsboom der USA nach dem Zweiten Weltkrieg zu klein geworden. Und so entstand in den 1950er Jahren die Idee, einen neuen Kanal zu bauen.
Kaufman 9
There's two things to keep in mind about the Panama Canal: It is not a Sealevel Canal it uses a set of locks to raise and lower ships between the Atlantic and Pacific Oceans and vice versa. And the locks are only about 1100 feet long. And they're about 110 feet wide. That restricts the size of ships that can use the Panama Canal. [...]
The other issue is what if somebody, whether it be a government, a terrorist organization, decided to make life as difficult as possible for the United States by launching an attack internally or externally against the locks? If you damage those locks, the canal becomes unusable. And for the United States, which relied very heavily on those locks, not only descend commercial ships through the canal, but also military ships. That was very worrisome.
VO:
Beim Panamakanal gibt es zwei Dinge zu beachten: Er ist kein Meeresspiegelkanal, sondern nutzt Schleusen zum Heben und Senken von Schiffen zwischen Atlantik und Pazifik und umgekehrt. Die Schleusen sind nur etwa 330 Meter lang und etwa 33 Meter breit. Das schränkt die Größe der Schiffe ein, die den Panamakanal nutzen können. [...] Und: Was wäre, wenn jemand - sei es eine Regierung oder eine Terrororganisation - einen Angriff auf die Schleusen startet? Werden diese Schleusen beschädigt, wird der Kanal unbrauchbar. Und für die Vereinigten Staaten, die stark auf diese Schleusen angewiesen waren, war es sehr beunruhigend, da nicht nur Handelsschiffe, sondern auch Militärschiffe den Kanal passierten.
SPRECHERIN
Deswegen wollte man einen neuen Kanal bauen, der keine Schleusen benutzte. Doch ohne eine „saubere Bombe“, also eine nukleare Sprengung, die praktisch keinen radioaktiven Fallout verursacht, konnte man dieses Projekt nicht umsetzen.
Kaufman 3
People who were involved in Project Plowshare, both scientists and non scientists, such as members of Congress, believed that it was possible to control the atom, to control the amount of radioactive fallout. So what they want to do was to create what they called „a clean explosive“, one that would have very little radioactive fallout, cause very little radioactivity and not pose a danger to plants, animals or humans in the area.
VO:
Alle, die am Projekt Plowshare beteiligt waren, glaubten, dass es möglich sei, das Atom und die Menge des radioaktiven Niederschlags zu kontrollieren. Sie wollten daher einen sogenannten „sauberen Sprengstoff“ entwickeln, der nur wenig radioaktiven Niederschlag und Radioaktivität verursacht und keine Gefahr für Pflanzen, Tiere oder Menschen in der Umgebung darstellt.
SPRECHERIN
Eine Entwicklung die nur mit dem uneingeschränkten Glauben an die grenzenlosen Fähigkeiten der Wissenschaft möglich ist.
SPRECHER
Ein Glaube, den die Atomenergiebehörde zweifellos hatte:
AEC 4:
Safety and Technology - the two inseperatable Parts of the Plowshare program"
SPRECHER
Sicherheit und Technologie – zwei untrennbare Teile des Plowshare Programms.
SPRECHERIN
Die Wirklichkeit sah anders aus. Scott Kaufman:
Kaufman 3b:
The problem was: Trying to develop a clean explosive proved very, very difficult and ultimately was one of the reasons why Plowshare failed.
VO:
Plowshare scheiterte schließlich daran, dass sie es nicht schafften, eine „saubere Bombe“ zu entwickeln.
SPRECHER
Und somit scheiterte auch der Plan eines zweiten Mittelamerika-Kanals. Denn hierfür wäre eine unvorstellbare Sprengkraft nötig gewesen – selbst für die kürzeste geplante Route.
