Meditation als Möglichkeit zur Entspannung ist sehr beliebt und mit Apps und Videos gibt es viele kostenlose Angebote. Doch beim Blick nach innen und der Konzentration auf sich selbst, können auch Gefühle, Gedanken, Krisen und Traumata zum Vorschein kommen, mit denen man nicht gerechnet hat. Von Eva Deinert
Credits
Autorin dieser Folge: Eva Deinert
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Berenike Beschle, Peter Veit, Jenny Güzel
Technik: Regine Elbers
Redaktion: Yvonne Maier
Im Interview:
Dr. Ulrich Ott, Dr. Liane Hofmann, beide Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V.
Prof. em. Dr. Michael von Brück, Religionswissenschaftler
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Mehr über die Beratungsstelle von Dr. Ulrich Ott und Dr. Liane Hofmann am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) HIER
Hofmann, L., & Ott, U. (27. Februar 2024). Beratung bei spirituellen und meditationsinduzierten Krisen [Video]. YouTube
Hofmann, L. & Ott, U. (2024): Themenschwerpunktausgabe "Spirituelle und meditationsinduzierte Krisen". Zeitschrift „Bewusstseinswissenschaften – Transpersonale Psychologie und Psychotherapie“, 30(2).
Hofmann, L. & Heise, P. (Hrsg.) (2017). Spiritualität und spirituelle Krisen. Handbuch zu Theorie, Forschung und Praxis. Stuttgart: Schattauer/ Klett-Cotta.
von Brück, M. (2025): Wie wir Menschen werden. Anthropologie für die Zukunft. Interkulturelle Entdeckungen, Herder Verlag.
Sedlmeier, P. (2016). Die Kraft der Meditation. Was die Wissenschaft darüber weiss. Rowohlt.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an [email protected].
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Willkommen zu deiner Meditation.
Nimm dir einen Moment Zeit, um anzukommen.
Such dir einen Ort, an dem du für die nächsten Minuten ungestört sein kannst.
Setz dich bequem hin – aufrecht, aber entspannt.
Lass deine Schultern sanft sinken…
und schließ, wenn du möchtest, langsam die Augen.
„Spür den Boden unter dir.
Spür, wie dein Körper getragen wird.
Und dann… richte deine Aufmerksamkeit auf deinen Atem.
SPRECHERIN (ab kursivem Text drüber)
So beginnen viele Meditationsvideos, die es millionenfach im Internet auf YouTube oder in Apps zu finden gibt. Laut einer Umfrage des Statistik-Portals Statista hat fast jede bzw. jeder vierte Deutsche eine Meditationsapp auf dem Handy. Meditieren ist nicht mehr nur ein Trend, es ist ein Massenphänomen geworden. Viele meditieren, um Stress loszuwerden, Probleme zu bewältigen, besser zu schlafen, ruhiger und entspannter zu werden oder sich selbst besser kennenzulernen. Und die Wissenschaft gibt ihnen erstmal Recht: Studien zeigen, dass Meditation Stress reduzieren kann – unter anderem durch die Senkung des Stresshormons Cortisol. Oder dass Meditieren bei depressiven Verstimmungen zu einer Besserung und zur emotionalen Resilienz beitragen kann. Auch das Immunsystem profitiert von Meditation und wird dadurch nachweislich gestärkt . Bei Meditierenden verändert sich außerdem das Gehirn in den Bereichen, die für Emotionen und Aufmerksamkeit zuständig sind, es steigert also die Konzentration. Und wer meditiert, schläft besser, weil Meditieren das sogenannte "Gedankenkarussell" reduzieren kann, was viele Menschen vom Einschlafen abhält.
Im Internet tauschen sich Meditierende über ihre Erfahrungen aus. Zum Beispiel in offen einsehbaren Foren wie Reddit. Dort finden sich auch Erfahrungsberichte wie diese – die von einem scheinbar anderen Effekt erzählen.
