Interessante Gäste, die ihre topaktuellen Informationen und ihr profundes Hintergrundwissen zu internationalen Sicherheitsfragen mit uns teilen.
Im Atlantic Talk kommen Menschen zu Wort, die
... moreBy Deutsche Atlantische Gesellschaft e.V.
Interessante Gäste, die ihre topaktuellen Informationen und ihr profundes Hintergrundwissen zu internationalen Sicherheitsfragen mit uns teilen.
Im Atlantic Talk kommen Menschen zu Wort, die
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Das sicherheitspolitische Umfeld ist heute das gefährlichste seit dem Ende des Kalten Krieges, und es herrscht Krieg in Europa, Krieg im (Noch-)Nicht-NATO-Mitgliedstaat Ukraine. Einige Tage nach dem NATO-Jubiläumsgipfel in Washington geht es im Atlantic Talk Podcast um die Frage, wie das transatlantische Bündnis der 32 NATO-Staaten gegen äußere und gegen innere Gefahren gewappnet ist.
Auf ihrem Washingtoner Jubiläumsgipfel hat die NATO fünf Lücken definiert, in denen ihre Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit dringenden Nachholbedarf hat. Was darüber hinaus aus Sicht der NATO-Expertin Dr. Gerlinde Niehus fehlt, ist eine dezidierte Russland-Strategie. Nirgends wird das so deutlich wie bei den zeitlich unbestimmten Beschlüssen über einen möglichen Beginn von NATO-Beitrittsverhandlungen oder einer langfristigen finanziellen Unterstützung der Ukraine. Auch der Washingtoner Gipfel habe hier nicht als mehr den NATO-typischen Minimalkonsens zustande gebracht.
Nicht zu unterschätzen sei allerdings die Entscheidung ein NATO-Hauptquartier in Wiesbaden einzurichten, das der Koordinierung der militärischen Ukrainehilfe und der Ausbildung ukrainischer Soldaten an westlichen Waffensystemen dienen soll. Das und der Beschluss bis 2026 drei US-amerikanischen Waffentypen zur Abschreckung und Verteidigung des NATO-Gebietes zu stationieren, komme der Ukraine zugute und mache die NATO auch sicherer für den Fall einer Wiederwahl des allgemein als NATO-kritisch beurteilten US-Republikaners Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten.
Gemeinsam mit Moderator Oliver Weilandt diskutiert die seit 2019 in Diensten der NATO tätige stellvertretende Direktorin für die Sicherheitskooperation mit den Partnerländern u.a. den unlängst von Professor Sarotte von der Johns-Hopkins-School of Advanced International Studies eingebrachten Vorschlag für eine sehr zeitnahe Aufnahme nur des nicht russisch besetzten Teils der Ukraine in die NATO. Der deutschen Teilung ähnlich müsse der russisch besetzte Teil und die Frontlinie de jure nicht anerkannt, ihre Realität aber andererseits nicht geleugnet werden. Russland werde es dann nicht wagen, weitere Gebiete der Ukraine anzugreifen, so Sarotte, denn das habe es bisher noch nie getan.
Es geht in dieser Episode auch um die Nationalisierung innerhalb der NATO-Staaten, die zunehmende Bedeutung der Gewinnung neuer NATO-Partner wie Indien und die Kooperationsaufgaben, die die europäischen NATO-Mitglieder in ihren Beziehungen zu den NATO-Partnern erfüllen können.
Immer weiter hat der Iran in den letzten Jahrzehnten seine Machtstellung im Nahen und Mittleren Osten ausbauen können. Längst habe er auch Saudi-Arabien in den Schatten gestellt. Seine Langstreckenwaffen reichten schon heute bis nach Deutschland und sein Atomprogramm sei weit fortgeschritten, sagt Dr. Guido Steinberg, Islamwissenschaftler und Forscher der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Eine ernste und umfängliche militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und der auf das Engste mit der »Islamischen Republik Iran« verbundenen Hisbollah im Libanon und sogar die Entsendung israelischer Bodentruppen hält er mittelfristig für unvermeidlich. Ob der massive Angriff der Hisbollah mit 170 auf Israel abgefeuerten Drohnen und Raketen vom 13. Juni dazu der entscheidende Anlass sein wird, das sei am heutigen Tag (13.06.2024) noch nicht zu sagen.
