Rassismus ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Beim Thema Gesundheit kann er im schlimmsten Fall lebensgefährlich sein. Vorurteile aufgrund von Herkunft oder Hautfarbe und eine Ausrichtung der medizinischen Forschung am weißen, männlichen Körper führen zu Benachteiligung und ungenauen oder falschen Diagnosen. Von Lena Sauerer
Credits
Autorin dieser Folge: Lena Sauerer
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Xenia Tiling, Friedrich Schloffer, Julia Cortis
Technik:
Redaktion: Yvonne Maier
Im Interview:
Janice Owen-Aghedo, Betroffene
Cihan Sinanoğlu, DeZIM-Institut
Ephsona Shencoru, Dermatologin
Theda Borde, Empowerment für Diversität
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZSP_1 O-TON JANICE - Methoden
Meine Endometriose war oder ist sehr, sehr schlimm ausgeprägt gewesen. Ich habe alle möglichen Formen von Methoden versucht, um irgendwie besser durch den Alltag zu kommen.
Janice Owen-Aghedo hat Endometriose, eine Krankheit, bei der Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter wächst. Viele Betroffene haben chronische Schmerzen und müssen versuchen, so gut es geht, damit zu leben. Auch Janice Owen-Aghedo. Vor gut fünf Jahren recherchiert sie nach Methoden, um ihre Schmerzen erträglicher zu machen und vereinbart danach einen Termin bei ihrem Gynäkologen …
ZSP_2 O-TON JANICE - Yoni
… und habe dann auch meinem Arzt erzählt, dass in, ich sage mal, eher in der nicht westlichen Medizin auch eine Form von Yoni-Steaming, nenne ich das mal, gilt, um Schmerzen zu lindern, um Krämpfe zu lindern.
Yoni-Steaming, ein Dampfsitzbad, dessen Wirkung zwar nicht wissenschaftlich belegt ist, aber den Unterleib entspannen soll.
ZSP_3 O-TON JANICE - Buschmedizin
… und er hat mir dann gesagt, von welcher Buschmedizin ich jetzt hier reden würde, und, ja.
„Buschmedizin“. Ein Begriff, der Janice Owen-Aghedo weh tut. Sie fühlt sich als Schwarze Frau von ihrem Arzt einkategorisiert und rassistisch angegriffen. So und so ähnlich geht es ihr bei einigen Arztbesuchen, erinnert sie sich.
ZSP_4 O-TON JANICE - dramatisch
Ich wurde sowieso auch mit meinen Symptomen nie ernst genommen und ich sage mal, wenn ich dann noch irgendwie mit, ja als schwarze Frau in eine Praxis gekommen bin, wurden sehr oft so Sachen gesagt wie, ja ihr, ihr seid immer so dramatisch.
Ihr, die Anderen. Aussagen, die Janice Owen-Aghedo abgrenzen, weil sie Schwarz ist. Als Frau hat sie es im Gesundheitssystem ohnehin schwerer, ernst genommen zu werden: Studien aus den USA und Israel zeigen zum Beispiel, dass Frauen seltener und weniger starke Schmerzmittel bekommen als Männer und länger auf die Behandlung warten müssen. Forschende aus Schweden fassen in einer Übersichtsstudie zusammen, dass chronische Schmerzen von Frauen eher als psychisch abgetan werden.
ZSP_5 O-TON JANICE – von allen Seiten
Man geht als Frau dahin, dann geht man als schwarze Frau dahin, dann hat man vielleicht noch eine chronische Erkrankung und es kann von allen Seiten kommen und man weiß halt nicht, von welcher Seite gerade die Person einen diskriminiert.