Ich habe seit Wochen einen sehr starken Druck auf der Brust und damit einhergehende Angstgefühle, wenn soziale Events bevorstehen. Habe deswegen angefangen, geführte Meditationen von Mady Morisson [auf Youtube] zu machen. Die ersten Male waren der Hammer und ich habe mich danach sehr befreit gefühlt. Das ist jetzt nach dem 5. - 6. Mal leider umgeschlagen und ich wurde beim Meditieren noch unruhiger, als ich es vorher war. Das hat heute seinen Höhepunkt gefunden, ich habe währenddessen Atemnot und Herzklopfen bekommen, weil ich so durch den Wind war. Jetzt fühle ich mich einfach nur sehr ausgelaugt und abgestumpft.
Diplompsychologin Dr. Liane Hofmann vom Institut der Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg beschäftigt sich mit genau solchen Fällen und kennt die Phänomene, die für viele Menschen überraschend und unerwartet sind:
ZSP 1 Hofmann: Aufhebung der Verdrängungsschranke
Also insgesamt bringt die Meditation eben als erster Effekt erst mal diese Aufhebung der Verdrängungsschranke. Und es kommt ganz viel Material, auch in die Psyche, mit dem man dann umgehen muss, das man verarbeiten muss. Das ist eine der ersten Wirkungen.
Liane Hofmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Thema spirituelle Entwicklung und ihre möglichen Krisen. Die Verdrängungsschranke ist ein Begriff aus der Psychologie und beschreibt eine Art inneren Schutzmechanismus für unser Bewusstsein, der dafür sorgt, dass schmerzhafte Erinnerungen, unangenehme Gefühle und Traumata erstmal im Unbewussten bleiben und uns nicht im Alltag überwältigen. Meditation kann dazu führen, dass diese Verdrängungsschranke weicher wird und diese Inhalte manchmal plötzlich ins Bewusstsein dringen. Das kann ganz individuell sowohl als befreiend als auch beunruhigend empfunden werden.
Um zu verstehen, was bei Mediation also schieflaufen kann, muss man erstmal erklären, wie Meditation genau funktioniert. Meditation gibt es in vielen unterschiedlichen Praktiken und Formen: Zum Beispiel Atemmeditation, die sich auf das Ein- und Ausatmen konzentrieren, Achtsamkeitsmeditationen oder „Mindfulness“, die neben dem Atem auch andere Körperempfindungen beobachten. Zen-Meditationen, also das Sitzen in der Stille, mit dem Fokus auf das Atmen und „nicht-Denken“. Im östlichen Christentum wird das Herzensgebet rezitiert, also ein Satz mantraartig wiederholt, um den Geist zu konzentrieren. Auch Fasten und Schweigerituale gehören dazu. Dynamische Formen sind Gehmeditationen, QiGong oder auch Yoga-Praktiken. Ihren Ursprung haben viele davon: in der Religion.
ZSP 2 von Brück: in allen Religionen bewusstseinserweiterungen
Wir haben in allen Kulturen, in allen Religionen Techniken der Bewusstseinsbeeinflussung, Bewusstseinserweiterung gegenüber dem alltäglichen Bewusstsein.
Der Theologe Michael von Brück ist emeritierter Professor der Religionswissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München und Zen- und Yogalehrer. Er hat lang Meditationsformen in verschiedenen Religionen untersucht.
ZSP 3 von Brück: jenseits Horizont
Das wird dann in den Religionen natürlich mit dem Wunsch oder so möchte ich mal verknüpft, einen Erfahrungsbereich zu erreichen, der jenseits des alltäglichen, raumzeitlichen Gefühls, zweckorientierten Denkens, ich muss immer dies oder das tun, einen Horizont erweitert, in dem dann eben die religiösen Erfahrungen und die religiösen Erlebnisse möglich sind.