Der langjährige Referent für Islamistischen Terror im Berliner Kanzleramt analysiert im Gespräch mit Moderator Oliver Weilandt das Netzwerk der schiitischen Proxys: von der Hamas in Gaza über die jemenitischen Huthi, die Milizen in Syrien und dem Irak bis zur Hisbollah. Sie alle eint mit dem Mullah-Regime in Teheran ein tiefsitzender Hass auf den jüdischen Staat Israel. Gleichzeitig werden sie aber missbraucht und instrumentalisiert für die imperialistischen Ziele der iranischen Führung um den 85-jährigen »Obersten Führer« Ajatollah Ali Chamenei.
Auch nach dem Tod des früheren iranischen Präsidenten Raisi im April dieses Jahres und angesichts des hohen Alters von Ali Chamenei zeichne sich keine wesentliche politische Änderung durch eventuelle Nachfolger wie den Sohn des Ajatollahs Modschtaba Chamenei ab. Einen Sturz des im wesentlichen von den Revolutionsgarden kontrollierten Regimes sieht Steinberg seitens einer künftigen neuen Führungspersönlichkeit nicht. Die größte Gefahr gehe vielmehr von der mangelnden Unterstützung des Volkes aus, das bei weitem nicht geschlossen hinter der Regierung steht. Dass die Zivilgesellschaft schon Tausende von den Revolutionsgarden und ihren Schlägertrupps ermordete Kritiker verloren hat, lässt allerdings alles andere als eine »friedliche Revolution« erwarten.
Auch die geopolitischen Perspektiven wertet der Islamwissenschaftler Steinberg als wenig mutmachend. Die in den letzten Jahren ausgebauten Beziehungen des Iran zu Russland und China und nicht zuletzt die Aufnahme in die BRICS+-Gruppe stelle eine enorme internationale Aufwertung für den Iran da. Diese Aufwertung ist auch die Währung, mit der Russland die umfassende Belieferung mit iranischen Drohnen für seinen Krieg in der Ukraine bezahlt. Auch hier wird für Guido Steinberg deutlich, wie sich der Iran in eine Allianz von Feinden einreiht, die nicht nur Israel, sondern auch Europa und die Weltsicherheit zunehmend bedrohe.
„Es ist der Versuch, Europa mit ins Spiel zu bringen“, sagt Werner Sonne zum Vorschlag von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, eine EU-Kontrollmission am Grenzübergang zwischen Gaza und Ägypten wieder aufzunehmen: „Das kann man durchaus für einen guten Versuch halten“.
Es ist ein Aspekt der großen Frage: „Wie geht es weiter mit dem Gaza-Streifen?“ Und die wiederum ist ein Aspekt der noch größeren Frage: „Wie soll es überhaupt weitergehen mit der Palästinenserfrage?“
Dass mit Norwegen, Spanien und Irland nun neuerdings insgesamt 146 Staaten Palästina als eigenständigen Staat anerkennen, bewertet der langjährige ARD-Korrespondent als „weiteren symbolischen Versuch, Israel in die Enge zu treiben und endlich eine Lösung zu finden“. Doch auch hinter diesem Versuch stünden weitere Fragen: „Welcher Staat soll denn anerkannt werden? Wie soll er aussehen? Aus welchen Gebieten soll er bestehen?“
Werner Sonne erläutert im Gespräch mit Moderator Oliver Weilandt viele der komplexen Zusammenhänge im Nah-Ost-Konflikt – allgemein und insbesondere in Bezug auf die gegenwärtige Situation nach dem Überfall von Terrorkommandos der Hamas auf israelische Zivilistinnen und Zivilisten am 7. Oktober 2023 mit grauenvollen Massakern an der Zivilbevölkerung, mehr als 240 entführten Menschen und den darauf folgenden Angriffen Israels auf Gaza mit dem Ziel, die Hamas zu vernichten und die Geiseln zu befreien. Zahlreiche wiederum zivile Opfer in Gaza führen seitdem zu einem Widerspruch zwischen humanitärem und militärischem Völkerrecht.