Mit rassistischen Äußerungen ist Janice Owen-Aghedo beim Arzt auch unabhängig von ihrer Erkrankung konfrontiert. Als sie vor einiger Zeit wegen Migräne beim Neurologen ist, läuft erstmal alles gut…
ZSP_6 O-TON JANICE - Neurologe
Und dann immer noch zum Schluss muss ja kommen: Ja wissen Sie, wo kommen Sie denn eigentlich her? Wo ich mir denke: Was hat das denn jetzt mit meinen Kopfschmerzen zu tun? Und dann habe ich halt die Frage auch nett abgewunken und gesagt: Ja, ich komme aus dem Ruhrgebiet, bin nach Düsseldorf gezogen. Nee, aber bei Ihnen, da ist doch noch irgendwas anderes drin… Wo ich mir denke: Ich bin keine Mischung, ich bin kein Tier oder so und habe dann gesagt irgendwann: Ja, mein Dad kommt aus Nigeria. Ah, Nigeria, ja, habe ich sofort gesehen. Wo ich mir denke: Bitte, was soll das und warum ist das jetzt unbedingt wichtig für meine Behandlung? Und das habe ich halt ständig
Janice Owen-Aghedo ist mit ihren Erfahrungen nicht allein. Das belegt der Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor, kurz NaDiRa, zum Thema Gesundheit. Unter dem Titel „Rassismus und seine Symptome“ haben die Forschenden 2023 ihre Ergebnisse veröffentlicht.
Frauen geben am häufigsten an, negative Erfahrungen im Gesundheitsbereich zu machen. So sagen etwas mehr als zwei Drittel der muslimischen Frauen, sie seien schon einmal von Ärzt*innen oder sonstigem medizinischem Personal „ungerechter oder schlechter behandelt“ worden als andere. […] Mehr als zwei Drittel der Schwarzen Frauen geben an, im Gesundheitswesen ungerechter und schlechter als andere behandelt worden zu sein. […] Unter asiatischen Frauen geben knapp zwei Drittel an, dass sie im Gesundheitsbereich eine ungerechte und schlechte Behandlung erfahren haben. […] Auch knapp zwei Drittel der Schwarzen Männer geben an, im Gesundheitswesen diskriminiert worden zu sein.
Die Ergebnisse des NaDiRa sind wichtig, denn zuvor gab es in Deutschland keine belastbaren Daten zu gesellschaftlichen Entwicklungen und Trends in Bezug auf Rassismus und Diskriminierung. Bei der Rassismusforschung hinkt Deutschland hinterher.
ZSP_7 O-TON CIHAN – Rassismusforschung1
Natürlich gibt es in Deutschland Rassismusforschung seit dem Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre, aber die wird eher an den Rändern des Wissenschaftsbetriebes gemacht. Und es rückt jetzt langsam immer mehr in die Mitte, ins Zentrum. Und man sieht das ja auch in den öffentlichen Debatten.
Sagt Cihan Sinanoğlu. Der Sozialwissenschaftler leitet am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung die Geschäftsstelle für den Rassismusmonitor.
ZSP_8 O-TON CIHAN – Rassismusforschung2
Also Rassismus ist durchaus ein Thema, was immer mehr diskutiert wird, aber wurde halt in der Geschichte dieses Landes immer wieder entweder an die sozialen Ränder verschoben, also Rassismus wurde gleichgesetzt mit so Rechtsextremen, Nazis, Springerstiefel und so weiter. Dann wurde Rassismus quasi in die Geschichte verschoben, so was wie, das gab es vielleicht noch nur vor 1945, nach 1945 gab es das alles nicht mehr. Und dann wurde Rassismus auch immer wieder verschoben, und zwar territorial. Man hat immer gesagt, ja Rassismus gibt es in Frankreich, in den USA, in England, aber nicht bei uns.
Zur Forschungslücke kommt im Bereich der Medizin noch ein strukturelles Problem: Es gilt die Norm eines weißen Mannes. Konkret heißt das, Medikamente werden auf einen „weißen Mann“ abgestimmt, Geräte auf ihn eingestellt. Frauen, Schwarze Menschen, People of Color und alle anderen, die von der Norm abweichen, haben dann möglicherweise eine schlechtere Chance auf eine adäquate Gesundheitsversorgung. Oft wird ihnen darüber hinaus auch vorgeworfen, bei Schmerzen zu übertreiben:
ZSP_9 O-TON CIHAN – Morbus Mediterraneus
Es gibt in der Forschung einen Begriff, der tatsächlich nicht gelehrt wird an den Universitäten, der aber quasi trotzdem noch benutzt wird in Kliniken. Und zwar der Morbus Mediterraneus oder Morbus Bosporus genannt oder Mamma Mia-Syndrom. Also alle diese Worte beschreiben eigentlich, dass die Frauen aus dem globalen Süden oder aus dem Mittelmeerraum in ihrem Schmerzempfinden übertreiben würden. Und das wollten wir empirisch überprüfen, ob das denn stimmt, ob wirklich die Patientinnen diese Erfahrungen machen. Und sie machen sie. Und zwar vor allen Dingen die von Rassismus betroffenen Frauen. Die geben zwischen 30 und 40 Prozent an, dass ihre Symptomatiken von Ärzt*innen nicht ernst genommen werden.