Kaufman 10
[...] But we're talking about now, not kilotons of explosives, but megatons - many, many megatons of explosives! We´re talking about hundreds of megatons to build either one of those waterways. To give you an example: what I'm talking about: to build the Sasarti-Morti one of the explosives would have to be 35 megatons. Now that would make it over 2000 times as powerful as the bomb used on Hiroshima, Japan. [...] Now that's just we're talking about one explosives of hundreds of various sizes that would have to be used. [...] And by the end of 1963 you have something called a limited test ban treaty, which banned any above ground or atmospheric nuclear test that could lead to fallout over another nation's borders. Well, if you're exploding a bomb of 35 megatons, you're going to have fallout over another nations borders. Especially we're talking about countries as small as Costa Rica, Nicaragua and Panama. Unless you can build a truly clean explosive which the Atomic Energy Commission never achieved, you're not going to be able to build a canal as they were.
VO:
Wir sprechen hier nicht nur von Kilotonnen Sprengstoff, sondern von Megatonnen – vielen, vielen Megatonnen Sprengstoff! Wir sprechen von Hunderten von Megatonnen für den Bau einer dieser Wasserstraßen. Für den Bau müsste eine Bombe 35 Megatonnen stark sein. Das wäre über 2000-mal stärker als die Hiroschima-Bombe. Das wäre aber nur eine Bombe von Hunderten, die eingesetzt werden müssten. Ende 1963 wurde ein Atomteststoppvertrag geschlossen, der alle oberirdischen oder atmosphärischen Atomtests verbot, die zu radioaktivem Niederschlag über den Grenzen anderer Länder führen könnten. Wenn man eine solche Bombe zündet, wird der radioaktive Niederschlag sicherlich über den Grenzen anderer Länder niedergehen. Besonders über so kleine Länder wie Costa Rica, Nicaragua und Panama. Solange man aber keinen wirklich sauberen Sprengstoff herstellen kann - was der AEC auch nie gelungen ist - wird man keinen solchen Kanal jemals bauen können.
MUSIK
SPRECHERIN
Zusätzlich zu dem radioaktiven Niederschlag wären wohl auch durch solche Sprengungen unterirdische Erschütterungen entstanden, die Erdbeben-ähnliche Ausmaße angenommen hätten. Etliche Gebäude wären beschädigt oder sogar komplett zerstört worden. Der Bau eines Kanals entlang der Grenze von Costa Rica und Nicaragua hätte wohl auch die beiden Hauptstädte der Länder, San José und Managua, betroffen. Man ging davon aus, dass man weit über eine Millionen Menschen hätte umsiedeln müssen.
Kaufman 12
...and for how long? I mean, are we talking about moving them for a few months? For a year? Permanently? Nobody seemed to know!
SPRECHER
Und für wie lange, auch das schien keinem klar zu sein, sagt Scott Kaufman.
SPRECHERIN
Ein weiteres gescheitertes Projekt des Plowshare-Programs war das sogenannte Rulison-Projekt. Hier sollte durch eine Explosion ein unterirdisches Gas- und Ölfeld in Colorado erschlossen werden – im Grunde eine Art Fracking mit Nuklearsprengköpfen.
Kaufman 16:
Now did it work? Well, yes, Rulison did cause a chimney. Yes, natural gas did flow into the chimney created by the blast. But there were [...] big problems with it: [...]: The gas was radioactive and even though the AEC argued the level of radioactivity was safe, and when you're asking customers to buy irradiated natural gas to use in their homes, they're not going to do it.
VO:
Hat es funktioniert? Nun ja, Rulison hat tatsächlich einen Schornstein verursacht, in den Erdgas strömte. Aber es gab große Probleme damit: Denn das Gas war radioaktiv, und obwohl die AEC argumentierte, der Radioaktivitätsgrad sei unbedenklich, fand man keine Kunden, die radioaktives Gas zuhause benutzen wollten.
SPRECHER
Anders als in den USA wurden in der Sowjetunion etliche Gasvorkommen so erschlossen. Und nicht nur das: Dämme und Speicherseen wurden mittels Kernwaffen-Explosionen gebaut. Das Programm „Atomexplosionen für die Volkswirtschaft“ lief auch viel länger als das US-Pendant „Plowshare“, das 1978 eingestellt wurde; nämlich bis zum Ende der Sowjetunion im Jahr 1989.