Innenpolitisch stelle sich für Israel die Frage, ob und wie lange die ultrarechte Regierung Netanjahus an der Macht bleibt. Längst droht der größte innenpolitische Gegner des israelischen Ministerpräsidenten, Oppositionsführer Benny Gantz, mit Rücktritt aus dem sogenannten Kriegskabinett, wenn der Ministerpräsident nicht bald eine Perspektive für die Zukunft Gazas formuliert.
Immerhin: An der diplomatischen Front gebe es jetzt etwas Bewegung, sagt Werner Sonne, dennoch sei die Palästinenserfrage sei derzeit besonders schwer zu beantworten. Während er einer Ein-Staaten-Lösung aus demografischen Gründen gar keine Chancen einräumt, bleibe die seit Jahrzehnten auch von westlichen Staaten angestrebte Zwei-Staaten-Lösung grundsätzlich eine Option; allerdings nicht in der unmittelbaren Zukunft: zum einen, weil völlig offen sei, wer in einem palästinensischen Staat die Führung übernehmen könnte und zum anderen wegen der derzeitigen israelischen Regierung:
„Wir haben drei Spieler, die nicht wollen oder nicht können oder nicht infrage kommen“. Deshalb sei eine Zwei-Staaten-Lösung „zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Illusion“. Das sehe auch die deutsche Bundesregierung so.
Die wiederum – wie generell „wir Deutschen“ –, so Sonne, „habe eine besondere Verantwortung gegenüber dem Staat der Juden“, die sich aus dem Holocaust ergebe. Diese besondere Beziehung beschreibt er auch in seinem gerade im Verlag C. H. Beck erschienen Buch „Israel und Wir“. Auch in Zeiten, in denen Israels Ansehen zunehmend unter Druck gerät und das Land weniger weltweite Unterstützung erhält, ergebe sich aus dieser Verantwortung stets der Einsatz für das Existenzrecht Israels. Mit Blick auf die antisemitischen Ausschreitungen im Rahmen der Besetzung der Humboldt-Universität zu Berlin folge aus der erstmals von der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel so genannten »Deutschen Staatsräson«, dass Antisemitismus in Deutschland keinen Platz haben darf.
„Die nukleare Abschreckung wurde zum ersten Mal instrumentalisiert“, sagt der Politikwissenschaftler Dr. Karl-Heinz Kamp, „Russland hat die Nukleardrohung genutzt, um unterhalb dieser Drohung Krieg zu führen“. Damit habe atomare Abschreckung eine neue Bedeutung bekommen – und die Idee der nuklearwaffenfreien Welt sei damit vom Tisch.
Und noch mehr habe sich in den letzten Jahren geändert: Anders als im Kalten Krieg ist die Konfliktbeziehung zwischen Atommächten heute multilateral. Das seien alles Gründe, um zu fragen: Passen die alten Nuklearstrategien noch, beispielsweise die der Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Boden, welche – im Falle eines Falles – unter Flugzeuge montiert und an ihr Ziel geflogen werden müssten, um sie dort abzuwerfen.
Welche Rolle spielt Deutschland in dieser Frage nach nuklearer Abschreckung und Verteidigung? Eine Atommacht werde Deutschland aus guten historischen Gründen nicht werden, aber Deutschland ist Teil des Konzepts der „Nuklearen Teilhabe“, das NATO-Staaten ohne eigene Nuklearwaffen in die Zielplanung und den Einsatz der Waffen einbezieht. Ist es nötig, die nuklearen Strategien der erweiterten Abschreckung der aktuellen Sicherheitslage anzupassen? Wie könnte eine deutsche oder europäische Strategie aussehen?
Die amerikanischen Atomwaffen, die auf europäischem Boden stationiert sind (in Deutschland, Italien, Belgien und in den Niederlanden) und die mit Flugzeugen transportiert werden müssen, sind zwar Teil eines alten Strategieansatzes, hätten aber einen Vorteil, erklärt Dr. Kamp: Sie haben politische Signalwirkung. „Wenn die Amerikaner sagen würden, sie erhöhen die Zahl der stationierten Atomwaffen in Europa, dann setzt man damit ein Signal“. Das zeige, wie sehr die nukleare Abschreckung ein politisches Konzept sei. „Mit Nuklearwaffen kann man drohen“.
