Westlich geprägte Naturwissenschaftler erforschen die Welt nach allgemein anerkannten Regeln. Indigene Völker besitzen generationenaltes, traditionelles Wissen über ihre Umwelt, doch das funktioniert völlig anders als in "der Wissenschaft". Wie kann eine Zusammenarbeit gelingen, damit beide Seiten profitieren? Von Dagmar Röhrlich (BR 2024)
Credits
Autorin dieser Folge: Dagmar Röhrlich
Regie: Ron Schickler
Es sprachen: Katja Amberger, Peter Veit
Technik: Laura Picerno, Regina Staerke
Redaktion: Yvonne Maier
Im Interview:
Dr. Helmut Groschwitz, Bayerische Akademie der Wissenschaften, Institut für Volkskunde;
Tyler Jessen, Wildtierökologe von der Universität Victoria in British Columbia;
Prof. Tero Mustonen, Ökologe, Gründer der Snowchange Cooperative;
Dr. Henry Huntington, Direktor für die Arktis bei Ocean Conservancy;
Ray Pierotti, Biologie-Professor an der Universität von Kansas
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Mehr als 600 Jahre. So alt ist die Tradition der Wässerwiesen in Oberfranken: Damals erdachten die Bauern ein System aus Schöpfrädern, ausgeklügelten Grabensystemen und Wehren, um mit zwei großen Nachteilen ihrer Region fertigzuwerden:
ZSP 01 Helmut Groschwitz [14:57 – 15:46 ]
„Es ist eine Region, die relativ niederschlagsarm ist und hat gleichzeitig sandige, wasserdurchlässige Böden, also eigentlich ganz schlechte Voraussetzungen für eine Wiesenwirtschaft.“
Die Bauern entwickelten und pflegten ihr ausgeklügeltes System, das Wasser aus Flüssen wie der Regnitz, Pegnitz oder Wiesent abzweigt.
ZSP 01a Helmut Groschwitz [14:57 – 15:46 ]
„Wenn der Boden zu trocken wird, zapft man quasi die Flüsse an, die dort durchlaufen, und überflutet die Wiesen ganz gezielt für ein paar Stunden. Durch die Gräben kann das Wasser wieder abfließen. Und in trockenen Jahren, sagen wir mal, so fünf- bis sechsmal muss dort gewässert werden. Und auf die Weise gibt es einen deutlich höheren Ertrag.“
MUSIK Aukai: "Colorado" (aukaimusic/ak-04) 01:12min
Die alte Tradition wurde aus wirtschaftlichen Gründen entwickelt, damit auch im Sommer Gras wächst als Grünfutter für das Vieh. Doch sie brachte mehr als Grünfutter: Erst durch dieses Bewässerungssystem konnte eine artenreiche und ökologisch wertvolle Wiesenlandschaft entstehen, erläutert Helmut Groschwitz vom Institut für Volkskunde der Bayerischen Akademie der Wissenschaften:
ZSP 02 Helmut Groschwitz: [00:16:04]
„Wenn gewässert wird, dann stehen teilweise die Wiesen voller Störche, weil: Die freuen sich natürlich, weil viel von dem Bodengetier auch nach oben kommt. Weitere Effekte sind, dass der Grundwasserspiegel dort deutlich höher ist, dass man in der Region tatsächlich wenig Probleme mit Grundwasser hat.“
Im Dezember von der Unesco als immaterielles Kulturerbe der Menschheit geadelt, praktiziert heute kaum noch jemand die alte Technik. Dabei ist sie Teil eines uralten ökologischen Wissens, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde.
Traditionelles Wissen darüber, wie natürliche Ressourcen geschützt und nachhaltig genutzt werden können, ist in allen Kulturen vorhanden. Doch bei indigenen Völkern ist dieser Schatz besonders groß.
ZSP 03 Tyler Jessen [00:03:59]
So generally indigenous knowledge tends to focus immediately on the areas in which these particular people might live. Right. They've been in these areas for a very long time and they have a lot of that intergenerational wisdom that accumulates.
„Im Allgemeinen konzentriert sich dieses indigene Wissen unmittelbar auf die Gebiete, in denen diese Menschen leben. Denn sie leben schon sehr lange dort und haben über die Generationen hinweg viel Wissen angesammelt.“
Dieses Wissen sei durch genaue Beobachtung erworben worden, erklärt der Wildtierökologe Tyler Jessen von der Universität Victoria in British Columbia.