Gäubige, die meditieren, haben über die Religionen hinweg einiges gemeinsam:
ZSP 4 von Brück Ziel von Meditation
Das Ziel tiefer in das, was ist eigentlich der menschliche Geist, was ist unser Leben, das kann doch nicht alles sein, sondern was ist eigentlich hinter dem allen. Daran zu kommen, nicht nur durch den Gedanken, sondern durch eine tiefe psychosomatische Erfahrung, das ist das Ziel der ganzen Geschichte, wobei noch dazukommt, dass viele dieser Rituale und der Techniken, die ich eben erzählt habe, in Gemeinschaft stattfinden. Also etwa das Trommeln, das Tanzen, aber auch das Meditieren, selbst das Sitzen im Schweigen, geschieht in Gemeinschaft und schafft eine Art von Kommunität, gemeinsamer Sicherheit auch, die für Menschen, die natürlich Angst haben, Angst vor dem Leben, Angst vor dem Sterben, ganz bedeutend ist und ganz starke heilende Wirkung haben kann.
Heute hat sich Meditation verändert: viele Menschen fangen nicht aus religiösen Gründen damit an. Sie wollen aber von den positiven Effekten, die Meditation haben kann, profitieren - der Beeinflussung des Bewusstseins und der positiven, heilenden Wirkung auf den Körper. Dr. Ulrich Ott ist Psychologe und Meditationsforscher am Institut der Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg und kennt weitere Gründe.
ZSP 5 Ott: Motive zur Meditation bis Instrospektion
So die wichtigsten sind erst mal die Entspannung und die Stressreduktion. Das ist auch oft eine Einstiegsmotivation. Dann die Steigerung der Konzentrationsfähigkeit und Leistungsfähigkeit generell. Die Selbsterforschung, also die eigenen Motive zu ergründen, sich so Introspektion zu betreiben, wer bin ich eigentlich, was will ich eigentlich in meinem Leben.
Wer lernen möchte, sich besser zu entspannen und gelassener mit Stress umzugehen, sucht also die Möglichkeit, seine mentale Gesundheit sozusagen zu trainieren. Viele Gesundheits- und Fitnessinfluencer preisen auf Social Media daher Meditation für dieses Ziel an. Bei anderen steckt vielleicht ein Leidensdruck dahinter:
ZSP 6 Ott: Motive zur Meditation – Umgang mit Problemen.
Ein sehr großes Motiv ist auch der Umgang mit Problemen. Das können Schmerzen sein, belastende Gefühle, zum Beispiel nach Trennung oder auch körperliche Erkrankungen, die mit Beschwerden einhergehen. Und dann haben Sie den ganz großen Bereich der spirituellen Zielsetzungen, wo es um spirituelle Erfahrungen geht, mystische Erfahrungen bis hin zu Befreiungen, sehr tiefer Selbsterkenntnis in der Meditation. Also von Entspannung bis Erleuchtung haben Sie sozusagen ein Spektrum von Motiven, warum Menschen anfangen zu meditieren.
Wie Meditation auf Körper und Gehirn wirkt, ist unabhängig von der Art der Praxis. Ulrich Ott erklärt diesen überraschenden Fakt so:
ZSP 7 Ott: Die Aufmerksamkeit nach innen wenden
Also was Sie beschreiben können, ist, dass wir normal im Alltag ja sehr geschäftig sind und mit vielen Dingen aus der Außenwelt uns beschäftigen und in der Meditation wenden sie ja die Aufmerksamkeit nach innen. und nehmen erst mal unseren Körper wahr. Der hat sehr viele wichtige Quellen von Emotionen, von Gefühlen, von unserem Seinsgefühl. Und damit nehmen Sie Kontakt auf. Also vieles, was unbewusst ist, was unterhalb einer Wahrnehmungsschwelle ist im Alltag, was aber die ganze Zeit da ist. Sie atmen ja die ganze Zeit. Ihr Herz schlägt die ganze Zeit. Sie haben ein Gefühl, wie es Ihnen geht im Bauch, ein Bauchgefühl. Zu diesen Quellen finden Sie einen Zugang. Und da sind eben nicht nur körperliche Empfindungen, sondern auch viele tiefe Gefühle zu Hause. Zum Beispiel eine Wut im Bauch oder eine alte Trauer oder eine Verletzung im Herzen. Und die werden dann wieder wahrnehmbar.