SPRECHERIN
Doch war die Sowjetunion wirklich erfolgreicher mit der praktischen Anwendung von Nuklearsprengköpfen? Schafften sie es im Gegensatz zur AEC eine „saubere Bombe“ zu entwickeln?
Kaufman 23
Well we have to keep in mind that the Soviet Union, the communist system has seen the environment as something to be exploited for the benefit of the state. Plus: you have a very secretive system, one where the Communist Party controls the media, controls information, and so you put those two things together and it makes it easier for the Soviets to conduct these kinds of experiments and not have the people know. And again: the idea is: You were doing this for the benefit of the state? So who cares? The end result though is you have some areas of the Soviet Union that are in terrible shape. Of course we have Chernobyl. We have Lake Chagan, we've got rivers in the Soviet Union that are still radioactive. Yes, it has had some successes. But in many respects has caused so much damage to the Soviet Union to harm so many people.
VO:
Wir müssen bedenken, dass die Sowjetunion die Umwelt als etwas betrachtete, das zum Vorteil des Staates ausgebeutet werden konnte. Hinzu kommt, dass die Kommunistische Partei die Medien und die Informationen kontrollierte. Diese Kombination erleichterte es den Sowjets, solche Experimente durchzuführen, ohne dass die Bevölkerung davon erfuhr. Das Endergebnis sind jedoch einige Gebiete der Sowjetunion, die in einem schrecklichen Zustand sind. Es gibt den Tschagan-See und Flüsse in der Sowjetunion, die immer noch radioaktiv sind. Ja, es gab einige Erfolge. Aber in vielerlei Hinsicht hat es der Sowjetunion großen Schaden zugefügt.
SPRECHERIN
Auch wenn die Vorstellung Kernwaffen im eigenen Land für Bauvorhaben einzusetzen, heutzutage abschreckend und unglaublich erscheint: Ganz vom Tisch sind solche Gedankengänge nicht.
Kaufman 15 + 22
Well, I think whatever you're talking about, any kind of a nuclear explosion - clean or not - it's going to raise serious concerns. But the idea is still out there. In 2010, the Deepwater Horizon Oil rig caught on fire, exploded in the Gulf of Mexico. 10s of thousands, if not millions of gallons of oil coming to the surface, and so one reporter for CNN said: Why don't put a nucleus close of down in the well and seal it. That never happened, but the idea was out there. And then President Trump, in his first term, talked about using nuclear explosives to try to divert hurricanes or even stop them entirely. Now that idea, I would argue, was as crazy as his proposal to inject bleach to deal with COVID. It would have released enormous amounts of radioactivity. But again, the idea was out. I argue that the idea died back in the 1970s, but given you have people talking about it like Donald Trump as recently as about 2017/2018, who knows....?
VO:
Ich denke, jede Art von Atomexplosion – ob sauber oder nicht - wird ernsthafte Bedenken hervorrufen. Aber die Idee ist immer noch da. 2010 explodierte im Golf von Mexiko die Ölplattform Deepwater Horizon. Millionen Liter Öl strömten ins Meer. Und da sagte ein CNN-Reporter: Warum platzieren wir nicht einen Atomsprengkopf in der Bohrung und versiegeln sie? Das geschah nie, aber die Idee war da. Und dann sprach Präsident Trump in seiner ersten Amtszeit davon, mit Atomsprengstoffen Hurrikans abzulenken oder sogar ganz zu stoppen. Diese Idee, würde ich behaupten, war genauso verrückt wie sein Vorschlag, Bleichmittel gegen Covid zu injizieren. Aber trotzdem war sie da. Eigentlich starb ja die Plowshare-Idee in den 1970er Jahren. Wenn man allerdings solche Reden von Donald Trump hört... wer weiß?