Die Ergebnisse der Studie passen zu den Erfahrungen, die Janice Owen-Aghedo, die Endometriose-Patientin, gemacht hat, als sie in der Praxis mit ihren Schmerzen als „dramatisch“ abgestempelt wurde. ]]
Paradoxerweise kursiert gleichzeitig unter Medizinern die Annahme, dass Schwarze Menschen weniger Schmerzen empfinden bzw. diese besser aushalten würden.
ZITATORIN Lilliane - NaDiRa
Im Gesundheitswesen denken viele, dass Schwarze Menschen viele Schmerzen aushalten können, weil sie kommen aus Ländern, wo viele arm sind und wo man nicht viel hat, wo man mit Schmerzen umgehen lernen musste, wo medizinische Versorgung eh total schlecht ist, deswegen kann man die lange warten lassen – also wie in meinem Fall.
Das sagt Lilliane im Rahmen einer Befragung des NaDiRa. Medizinische Fachkräfte verbinden ihr Bild von Schwarzen Patienten und Patientinnen mit stereotypen Annahmen über die Gesundheitsversorgung in ökonomisch schlechter gestellten Ländern, erklärt die Studie.
Rassismus setzt sich – ob bewusst oder unbewusst – im Wissen der Ärzte fest, was wiederum Folgen für die Diagnostik haben kann.
ZITATORIN Rose – NadiRa (aus dem Englischen)
Du gehst zum Frauenarzt, und sie fragen dich: ‚Haben Sie schon einen HIV-Test gemacht?‘ Nur weil du Schwarz bist, wollen sie dich testen.
Das sagt Rose in einer Befragung des NaDiRa, dem Rassismus-Monitor. Während Schwarze Frauen berichten, dass sie in der Gesundheitsversorgung hypersexualisiert werden und ihnen deshalb häufig Tests für sexuell übertragbare Krankheiten oder HIV-Infektionen angeboten werden, ist es bei muslimisch gelesenen Frauen genau andersherum: Ihnen wird eine eigenständige Sexualität abgesprochen und Tests auf Geschlechtskrankheiten nicht durchgeführt. Aufgrund von bestimmten äußerlichen Merkmalen wie Hautfarbe, Name oder Kleidung werden Menschen mit einem Herkunftsland, speziellen Krankheiten oder Verhaltensweisen assoziiert. Janice Owen-Aghedo hat erlebt, zu was so eine Stigmatisierung führen kann. Eine Schwarze Person in ihrer Familie erkrankt vor einigen Jahren schwer an Krebs und muss im Krankenhaus behandelt werden.
ZSP_10 O-TON JANICE – afrikanischer Mann
Ich habe es live mitbekommen, wie gesagt worden ist, ein wilder afrikanischer Mann würde hier um sich schlagen, obwohl dieser Person einfach ein falsches Medikament verabreicht worden ist, wo die Person darauf reagiert hat.
Dass Janice Owen-Aghedos Familienmitglied Halluzinationen aufgrund des Medikaments bekommen haben könnte, wird erstmal nicht in Erwägung gezogen. Stattdessen wird die Person ans Bett gefesselt, erzählt sie.
ZSP_11 O-TON JANICE – furchtbare Erfahrung
Also das war für uns als Familie einfach nur grauenhaft. Eine furchtbare Erfahrung und ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, wenn da eine Person gelegen hätte, die männlich weiß und mit Nachnamen Meier-Schmitz keine Ahnung wie heißen würde, wäre das nicht passiert.
Was bei einer Behandlung erschwerend hinzukommen kann, ist eine mögliche Sprachbarriere. Darüber macht sich auch Janice Owen-Aghedo Gedanken.