Und das ist ja auch so gewollt in der Praxis der Meditation: Die bewusste Beschäftigung mit sich selbst, raus aus dem Alltag. Dabei kann schon bewusstes Atmen ausreichen, um eine Brücke zu bilden zwischen Bewussten und Unbewussten. Und diese Brücke führt dann hinter die Verdrängungsschranke - also hinter diese Barriere, die im Alltag dafür sorgt, dass Dinge häufig im Unbewussten bleiben. Was dort wohnt, kann dann auftauchen.
ZSP 8 Hofmann: Ganz weit zurückreichen in die frühe Kindheit
Das können Bilder sein, das können Gefühlszustände sein, Impressionen sein. Die können aus ganz frühen Zeiten kommen oder aus aktuellen Situationen heraus entstehen. Und manchmal ist das bekannt und man hat einen Bezug dazu. Aber manchmal tauchen da auch Gefühle und Eindrücke auf, wo man gar nicht weiß, wo kommt das eigentlich her. Das kann ganz weit zurückreichen in die frühe Kindheit.
Für manche Menschen ist das nicht überraschend, sie kennen diese Wirkung von Meditation. Andere Menschen sind irritiert, wenn solche Bilder, Gefühle und Gedanken auftauchen und für sie ist es nicht einfach, damit umzugehen. Laut einer Untersuchung einer Arbeitsgruppe, an der auch Forschenden der Charité Berlin beteiligt waren, haben 22% der Meditierenden schon mindestens eine unangenehme Erfahrung erlebt beim Meditieren. 13% berichten sogar von einem negativen oder schädlichen Effekt, sie waren gesundheitlich beeinträchtigt oder brauchten Unterstützung. Welche Erfahrungen als unangenehm wahrgenommen werden, ist höchst individuell. Ulrich Ott:
ZSP 9 Ott: sensorische Deprivation - innere Bilder
dass Sie merken, da sind ungewöhnliche Empfindungen im Körper, vielleicht auch energetische Empfindung, das wird sehr oft berichtet, dass man irgendwo Energieströme oder Wirbel im Körper spürt, das ist am Anfang so. Es kann auch sein, dass sie mit geschlossenen Augen Lichterfahrungen haben, dass die Farben sehen. Das ist zum Teil einfach eine Wirkung der sensorischen Deprivation, das heißt dieses Rückzugs der Sinne aus der Außenwelt. Ja, dann sinken die Reizschwellen fürs Feuern im Gehirn und dann kann sein, dass sehr viel spontane innere Bilder auftauchen.
Meditierende wollen bewusst die äußeren Reize, die Hektik, die Informationsflut, den Alltagsstress reduzieren und praktizieren in der Regel auch in einer ruhigen, geräuscharmen Umgebung möglichst ohne Störungen - das ist die Sensorische Deprivation. Das Gehirn hat dann weniger Input von außen – und beginnt, die inneren Wahrnehmungen hochzufahren. Körperempfindungen werden intensiver, z.B. nimmt man den Atem lauter wahr oder der Herzschlag wird spürbarer. Gedanken und Emotionen drängen sich deutlicher auf. Diese erhöhte Empfindsamkeit ist ein Zeichen der gesteigerten Wahrnehmung und ein natürlicher Effekt davon, dass die Aufmerksamkeit fokussiert wird. Das Nervensystem nimmt jetzt auch schwache Reize viel schärfer wahr.
ZSP 10 Hofmann: Hypersensibilität
Und das wird so stark, dass die Leute dann sagen, ich kriege viel mehr mit von meinen eigenen Zuständen und die sind zuweilen schwer zu ertragen. Oder ich bin auch empathischer geworden. Ich kriege mehr mit von den Stimmungen von anderen Menschen. Und das wirkt dann auf Dauer überwältigend.