ZSP 04 Tyler Jessen [00:03:59]
The way in which indigenous peoples accumulate knowledge can be valuable actually for science. So in this in a sense, it is very place based and it is very specific. But at the same time, there are lessons that everybody can learn from different indigenous cultures around the world.
„Die Art und Weise, wie indigene Völker Wissen ansammeln, kann sogar für die Wissenschaft sehr wertvoll sein. Auf gewisse Weise ist alles sehr ortsbezogen und sehr spezifisch. Aber gleichzeitig gibt es Lektionen, die jeder von verschiedenen indigenen Kulturen auf der ganzen Welt lernen kann.“
MUSIK Aukai: "Alto Paraíso" (aukaimusic/ak-01) 00:45min
Deshalb ist dieses überlieferte Wissen ins Zentrum des Interesses der modernen Wissenschaft gerückt. Dabei prallen zwei Welten aufeinander: Auf der einen Seite die messwertgetriebene, exakte Forschung, die genau bestimmt, wieviel Kohlendioxid in der Atmosphäre ist oder wie schnell die Meere versauern. Auf der anderen Seite steht das Erfahrungswissen der Menschen, deren Überleben seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden von ihrem Wissen über die Umwelt abhängt. Doch beide können sich ergänzen.
ZSP 05 Tero Mustonen [17:40 bis 18:17]
I have personally found it to be very rewarding when we have been able to work with Sami elders, for example, on 100 years of change, looking at the place names, how vegetation and tree line, for example, has been changing. So that... They were able to identify habitats that were there 80 years ago. And now we have the greening of the Arctic and species on the move. So many of the southern species are moving to the tundra to the... From temperate areas into the boreal forest and so on.
„Ich fand es persönlich immer sehr bereichernd, wenn wir mit den Ältesten der Samen zusammenarbeiten konnten, um zum Beispiel den Wandel in der Arktis während der vergangenen 100 Jahre nachzuvollziehen. Allein in ihren Ortsnamen kann man erkennen, wie sich die Vegetation verändert hat. Sie sagen uns, wie es vor 80 Jahren an Orten ausgesehen hat, in denen heute Arten aus gemäßigten Zonen einwandern.“
MUSIK CBAWZ2101520 Time On Saturn 01:43
Sagt der Professor Tero Mustonen (Terro Muss-to-nen). Der Ökologe ist selbst Finne, und einer der prominentesten Vertreter der Zusammenarbeit von Naturwissenschaft und indigenen Völkern. Er ist Gründer der Snowchange Cooperative, die im gesamten Arktisraum für den Erhalt der Ökosysteme und der lokalen Kultur eintritt.
ZSP 06 Tero Mustonen [22:55 bis 23:45]
For example, in northern Sweden, in an area close to Jokkmokk there's a place name called Biehtsiesjaure which means in translation, Scots Pine or Pine Lake. But it's today all filled with birch trees because of the ecosystem changes. And then I worked with some of the ladies in the area to ask them why is it called Scots Pine Lake in Sami language? And they started to explain, that when they were young, in their parents time, that was mostly dominated by scots pines, which is completely different boreal ecosystem than the birch forests that are there now.
„Zum Beispiel gibt es in Nordschweden bei Jokkmokk einen Ort, der auf Samisch Bietsiesjaure [Pi-etsches-jauri] heißt. Übersetzt bedeutet das Kiefern oder Kiefernsee. Aber das gesamte Gebiet ist heute ein Birkenwald. Ich habe die samischen Frauen, mit denen ich dort zusammenarbeite, gefragt, warum es Kiefernsee heißt. Und sie haben mir erklärt, dass die Gegend zur Zeit ihrer Eltern und noch in ihrer Jugend von Kiefern geprägt war. Das ist ein völlig anderes Ökosystem als die Birkenwälder von heute.“
Dieses Umweltwissen der samischen Frauen ermöglicht einen Blick zurück in Zeiten ohne Messwerte und Aufzeichnungen – das ist ein unschätzbarer Vorteil in Gebieten wie der Arktis, die sich durch den Klimawandel schnell verändern. Außerdem kann dieses traditionelle Wissen über ökologische Zusammenhänge der Forschung ganz neue Dimensionen eröffnen, sagt Henry Huntington.