ZSP_12 O-TON JANICE – akzentfrei Deutsch
Ich muss dazu noch sagen, ich habe das Privileg, dass ich hier geboren worden bin, ich bin hier zur Schule gegangen, ich spreche akzentfrei Deutsch und kann mich sehr gut selbstständig artikulieren und auch für mich einstehen, aber ganz häufig können das andere Menschen, die hier hinkommen und Hilfe brauchen, nicht.]]
Politologin und Gesundheitswissenschaftlerin Theda Borde forscht seit 30 Jahren zu Migration und Gesundheit. In einer früheren und in einer 2024 veröffentlichten Studie haben die Wissenschaftlerin und ihr Team herausgefunden, dass Frauen, die nicht gut Deutsch sprechen, weniger häufig eine Periduralanästhesie, kurz PDA, zur Linderung ihrer Geburtsschmerzen bekamen.
ZSP_13 O-TON THEDA – pauschale Vorurteile
Und da war jetzt dann die Annahme, dass es daran liegt, dass die Patientinnenaufklärung, die dafür erforderlich ist, nicht durchgeführt wurde und dass man gleichzeitig natürlich auch Vorannahmen hat über bestimmte Bevölkerungsgruppen, dass sie Schmerz besser aushalten oder was auch immer. Also auch da sehen wir ganz deutlich, dass hier die Medizin, die ja eigentlich individuell agiert, mit pauschalen Vorurteilen agiert und nicht den Menschen selber in seinen Wünschen, in diesem Fall dann respektiert.
Von den Menschen, die neu nach Deutschland kommen, bräuchte eigentlich die Hälfte eine Sprachmittlung, sagt Theda Borde. Dafür gebe es in Deutschland aber keine zuverlässige Struktur, Finanzierung und Ausstattung. Bedeutet: Sie werden strukturell ausgegrenzt. Eine Sprachbarriere kann im Krankenhaus, wo unter Zeitdruck gearbeitet wird und eventuell zu wenig Personal da ist, dazu führen, dass Patienten und Patientinnen vernachlässigt werden: Die, die leichter zu versorgen sind, werden eher versorgt. Das hat auch eine Befragung unter geflüchteten Frauen gezeigt. Theda Borde erinnert sich an die Aussage einer Mutter, die aus Afghanistan stammt und in Berlin lebt:
ZSP_14 O-TON THEDA – Kind schon da
Sie sagte, ich war im Krankenhaus und habe mein Kind ganz allein bekommen. Ich habe die Reinigungsfrau gebeten, den Arzt zu holen. Als sie schließlich kamen, war mein Kind schon da. Das ist also ein gravierendes Beispiel von einer Vernachlässigung und Unterversorgung von einer Frau, die im Krankenhaus war.
Ausgrenzung und Rassismus sind gesamtgesellschaftliche Probleme, die nicht plötzlich vor der Medizin Halt machen. Gesundheitswissenschaftlerin Theda Borde:
ZSP_15 O-TON THEDA - Spektrum
Das fängt an von Ausgrenzung, Vernachlässigung oder auch von tatsächlich rassistischen Übergriffen oder auch, sage ich mal, verbalen Übergriffen. Und es ist ein breites Spektrum, es geht im Grunde los von Zugangsbarrieren. Und wir haben festgestellt in verschiedenen Studien, dass sowas wie gesellschaftlicher Rassismus sich natürlich in Institutionen fortsetzt und dann auch auf der interpersonellen Ebene eine Auswirkung hat. Das heißt, wir können das Gesundheitssystem oder die Medizin nicht losgelöst sehen von den gesellschaftlichen Verhältnissen.
„Sehr geehrte Damen und Herren, Ich möchte gerne einen Termin als Patientin in ihrer Praxis ausmachen. Ich habe viele Muttermale und würde die gerne mal wieder untersuchen lassen. Ich bin bei der Allianz versichert. Ich bin zeitlich flexibel und würde mich über einen Vorschlag für einen baldigen Termin freuen. Ich werde diesen dann zeitnah bestätigen. Vielen Dank für Ihre Mühe. Mit freundlichen Grüßen Elif Yilmaz“
Eine ganz normale Terminanfrage. Und ein Beispiel von knapp 6800 fiktiven Anfragen, die Forscher des Rassismusmonitors an verschiedene Praxen geschickt haben. Mit dem Experiment fanden sie heraus: Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen und Männer mit einem Namen, der in Nigeria oder der Türkei verbreitet ist, eine positive Antwort auf ihre Terminanfrage erhalten, ist deutlich niedriger als bei Frauen und Männern mit einem in Deutschland verbreiteten Namen. Besonders deutlich sind die Unterschiede bei psychotherapeutischen Praxen.