Hypersensibilität nennt das die Wissenschaft. Liane Hofmann und Ulrich Ott berichten, dass diese Nebenwirkung häufig beschrieben wird von den Anrufern in ihrer Beratungsstelle in Freiburg. Am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene beraten sie Menschen bei spirituellen und meditationsinduzierten Krisen. Viele beschreiben, dass sie ein gesteigertes Mitgefühl erleben, Stimmungen stärker wahrnehmen, als ständen ihre Antennen permanent auf Empfang.
Also: Innere Bilder und alte Gefühle, die auftauchen, das bewusste Wahrnehmen von sonst normalen oder automatischen Prozessen im Körper und Hypersensibilität sind Wirkungen von Meditation, die irritieren und herausfordern können. Aber es gibt auch noch tiefergehende Krisen, die bei intensiver Praxis auftreten können.
ZSP 11 Ott: Depersonalisation
dann kann es auch dazu kommen, dass Sie so Ihre alten Rollen, Verständnisse und Denken, was Sie immer dachten, wer Sie sind und wie Sie sind, dass das hinterfragt wird. dass sie sich gar nicht mehr mit ihrem alten Ich identifizieren können, wie sie das bisher getan haben. Also, dass es eine tiefe Hinterfragung ihres bisherigen Weltbildes gibt. Und das kann eine Erschütterung sein, eine existenzielle Krise auslösen oder auch, dass die Umwelt nicht mehr so vertraut ihnen vorkommt und sie sich so ein bisschen fühlen wie in der Matrix und denken, da gibt es irgendwie noch was anderes, aber sie haben noch nicht so richtig ... Das integriert in ihr neues Weltbild.
Ein derartiger “spiritueller Durchbruch” in der Meditation ist ein Moment tiefster innerer Erkenntnis oder Erfahrung, in dem sich das gewohnte Selbstgefühl auflöst oder erweitert. Etwas, dass viele Meditierende erreichen wollen, die auf der Suche nach der Erleuchtung sind.
ZSP 12 Ott: spirituelle Durchbrüche
Also diese Übergangsphasen, diese Durchbrüche in spirituelle Erfahrungsbereiche, das können halt auch manchmal Zusammenbrüchen sein. Man kommt da mit Bereichen in Berührung, wo man nicht so richtig weiß, wie man damit umgehen kann, weil das so neu und unbekannt ist.
Der Moment des Durchbruchs kann also bei manchen Menschen auch Überwältigung auslösen, wenn sie nicht damit gerechnet haben. In einem Forum auf der Plattform Reddit beschreibt ein User seine Erfahrungen damit so:
Damals gab es in der App einen Einführungskurs, in dem man jeden Tag nach und nach neue Techniken erlernte. Während ich diese Techniken anwendete, begann ich einige seltsame Empfindungen zu entwickeln. Das Schlimmste, was dabei herauskam, war, als ich zu den Abschnitten kam, die einen zum Nachdenken über Fragen wie „Wer ist derjenige, der denkt“, „Was ist die Quelle Ihres Bewusstseins“ usw. anregen. Diese Fragen haben in mir das Gefühl ausgelöst, dass mein Gehirn schmilzt oder explodiert. Ich hatte das Gefühl, dass alles ein erfundenes Konstrukt ist und keine eigentliche Bedeutung hat. Ich wurde zum Zuschauer des Lebens und lebte nicht mehr.
Dass Menschen sich mit ihren Meditationserfahrungen allein und erschüttert fühlen, liegt auch oft daran, dass die Praxis aus ihrem religiösen Kontext herausgelöst wurde. In den Religionen geht es auch immer um ein Lehrer-Schüler-Verhältnis. Um jemanden, der einen begleitet und anleitet, erklärt Michael von Brück.