ZSP 07 Henry Huntington [00:09:19]
So, in the in 1995, I was doing my my first project documenting indigenous knowledge. And this in this case we're talking about beluga whales in western Alaska and three elders from the communities of Elim, Shaktoolik and Koyuk had had come together, were sitting around a table talking about belugas.
„1995 führte ich mein erstes Projekt durch, um indigenes Wissen zu dokumentieren. Es ging um Belugawale im Westen Alaskas, und aus den Gemeinden Elim, Shaktoolik and Koyuk waren drei Älteste zusammengekommen, saßen an einem Tisch und sprachen über Belugas.“
Dr. Henry Huntington ist wissenschaftlicher Direktor für die Arktis bei der gemeinnützigen Organisation Ocean Conservancy. Seit Mitte der 1990er Jahre arbeitet er mit indigenen Völkern in Alaska zusammen:
ZSP 08 Henry Huntington [00:09:19]
And in the conversation about beluga whales somehow the conversation turned to beavers instead and I thought, okay, that means they're mammals, they swim. But you know, this is the wrong species. Why are we talking about beavers and and so on? And one of the elders looked at me and said, do you understand why we're talking about beavers? I said, Well, no, not really. And he said, well, the point is that the beavers around here, the population is increasing. That means they're damming up more streams. And those are the streams where the fish spawn that the belugas are eating down in the bay. And once he explained it, of course the connection is very clear.
„Und während wir über die Belugawale sprachen, kam das das Gespräch stattdessen irgendwie auf Biber und ich dachte, okay, das sind Säugetiere, sie schwimmen, aber das ist die falsche Art. Warum reden wir über Biber? Und einer der Ältesten sah mich an und sagte: ‚Verstehst du, warum wir über Biber sprechen?‘ Ich sagte: ‚Na ja, nein, eigentlich nicht.‘ Und er sagte: ‚Na ja, es geht darum, dass die Biberpopulation hier in der Gegend zunimmt. Das bedeutet, dass sie immer mehr Bäche aufstauen. Und das sind die Bäche, in denen die Fische laichen, die die Belugas unten in der Bucht fressen.‘ Und nachdem er es erklärt hatte, war der Zusammenhang natürlich sehr klar
Die Biberdämme verhindern, dass Fische zu ihren Laichgründen gelangen, was dann wiederum weniger Beute für die Belugas und damit weniger Wale bedeutet.
ZSP 09 Henry Huntington [00:09:19]
But I at least never would have anticipated talking about beavers in relevance to belugas. And I think most scientists wouldn't have. One is the freshwater sort of land associated animal. The other is a saltwater animal. And it took people who spend time in both domains, who understand the entirety of their local environment to see those kinds of connections. And to me, that was a huge eye opener. That boy, there's just so much more so much richer, deeper, richer knowledge here to be gathered from people who see this whole area as one complete system.
„Doch ich zumindest hätte nie erwartet, dass man im Zusammenhang mit Belugas über Biber spricht – und die meisten Wissenschaftler hätten das wohl auch nicht: Das eine ist ein an Land lebendes und mit Süßwasser assoziiertes Tier, das andere ein Salzwasserbewohner. Es brauchte Menschen, die viel Zeit in beiden Bereichen verbringen, um diese Art von Verbindungen zu erkennen. Für mich war das ein Augenöffner. Es gibt hier so viel mehr, so viel tieferes, reichhaltigeres Wissen, das von den Leuten gesammelt werden kann, die dieses ganze Gebiet als ein komplettes System sehen.“
MUSIK Aukai: "Turning Days" (aukaimusic/ak-04) 01:06min
Inzwischen wird dieses traditionelle Wissen nicht mehr nur von „exotischen“ Disziplinen wie der Ethnobiologie untersucht, sondern auch von – wenn man so will – Mainstream-Forschern. Mit Fernerkundung lässt sich zwar problemlos messen, wie sich Baumkronen durch den Klimawandel verändern. Doch was es wirklich bedeutet, wie sich die Umwelt dadurch verändert, das wissen die Jäger und Fischer am besten: Sie bekommen selbst in entlegenen Gebieten mit, was passiert – etwa, dass Rentiere andere Wanderrouten wählen. Die Zusammenarbeit dieser beiden Wissenswelten funktioniere jedoch nur, wenn die Partnerschaft auf Augenhöhe sei, urteilt Tyler Jessen. Dabei muss in den meisten Fällen erst einmal tief sitzendes Misstrauen gegenüber der Wissenschaft abgebaut werden. Denn deren Ruf ist bei vielen indigenen Völkern alles andere als gut.