Das Problem ist: Wer erst nach etlichen Anfragen einen Termin bekommt, verliert Zeit. [[Wer sich mit seinen Symptomen nicht ernst genommen fühlt, wechselt womöglich häufig die Praxis oder geht irgendwann überhaupt nicht mehr hin – auch das kostet Zeit.]]
ZSP_16 O-TON CIHAN - lebensbedrohlich
Wir wissen auch aus der Forschung, dass diese Verzögerungen natürlich lebensbedrohliche Ausmaße annehmen können. Manchmal zählt jede Minute, jede Sekunde. Und das ist, finde ich, auch ein Befund, der uns aufhorchen lassen sollte.
ZSP_17 O-TON CIHAN – Leben und Tod
… weil Gesundheit über Leben und Tod natürlich entscheidet, vor allem die Gesundheitsversorgung, entscheiden kann.
Daten aus den USA zeigen zum Beispiel, dass Schwarze Frauen ein knapp 3,5-mal so hohes Risiko haben als weiße Frauen, in der Schwangerschaft, bei der Geburt oder danach zu sterben. Während der Corona-Pandemie starben Schwarze US-Amerikaner überdurchschnittlich oft. Janice Owen-Aghedo macht das wütend.
ZSP_18 O-TON JANICE – tötet
Also ich sage das immer und ich meine genauso wie ich das sage, Rassismus in der Medizin tötet. Menschen gehen nicht mehr zu Ärztinnen, weil sie Angst haben, dort schlecht behandelt zu werden und daraufhin erleiden sie vielleicht Erkrankungen, die man hätte vorher erkennen können oder bekommen einfach nicht die Hilfe, die sie brauchen.]]
Eine ungleiche Behandlung von Patienten und Patientinnen steht eigentlich den ethischen Prinzipien ärztlichen Handelns entgegen. So heißt es im Gelöbnis der Deklaration von Genf, das Teil der Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte in Deutschland ist:
ZITATOR Ausschnitt Genfer Gelöbnis
Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktoren zwischen meine Pflichten und meine Patientin oder meinen Patienten treten.
Sozialwissenschaftler Cihan Sinanoğlu findet diesen Grundsatz erstmal gut, sagt aber, dass die Gleichbehandlung nicht Praxis, sondern eher ein Ziel sei.
Also es wäre schön, wenn es die Praxis gäbe, dann hätten wir diese Studie nicht machen müssen, weil wir gesagt hätten, nein, die haben doch alle den Eid geschworen, also gibt es kein Problem. Wir wissen aber, dass Rassismus so nicht funktioniert. [[Also er wirkt auch dann, wenn diese Selbstverständnisse so artikuliert werden.]] Welcher Mensch sagt denn, ich bin ein Rassist, ich behandle Menschen ungleich? Sondern es hat was damit zu tun, dass dieses rassistische Wissen eingeschrieben ist in die Institution. Nicht der Eid ist das Problem, aber quasi die kritische Auseinandersetzung damit. Ist es denn wirklich so, dass ich alle Menschen gleichbehandle? Dieser Eid manchmal wie so ein Schutzschild. Man sagt, nein, warum, ich habe doch ein Eid geschworen, ich behandle alle gleich, Deckel drauf, Problem gelöst.