ZSP 13 von Brück: Man braucht einen Spiegel
Das ist in allen Religionen wesentlich. Schauen Sie, im Christentum, nicht wahr, da haben wir ja zum Beispiel also den Beichtvater, im Buddhismus den spirituellen Freund, wie man das nennt, Kalyana Mitra ist der Begriff, eine Begleitung. Man braucht sozusagen auch einen Spiegel, in den man schauen kann.
Darüber hinaus gehört zu einer Religionsausübung noch viel mehr, zum Beispiel: eine bestimmte Lebensführung, ethisch-moralische Richtlinien, die eine bestimmte innere Haltung und Geisteshaltungen fördern. Sodass ein ganzheitlicher Kontext entsteht, zu dem auch ein weiteres wichtiges Element gehört: Die Einbettung in die Gemeinschaft.
ZSP 14 Hofmann: Meditation rausgelöst
wir heute hier in der westlichen Gesellschaft haben ein Element von dem ganzen Paket rausgenommen, nämlich die Praxis, dann die Meditation.
Sei es das Atmen, das Stillsitzen, das Mantrensingen, das Schweigen – in welcher Form auch immer – einen Teil haben wir rausgelöst, der religiös-spirituelle Unterbau fehlt in der modernen Anwendungsweise häufig.
ZSP 15 Hofmann: Meditation allein
die Leute ... meditieren neben ihrem Alltag, neben ihrem beruflichen Stress, neben ihren familiären Anforderungen. Also es ist oft sehr dicht getaktet und gar keine Muse oder Raum oder oftmals auch keine Verbindung mit der Community, mit einer Gemeinschaft, die mitpraktiziert, was auch ein sehr wichtiger Faktor ist für die Stabilität und den gemeinsamen Prozess.
Häufig haben Meditierende, die sich bei Liane Hofmann und Ulrich Ott Hilfe in der Beratungsstelle suchen, intensiv allein zu Hause ohne Einbindung in eine Gemeinschaft mit Online-Angeboten und Apps meditiert. Und:
ZSP 16 Ott: Risikofaktor allein in Fernost
Es ist nicht nur alleine zu Hause. Wir haben auch immer wieder Fälle von Leuten, die sozusagen in andere Kulturen eintauchen, zum Beispiel in Fernasien, im Fernosten, und dort dann einen Kurs buchen im Kloster. Die sind ja für Westler inzwischen offen, aber dann ist eine Sprachbarriere da und sie haben oft nicht den ganzen kulturellen Hintergrund, in den diese Praxis eingebettet ist. Praktizieren aber sehr intensiv, also viele Stunden am Tag, oft im Schweigen. Und da haben wir die Erfahrung gemacht, dass das auch ein Risikofaktor ist, wenn Sie quasi alleine unterwegs sind auf Weltreise und dann so einen ganz intensiven Psychenprozess machen, ohne irgendeine Möglichkeit zu haben, sich auszutauschen. Also das ist auf jeden Fall auch so ein Aspekt von Dekontextualisierung, der da ein Risikofaktor darstellt.
Ein Retreat ist kein Wellnessurlaub, das unterschätzen viele. Denn die Beschäftigung mit sich selbst ist nicht gleichbedeutend mit Erholung. Auch wer sonst kurze Meditationseinheiten im Alltag praktiziert, kann nach einer intensiven Woche überwältigt sein. Wenn Menschen sich in der Beratungsstelle bei Ulrich Ott und Liane Hofmann melden, geht es zunächst darum, den Kontext zu bieten, der oft in der Praxis – allein zu Hause oder nach einem intensivem Retreat – fehlt. Und das Ganze erstmal zu normalisieren.
weil die Betroffenen, die Ratsuchenden denken, sie sind die Einzigen, denen das passiert ist. Und ihnen dann zu sagen, das haben wir schon öfter gehört, das ist gar nicht so ungewöhnlich, das beruhigt schon ein bisschen, dass sie das Gefühl haben, sie sprechen mit jemanden, der das schon oft gehört hat, der das einordnen kann, das eine große Beruhigung. Ja, und wenn man das dann erklärt und andere Modifikationen zum Beispiel vorschlägt, eine Reduktion der Praxis oder eine andere Praxis, dann können die Leute trotzdem das, was sie gewinnen durch die Meditation, weiter beibehalten. Das hat ja auch für sie oft einen Wert.