ZSP 10 Tyler Jessen [00:10:30]
So, in the past, there has been a difficult relationship between a lot of indigenous peoples and Western scientists. And that stems from the the, you know, the bad reputation that science might have in a lot of these communities in that it was oftentimes very extractive in a sense. There was the the scientist would come into the community and would, you know, ask their questions for their own purposes, for their own research needs, then they would leave. And there was really no benefit to the community. In fact, there could be harm to whatever community they might be working with. So, as far as the relationship at least It is moving towards a more beneficial, mutually beneficial that is relationship between indigenous communities and scientists.
„In der Vergangenheit war die Beziehung zwischen westlichen Wissenschaftlern und indigenen Völkern oft sehr schwierig. Die Wissenschaft hat in vielen dieser Gemeinschaften einen schlechten Ruf, weil sie die Menschen ausgebeutet hat. Die Forscher kamen, stellten Fragen für ihre eigenen Zwecke und verschwanden wieder. Für die Gemeinschaft gab es keinen wirklichen Nutzen. Im Gegenteil, es konnte ihnen sogar schaden. Inzwischen entwickeln sich die Beziehungen häufig mehr zum gegenseitigen Nutzen.“
Für die Wissenschaftler bedeutet das, dass ihre Forschungsziele durchaus hinterfragt werden, allgemeine Verweise auf „Fortschritt“ reichen oft nicht aus. Was am Ende zählt, sind Vertrauen und persönliche Verbindung.
ZSP 11 Tyler Jessen [00:27:26 bis 28:08; 24:04 bis 25:13]
The first thing that I'd say that is that it just does take time. It does take a long time. I'm, I'm... There can be years that go by for for this kind of research. And that is just the nature of it. There is a saying that says that we don't there is a saying that says that we operate at the speed of trust. And I think that that's a very important thing to consider. // Relationships matter a lot with these indigenous communities. They matter a lot. It's it's that kind of transparency and reciprocity and working towards mutually beneficial research agreements is very, very important to Indigenous communities.
„Meiner Meinung nach ist Zeit das Wichtigste, viel Zeit. Bei solchen Forschungsprojekte können Jahre ins Land gehen. Das ist einfach so. Es gibt eine Redensart: Wir arbeiten mit Vertrauensgeschwindigkeit. Und ich glaube, das ist sehr wichtig im Kopf zu behalten. Im Kontakt mit indigenen Gemeinschaften bedeuten Beziehungen viel. Transparenz, Gegenseitigkeit und gemeinschaftliches Arbeiten auf Vereinbarungen zu gegenseitigem Nutzen hin ist diesen Gemeinschaften sehr wichtig.“
MUSIK Aukai: "Turning Days" (aukaimusic/ak-04) 00:33min
Allerdings erleben westliche Wissenschaftler oft zunächst eine Art „Kulturschock“. Anstatt der gewohnten Daten und Formeln kann ihnen die Überlieferung des indigenen Erfahrungswissens „fremdartig" und „unwissenschaftlich“ und damit „unbrauchbar“ erscheinen.
ZSP 12 Henry Huntington [00:05:27]
So the the many of the observations are, you know, people have been out on the land and see they've seen things, but some of the observations come from sources like dreams. And for the shamans that's seen as sort of a spiritual journey, they may have become a salmon or a whale or a moose and experienced the world from the perspective of that animal and of see how they see things. And that becomes an important part of the way they understand the world.
„Viele Beobachtungen stammen von Menschen, die draußen etwas gesehen haben, aber einiges stammt aus Quellen wie Träumen. Für die Schamanen beispielsweise ist das eine Art spirituelle Reise. Sie sind vielleicht in einen Lachs, einen Wal oder einen Elch verwandelt worden und haben die Welt aus der Perspektive dieses Tieres erlebt. Und das wird zu einem wichtigen Teil ihres Weltverständnisses.“
MUSIK CBAWZ2101547 Overt Mission 01:13min
Wissenschaftler könnten diese spirituelle Seite leicht abtun. Das sei ein Fehler, man sollte vielmehr fragen: ‚Okay, wie verstehen Sie die Umwelt und wie beeinflusst das, was Sie tun und wie Sie es tun‘, erklärt Henry Huntington.