Umso mehr sei es jetzt an der Zeit zu diskutieren, ob es nicht sinnvoller wäre, amerikanische Atomwaffen weiter östlich zu stationieren, zum Beispiel im Baltikum, in Polen oder Rumänien. Und hätten Raketen nicht mehr Sinn als freifallende Bomben? Die Antwort könnte auch „nein“ lauten, aber die Debatte müsse geführt werden, davon ist der Associate Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im Zentrum für Ordnung und Governance in Osteuropa überzeugt.
Im Gespräch mit Moderator Oliver Weilandt macht Dr. Karl-Heinz Kamp auch deutlich, warum seiner Meinung nach der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) seine Relevanz verloren habe: Das Konzept der nuklearen Abschreckung sei seit seiner Ratifizierung noch bedeutsamer. Und man könne nicht einerseits an dem Konzept der Abschreckung festhalten und es gleichzeitig delegitimieren.
Eine Diskussion über eine Europäische Union mit eigenen Atomwaffen gehe an der Wirklichkeit vorbei, denn dafür müssten die EU-Staaten ihre militärische Souveränität abgeben. Die 2 % des BIP Verteidigungsausgaben, die die USA von den NATO-Mitgliedsstaaten fordern, werden nach Einschätzung von Dr. Kamp nicht ausreichen. Mehr noch: Der „Transatlantic Bargain“ müsse vor allem auch im Hinblick auf Entwicklungen im Indo-Pazifik neu bestimmt werden.
Was muss geschehen, um Europas Sicherheit in Zukunft zu gewährleisten? Die NATO ist einerseits seit der Aufnahme von Schweden und Finnland stärker denn je. Zugleich aber hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine in Europa Ängste geweckt. Genährt werden sie vor allem auch durch die weltweite Zurückhaltung bei der Verurteilung Russlands. Immer intensiver stellt sich daher die Frage, wer wir als Europäer geostrategisch betrachtet eigentlich sind und wer wir seien wollen. Auch Aussagen wie die des Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Carsten Breuer, dass Russland in fünf bis zehn Jahren die Stärke erreichen würde, um ein NATO-Land anzugreifen, deuten auf einen verschärften strategischen Handlungsbedarf Europas hin.
Die Ebene, auf der die europäischen Staaten ihre eigene, eben europäische Strategie in militärischen, wie in handels- und industriepolitischen Fragen festlegen und umsetzen, ist die Europäische Union (EU). Bestens kennt die Politikwissenschaftlerin Dr. Annegret Bendiek den Balanceakt, den die EU dabei in sicherheitspolitischen Fragen zu praktizieren gezwungen ist. Sie ist seit 20 Jahren in der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) tätig. Als Senior Fellow berät sie unter anderem die Bundesregierung in geopolitischen Strategiefragen zum Bereich EU/Europa.
Die EU, sagt sie, werde oft betrachtet, als sei sie ein Staat, der eigene Entscheidungen treffe und umsetze. Vielmehr sei sie aber ein ganz eigenes und einzigartiges Gebilde, das zwischen supranationalen Aufgaben wie der Industriepolitik (die der Kommission unterliegt) und sicherheitspolitischen Entscheidungsprozessen der Einzelstaaten (die im Rat entschieden werden) permanent Balancen finden müsse – selbst wenn sich beide Bereiche oft kaum voneinander trennen ließen.
Dass die europäische Zeitenwende dennoch an vielen Stellen gelingt, sieht die Politikwissenschaftlerin Annegret Bendiek auch in den industriepolitischen Projekten der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ und deren aktuell 67 rüstungspolitischen Projekten.
Um die Finanzierung dieser und vieler künftiger notwendiger Projekte durch Eurobonds gibt es Divergenzen zwischen den nördlichen und den südlichen EU-Staaten. Auch darum geht es in dieser Podcast-Folge – und um das Festhalten an den transatlantischen Nuklearkonzepten, die die östlichen EU-Staaten favorisieren und die stärkere Ausrichtung an einer Nuklearstrategie, die die überwiegende Zahl der Mittelmeerstaaten und insbesondere die Nuklearmacht Frankreich bevorzugen: eine Nuklearstrategie, die unabhängiger ist von den USA.