Rassismus ist in den Institutionen des Gesundheitswesens verankert. Und das fängt schon bei der Ausbildung an, denn Stigmatisierung findet sich auch in den medizinischen Lehrmaterialien. Cihan Sinanoğlu und sein Team haben sich angeschaut, wie Menschen, die von Rassismus betroffen sind, bebildert und beschrieben werden: Einerseits fanden sie heraus, dass von Rassismus betroffene Gruppen überproportional häufig mit Drogen und Alkoholkonsum bebildert wurden. Andererseits waren sie auch unterrepräsentiert:
ZSP_20 O-TON CIHAN - Unterrepräsentation
Zum Beispiel bei Hautkrankheiten, vor allem schwarze Haut dort, im Grunde genommen fast gar nicht bebildert wurde. Das könnte man sagen, naja, ist ja egal, dann werden die halt nicht, dann werden die so oder so bebildert. Aber bei den Hautkrankheiten, das wissen wir auch aus der Forschung, zum Beispiel Gerätschaften, die Hautscreenings machen und die feststellen wollen, ob Hautkrankheiten oder Hautkrebs vorliegen, bei schwarzer Haut nicht funktionieren, weil sie auf weiße Haut geeicht wurden.
Das bedeutet: Mediziner sind mitunter nicht genügend ausgebildet, um Symptome auf allen Hauttönen zu erkennen – einfach, weil sie kein ausreichendes Bildmaterial dazu im Studium gesehen haben. Dieses Problem kennt auch Ephsona Shencoru. Sie ist Dermatologin und hat sich auf „skin of color“, spezialisiert. Dass dunklere Hauttypen viel seltener in Lehrbüchern abgebildet sind, sei aber nicht nur für die Dermatologie problematisch – denn auch Ärzte anderer Fachrichtungen müssen beurteilen, was sie auf der Haut sehen.
ZSP_21 O-TON EPHSONA - Hautröte
Das Wichtige oder so eine Sache, die wir alle früh lernen, ist das Erythem, das heißt die Erkennung von Hautröte. Und da ist ja auch schon der erste wichtige Unterschied, dass einfach Rötung was sehr Subjektives ist, und Rötung einfach bei jedem anders aussehen kann. Das heißt, umso dunkler der Hautton ist, dann kann ich nicht erwarten, dass ich ein lachsfarbenes Rot oder Rosa vorfinde, sondern eher vielleicht eine dunklere Pigmentierung oder etwas, was in dieses gräulich-bräunliche, bläuliche übergeht. Und das sind natürlich die wichtigen Sachen, die man wissen muss, um sie zu erkennen, um dann auch vielleicht zu erkennen, dass der Patient eine Infektion hat, um dann auch anschließend behandelt zu werden.
Werden Alarmzeichen nicht erkannt und die Diagnose falsch oder verspätet gestellt, kann es gefährlich für Patienten werden. Zum Beispiel beim Schwarzen Hautkrebs: Eine Studie aus den USA, die Melanom-Patienten untersucht hat, fand heraus, dass die Latino- und Schwarze Bevölkerung insgesamt zwar seltener schwarzen Hautkrebs hatte, aber wenn, waren sie beim Zeitpunkt der Diagnose schon in einem sehr fortgeschritteneren Stadium.
ZSP_22 O-TON EPHSONA - Outcome
Bedeutet, dass das Outcome des Patienten auch schlechter ist. Das heißt, die Prognose schlechter, die Therapie ist viel, viel größer, viel aufwendiger und bedarf auch wahrscheinlich mehr.
Für eine gleich gute Behandlung aller Patienten braucht es also mehr Wissen, das heißt auch mehr Repräsentation in den Lehrmaterialien.
ZSP_23 O-TON EPHSONA - aufarbeiten
Das Schöne ist ja auch da, dass die Studierenden das auch wirklich einfordern. Ich glaube, dass viele Studierende uns auch als Lehrende fragen, wie sieht das auf dunkler Haut anders aus? Was ja auch immer ein schöner Anreiz ist für die Dozierenden, nächstes Mal die Folien dann doch aufzuarbeiten.
Bis die Wissenslücke vollständig geschlossen ist, sind extra Angebote und weitere Aufklärung nötig. Ephsona Shencoru richtete 2022 etwa eine Spezialsprechstunde an der Charité Berlin für Patienten mit „Skin of Color“ ein. Sie erinnert sich besonders an einen Patienten, der schon bei mehreren Hautärzten war und über sieben Jahre Symptome hatte.