Eine wertvolle Quelle sind auch die Legenden der Indigenen. Wenn sich solche Erzählungen über Jahrtausende des Zusammenlebens in und mit der Natur solche Erzählungen verbreitet und vor allem erhalten haben, steckt in all den Ausschmückungen oft ein wahrer Kern. Ein Beispiel sind die sagenhaften Feuerfalken, von denen australischen Aborigines vor allem im Norden des Landes erzählen. Sie berichten von Raubvögeln, die Feuer vom Himmel fallen lassen und so das Buschland in Brand setzen. Tyler Jessen:
ZSP 13 Tyler Jessen [21:26 bis 22:15]
It wasn't until just recently that some scientists decided to investigate this further and they asked people about this. And in this case, they what they with these scientists eventually found was that the various Australian raptors, these birds of prey might grab sticks from wildfires in Australia, these burning sticks and they would carry them to new areas and they would drop these sticks in order to spread the wildfire. And in doing so, that flushes out the small prey items that they could then prey upon. What it changed is that it sort of added a new dimension of how fire dynamics can operate, a new, a new method by which wildfires can spread.
„Erst kürzlich haben Wissenschaftler diese Legende überprüft, und sie haben tatsächlich Raubvögel verschiedener Arten dabei beobachtet, wie sie brennende Zweige von einem Buschfeuer aufnahmen und in andere Gebiete trugen, wo sie sie wieder fallen ließen und ebenfalls Feuer entfachten. Der Zweck war, ihre Beutetiere aus den Löchern zu treiben. Das Verhalten hat aber auch der Ausbreitungsdynamik von Buschbränden eine neue Dimension hinzugefügt, einen neuen Verbreitungsweg für Feuer.“
MUSIK CBAWZ2101509 Celestial Dream 01:23min
Der Biologe Ray Pierotti, Professor an der Universität von Kansas, nutzt Erzählungen der nordamerikanischen Indigenen, wenn er nach optimalen Methoden sucht, um Wildtierpopulationen oder ganze Ökosysteme in Nationalparks zu managen. Eine bedeutende Rolle spielt bei vielen Prärievölkern der Wolf. Sie betrachten ihn als eine positive, dem Menschen wohlgesonnene Kraft, die das Ökosystem der Prärie entscheidend prägt.
ZSP 14 Ray Pierotti [38:40 bis 39:18]
If you look at some of the stories from the the Blackfoot and the Cheyenne, they were actually hunting from wolves and learning to hunt from watching and interacting with wolves and that they noticed the impact that wolves were having on their environment. And that's why they then decided, okay, this environment that we're living in and seem to be having a good life in seems to be a result of the activities of these wolves. Therefore, we're going to regard them as the shapers of the environment, which from our perspective is creator.
„Wenn man sich Erzählungen der Blackfoot oder der Cheyenne ansieht, dann stellt man fest, dass diese Völker sich ihre Jagdmethoden von Wölfen übernommen haben und dass sie den Einfluss der Wölfe auf das Ökosystem sehr genau erkannt haben. Deshalb wird in ihren Erzählungen sehr deutlich, dass die Umwelt, in der sie leben und von der sie sehr gut leben, dass diese Umwelt das Ergebnis der Aktivitäten der Wölfe ist, und dass sie deshalb den Wolf als Gestalter und in gewisser Weise sogar als Schöpfer ehren.“
CAONA2250732 Around every corner 00:32min
Im Gegensatz dazu stand die Haltung der weißen Einwanderer. Sie betrachteten den Wolf als Feind und Konkurrenten und jagten ihn unerbittlich. Selbst in Yellowstone, dem ältesten Nationalpark der USA, wurden die Wölfe in den 1930er Jahren ausgerottet. Vor einem Vierteljahrhundert siedelte man dort wieder Wölfe an, nicht zuletzt, weil man erkannte, dass die Wapiti-Hirsche mangels Fressfeinden zu einer Plage geworden waren.
ZSP 15 Ray Pierotti [36:35 bis 37:03]
The presence of the wolfs has completely transformed Yellowstone. The ecology of the park is completely different than it was when there were no wolfs at all. It seems like almost all of the populations of other species are doing better, including the ones they hunt. The only one that's not as abundant is the elk population, which is their primary prey. But even they are a healthier population than they used to be.