In anderen Fällen reicht das aber nicht aus.
ZSP 18 Hofmann: Depression
Oftmals stellt sich bei so einem Gespräch auch heraus, dass die Vorstellung irgendwie die falschen war, dass jemand eigentlich Meditation anfängt, um seine Depression oder seine Angstzustände besser in den Griff zu kriegen. Und es reicht aber einfach nicht aus. Also da wäre vielleicht dann besser bei einer Psychotherapie besser beraten. Und da raten wir dann auch zur Aufnahme von der Psychotherapie.
Manchmal wird hier aber der Mangel an anderer Stelle deutlich: Psychotherapieplätze sind in Deutschland rar und mit langen Wartezeiten verbunden. Manche Menschen versuchen sich dann zunächst selbst zu helfen, weil sie von guten Effekten der Meditation bei Depressionen und ähnlichem gehört und gelesen haben. Doch unbegleitet kann das das Gegenteil bewirken.
Ein einfacher Rat für Menschen, die mit Meditation anfangen, ist daher ähnlich, wie der, den man jemanden geben würde, der mit Fitnessübungen oder Fasten anfängt: nicht einfach loslegen, sondern sich zunächst darüber informieren. Nicht jede Praxis ist auch für jeden geeignet. Vorsicht walten lassen vor überzogenen Versprechungen der Werbung im Netz und von Influencern auf Social Media. Ulrich Ott sagt, dass zum Beispiel viele Krankenkassen gute Angebote hätten mit zertifizierten Kursen und geprüften Lehrpersonen. Gute Angebote erkennt man auch daran, dass nicht sofort das teure Retreat verkauft wird, sondern zum Beispiel auch Erfahrungen und Vorprägungen abgefragt werden und zunächst zu kürzeren Kursen geraten wird. Gerade eine intensive, mehrtägige Praxis, ohne dass man viel Vorerfahrung hat, kann ein Risikofaktor für Krisen sein.
Liane Hofmann und Ulrich Ott versuchen ihr Wissen um meditationsinduzierte Krisen auch weiterzugeben und in die Breite der Psychotherapie zu bringen. Denn nicht jeder Mediziner oder Psychotherapeut weiß um die beschriebenen Nebenwirkungen von Meditation, wenn ein Patient oder eine Patientin Hilfe sucht. Durch Information, Prävention und Aufklärung lassen sich dann vor allem auch die positiven Effekte von Meditation besser genießen.
ZSP 19 von Brück: Gemeinschaft in Zen
wenn wir Zen praktizieren, dann ist das eine Woche im Schweigen. Da wird nicht miteinander geredet. Wir sitzen stundenlang, machen unsere Yoga-Praxis selbstverständlich, weil das auch sehr schön ist, sich dann ganz konzentriert zu bewegen. Das ist ja ein Genuss, das gehört unbedingt dazu. So, wir sitzen nebeneinander, 20, 25, 30 Leute und schweigen. Es entsteht nicht gleich nach einer Stunde, sondern aber eben nach ein, zwei, drei, vier Tagen eine Tiefe von Gemeinschaft und Gemeinschaftsgefühl, was jedes geschwätzige Zusammensein hinter sich lässt. Und das schafft eine Sicherheit, eine Tiefe, ja, ich möchte sagen Verwurzelung, die ich gar nicht benennen muss, die aber mein Lebensgefühl so richtig gut zum Ausdruck bringt. Also gerade in dem Schweigen, in der scheinbaren Einsamkeit, entsteht eine Tiefe von Gemeinschaft, die wir im Alltag längst verloren haben. Und das kann natürlich Apps oder sowas überhaupt nicht ersetzen.