ZSP_24 O-TON EPHSONA - Patient
[[Und diverse Diagnostik eigentlich auch schon lief, was super war, Therapie auch schon bekommen hat, aber nichts hat so richtig geholfen.]] Und der hatte letzten Endes wirklich eine Erkrankung, die ein ganz anderes Kaliber, sozusagen. Also das war eine Mykosis funguides, also das ist eine Art von Lymphom, das gehört zu der großen Gruppe. Und ist eigentlich was ganz anderes als das, auf was er bisher die ganzen Jahre behandelt worden ist. Und das war natürlich irgendwie ein sehr, sehr schönes Gefühl. Und nochmal für mich und ich glaube für mein Team auch so eine Bestätigung für die Sprechstunde, dass wir einfach Patienten den Raum geben können, die Möglichkeiten geben können, sich vorzustellen, wenn sozusagen bis dato sie noch nicht wirklich weitergekommen sind mit ihrer Hauterkrankung.
Solche kleinen Erfolge lösen aber nicht das grundsätzliche Problem.
ZSP_25 O-TON EPHSONA - Ziel
Also ich sage immer, mein Ziel ist eigentlich, diese Sprechstunde gar nicht zu haben. Weil ich finde, das ist ja was, was jeder machen soll. Ich möchte auch nicht das Gefühl haben, dass dann nur manche Leute dann dafür zuständig sind. Es ist ja einfach Teil der Gesellschaft und unsere Gesellschaft ist einfach nun mal divers. Ich sehe es aber eigentlich als eine Chance, dieses Thema einfach rauszutragen.
Dieses Ziel verfolgt auch das Projekt „Empowerment für Diversität“ an der Charité Berlin. Wissenschaftlerin Theda Borde ist dort Co-Leiterin. Seit 2022 arbeitet das Projekt mit sieben Frauenkliniken und zehn Bildungseinrichtungen in Deutschland zusammen. Die Kliniken wollen herausfinden, wo Risiken für Diskriminierung bestehen und praktische Lösungen dafür erarbeiten. Die Bildungspartner entwickeln Lehrmodule und Strategien, um rassismuskritische Inhalte in Ausbildungen, Fortbildungen und Studiengängen des Gesundheitspersonals zu verankern. 2025 soll eine für alle frei zugängliche Plattform mit dem Material gelauncht werden. Das Projekt will auch vernetzen: Kräfte bündeln, nachhaltig viele Menschen für mehr Chancengerechtigkeit erreichen.
ZSP_26 O-TON THEDA – was nützt
Was nützt der bestqualifizierte Mensch, wenn sie auf Strukturen kommt, die diese Kompetenzen gar nicht zum Zuge kommen lassen, weil Aufklärungsmaterialien nicht in verschiedenen Sprachen verfügbar sind, weil keine Sprachmittlerinnen eingesetzt werden, weil vielleicht die Kollegen nicht mitziehen. Und andererseits, was nützen uns die besten Strukturen in der Gesundheitsversorgung, wenn die Kompetenzen fehlen? Also von daher ist es sehr, sehr wichtig, dass wir hier verschiedene Ebenen berühren und die auch die Synergien dazwischen weiterbeleben.
Rassismus und damit auch Rassismus in der Medizin betrifft jeden und jede– nicht nur die, die unmittelbar darunter leiden.
ZSP_27 O-TON CIHAN - Demokratie
Und da geht es nicht nur darum, dass es jetzt quasi verändert werden muss, damit es einer Minderheit in dieser Gesellschaft besser geht, sondern die Art und Weise, wie wir mit Rassismus umgehen, ist ein Maßstab von demokratischer Entwicklung. Wenn wir es nicht schaffen, allen Gruppen, allen Menschen in dieser Gesellschaft einen gleichwertigen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, dann stimmt was mit unserer Demokratie nicht.
ZSP_28 O-TON JANICE – fair und gleich
Ich würde mir einfach wünschen, dass es eine faire und gleiche
Behandlung für alle Menschen gibt. Also egal, was eine Person mitbringt, sei es aufgrund ihrer Familiengeschichte, aufgrund der geschlechtlichen Identität oder anderen Themen, dass Ärzte einfach ihren Job machen und das ist, Menschen zu helfen und nicht Menschen zu diskriminieren und damit grob fahrlässig zu handeln.