„Die Anwesenheit der Wölfe hat Yellowstone komplett verändert. Die Ökologie ist völlig anders. Es scheint, als ginge es allen Tier-Populationen besser, die eingeschlossen, die zum Beutespektrum der Wölfe zählen. Die einzige Art, deren Zahl drastisch zurückgegangen ist, ist der Wapiti, der die Hauptbeute der Wölfe ist. Aber selbst diese Population ist heute offenbar gesünder als früher.“
Ray Pierotti ist bekannt dafür, dass er die indigenen Erzählungen und ihre rituellen Zeremonien auswertet, darin nach Hinweisen sucht, wie sich das Wildtiermanagement verbessern lässt. Dieser Ansatz ist bei einigen seiner Kollegen umstritten, aber er erklärt den Gewinn dieser Herangehensweise an einem Beispiel:
ZSP 16 Ray Pierotti [14:22 bis 14:58]
the indigenous nations of the Pacific Northwest, they have what they call a first salmon ceremony, which is at a certain time of year when the salmon is starting to come in. They take one salmon out and then they go through a ritual that takes several days during which nobody is allowed to take any more salmon. And so what they're doing is that they have at a key point in the migration pattern of the fish they are leaving the population alone to let the biggest, most experienced individuals get upstream to breed.
MUSIK aukaimusic/ak-04 - Aukai "Oars" 01:07min
„Unter den indigenen Völkern des pazifischen Nordwestens gibt es ein Ritual, das sie die ‚Zeremonie des ersten Lachses‘ nennen und zu der Zeit durchführen, wenn die Lachse ihre Wanderung zurück in die Flüsse beginnen. Sie fangen einen Lachs und beginnen mit einer Zeremonie, die mehrere Tage dauert. Während dieser Zeit darf niemand Lachse fischen. Im Endeffekt lassen sie damit die Lachspopulation in einem kritischen Moment ungestört. Nämlich dann, wenn die größten, erfahrensten und damit für den Fortbestand der Population wichtigsten Tiere in die Flüsse einwandern.“
Wenn nach dem Ende der Zeremonie der Lachsfang beginnt, gehen den Fischern die jüngeren, weniger fortpflanzungsstarken Tiere ins Netz oder an die Angel. Die sind für den Bestand einer gesunden Population weniger entscheidend als die Alten.
ZSP 17 Ray Pierotti [16:11 bis 16:48]
Western science and especially Western game management tend to focus on the largest individuals, which is why we have all this record keeping in the Boone and Crockett Club and and stuff like that, that focus on the largest individuals is going to be taken, whereas Indigenous people seem to want to avoid taking the largest and oldest individuals in the population. And the interpretation that come on, that is they understand that those are the individuals that are really responsible for the success of the population.
„Westliche Wissenschaftler und insbesondere die Wildbewirtschafter neigen dazu, sich auf die größten Individuen zu kaprizieren. Nicht umsonst ist in den Ranglisten der Jäger die Größe immer Trumpf. Während indigene Völker es anscheinend vermeiden wollen, die größten oder ältesten Tiere einer Population zu schießen. Ich vermute, sie tun dies, weil sie wissen, dass diese Individuen für den Bestand der Population sehr wichtig sind.“
MUSIK CBAWZ2101550 Floating Weapons 00:47min
Die Karibu-Jäger der Inuit oder dem Volk der Cree im Norden Kanadas hätten laut Ray Pierotti sogar eine strenge Regel: Never shoot the leaders. Schieß niemals die Leittiere. Sie sind zum einen diejenigen, die den Fortpflanzungserfolg der Herde maßgeblich beeinflussen. Sie sind aber auch so etwas wie die Lehrer der Herde, indem sie ihre Erfahrungen an die jüngeren Tiere weitergeben. Tero Mustonen von der Kooperative Snowchange betont:
ZSP 18 Tero Mustonen [36:22 bis 37:13]
We have to accept the fact that 80% of world's remaining biodiversity is on indigenous lands. Why this is the case? // Indigenous communities often have relations with the surrounding landscapes and species and therefore when they have relations, they care about those resources and it's in their interest to make sure that they don't overhunt, they don't pillage, they don't wipe out a resource, even though they have to use it for living.
„Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass 80 Prozent der verbliebenen Artenvielfalt auf Gebieten vorkommt, die von indigenen Völkern gemanagt werden. Und warum ist das so? Diese Völker haben oft eine enge Beziehung zu den sie umgebenden Landschaften und zu den Tierarten darin. Deshalb haben sie ein Interesse am Erhalt dieser Ressourcen. Ihnen ist daran gelegen, dass sie nicht überjagt, geplündert oder ausgelöscht werden, auch wenn sie Tiere für ihren eigenen Lebensunterhalt bejagen.“
Es gebe also viele gute Gründe, von diesem Erfahrungswissen zu lernen, urteilt Henry Huntington. Noch allerdings werde in der Wissenschaft der Wert nicht allgemein anerkannt. Es gelte dann als anekdotisch, nicht schön systematisch erforscht und mit Statistiken unterfüttert, beklagt Henry Huntington. Aber:
ZSP 19 Huntington [00:13:37]
we'd be foolish to ignore something that a system that has allowed people to thrive for thousands of years in the same environment without overusing things. And they're the people who are also most most dependent on on that. And who test that knowledge year after year. If it wasn't accurate, people wouldn't be there. That's a that's a pretty severe test.
„Wir wären dumm, etwas zu ignorieren, das es den Menschen ermöglicht hat, seit Tausenden von Jahren in der gleichen Umgebung zu leben, ohne ihre Ressourcen zu überstrapazieren. Diese Menschen sind am meisten von ihrer Umwelt abhängig, und ihr Wissen wird Jahr für Jahr auf die Probe stellen. Wenn es nicht korrekt wäre, hätten die Menschen nicht überlebt. Das ist ein ziemlich harter Test.“
Inzwischen scheint Bewegung in das Verhältnis von Wissenschaft und Traditionellem Ökologischen Wissen zu kommen. So arbeitet der Wildtierökologe Tyler Jessen mit dem Volk der Kitasoo Xai'xais [Kitesu: he he] im Fjordland nördlich von Vancouver zusammen. Es geht um Schneeziegen, eine Tierart, die abgeschieden im Hochgebirge lebt:
ZSP 20 Tyler Jessen [13:10 bis 15:04]
the Kitasoo Xai'xais nation, they invited myself and, you know, the research team up into their territory in order to study the Mountain Goats because they wanted to have a scientific understanding of what was going on to complement their traditional knowledge associated with mountain goats. //So So to give a brief example, their knowledge of how many goats they would see on any given day is very important knowledge. And it's something that is that can be, you know, assessed in sort of science through a scientific lens as well. So we know, for example, that going back to about 1970 or so that people used to see goats more often than not on any given day working out on the landscape, you know, going out by boat, walking through a creek and things like that. They would see these mountain goats and they would see them more often than not. And you compare that to 2019, which was, I believe, the most recent date in which we we asked people for their observations of mountain goats, and it was zero Mountain goats.
„Das Volk der Kitasoo Xai'xais hat mich und das Forschungsteam in ihr Gebiet eingeladen, um die Bergziegen zu untersuchen, denn sie wollen ihr traditionelles Wissen über die Bergziegen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen ergänzen. Also haben wir erst einmal versucht herauszufinden, wie oft am Tag die Menschen Schneeziegen gesichtet haben, wenn sie im Gelände oder mit dem Boot unterwegs waren – heute und früher. Die Erinnerungen reichten bis etwa in die 70er Jahre zurück. Und damals war die Wahrscheinlichkeit, jeden Tag eine Schneeziege zu sehen, höher als gar keine zu sehen. Und im Jahr 2019 war die Wahrscheinlichkeit, eine Schneeziege zu sehen, praktisch gleich Null.“
MUSIK Aukai: "Alto Paraíso" (aukaimusic/ak-01) 00:52min
Und das finnische Volk der Skoltsamen beteiligte sich an einer Studie, in der Indikatoren für Umweltveränderungen in der Arktis festgelegt wurden - auf der Grundlage von Traditionellem Ökologischen Wissen. Die Sami haben beispielsweise im Fluss Njauddâm (ɲɑudːɐm) den Rückgang der Lachse beobachtet und dokumentiert. Auf der Grundlage ihres Wissens passen sie sich nun an - sie reduzieren die Anzahl der Netze, die sie zum Fischfang verwenden, stellen Laichplätze wieder her und fischen mehr Hechte ab, die die jungen Lachse fressen. Das Projekt ist Teil eines Co-Management-Prozesses zwischen den Sami und der finnischen Regierung. Der Aufsatz, wurde im sehr renommierten Fachmagazin Science veröffentlicht.
Und so dringt also das Traditionelle Ökologische Wissen in die westliche Spitzenforschung ein. Und auch in die Konzepte, um mit den Herausforderungen der Zukunft fertig zu werden.