Neben den eher militärisch orientierten Strategiefragen gehört zum geostrategischen Wettbewerb um die Zukunft Europas aber auch die Positionierung in den Handelsbeziehungen mit den nichteuropäischen Akteuren. Annegret Bendiek lädt ein, die Blickrichtung zu ändern: Die EU sei zum einen ein großartiges supranationales Projekt und eine friedenspolitische Idee. Für China sei die EU aber auch ein spannendes multinationales Projekt, das man aus der Ferne beobachten kann, um zu sehen, ob es gelingt. „Die Chinesen verstehen uns teilweise viel besser als wir die Chinesen verstehen. Insofern passen sie ihre Strategien, wie sie mit uns kooperieren, sehr genau an“, beschreibt Annegret Bendiek ihre Beobachtungen. Das zu lernen, täte auch Europa gut.
In Bezug auf das Bestehen in einer multipolaren Weltordnung erläutert sie auch das Konzept der friedvollen Dissoziation: Sich selbst weniger verletzbar zu machen in Bezug auf Handelsabhängigkeiten, ehrlichen Mut zum eigenen Unilateralismus zu zeigen und dabei gleichzeitig im Gespräch zu bleiben, wo es gemeinsame Punkte gibt für weitere Kooperationen.
In dieser Folge des Atlantic Talk Podcast geht es auch um die Frage, ob eine Europäische Verfassung fehlt, ratifiziert durch ein echtes Mandat der Völker. Denn das sei sicher: Die größte Bedrohung für die EU, so Annegret Bendiek, komme aus der EU selbst, nämlich von revisionistischen Kräften, die fundamental das Friedensprojekt Europäische Union nicht reformieren sondern abbauen wollen.
Annegret Bendiek hat eine Antwort darauf: Die europäischen Verträge dürften nicht abgewickelt werden, sondern es müsse darum gehen, die EU reformfähig zu machen und Reformen durchzuführen, damit die Handlungsfähigkeit und demokratische Legitimierung des großartigen Projekts Europäische Union besser wird.
»Wir müssen als Partner der Ukraine klar machen, was unser Ziel der militärischen Unterstützung ist. Denn eine dosierte Unterstützung hat zwar dazu geführt, dass Putin seine militärischen Ziele nicht erreicht hat. Sie ist aber das Rezept für einen sehr langen Krieg, wo die Ukraine die Kosten zu tragen hat.« Ein klares Ziel nennt Nico Lange von der Münchner Sicherheitskonferenz im Gespräch mit Moderator Oliver Weilandt die wichtigste Voraussetzung für ein baldiges Ende des Krieges in der Ukraine, und er fügt eine zweite hinzu: »Keine Angst mehr vor Putin«.
Der Politikwissenschaftler und ehemalige Leiter des Leitungsstabs im Bundesministerium der Verteidigung unter Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) kennt die Ukraine. Er war dort unter dem russlandfreundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch selbst einmal kurzzeitig in Haft geraten. Auch war Lange im russischen St. Petersburg als Gastdozent tätig. Heute würde er mit den Petersburger Studierenden gern diskutieren, welche Zukunft sie für Ihr Land eigentlich anstreben: Würden sie Wert darauf legen, wie die Menschen gut leben können, oder würden sie sich ein Russland wünschen, vor dem sich im Inneren wie im Ausland alle fürchten? Als Deutscher, ergänzt Lange, könnte er vielleicht glaubwürdig von dieser Alternative sprechen.
Noch aber tobt der russische Angriffskrieg, und er droht ein langer Abnutzungskrieg zu werden. Wem nutzt die lange Dauer dieses Krieges, wem schadet sie? Fällt Putin seine Sonderaktion mangels Erfolgen bald selbst auf die Füße? Ist das Festhalten am großen Credo des Westens vom Nicht-Eingreifen in den Krieg eher einer Angst vor der Eskalation geschuldet, oder spiegelt es eine systemische Unfähigkeit wider, im pluralen System der EU eine einheitliche Strategie zu verabschieden?
Die Positionen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz könnten allem Anschein nach kaum weiter auseinander liegen, wenn Olaf Scholz der Ukraine eher zurückhaltend erbetene Waffensysteme wie den Marschflugkörper Taurus verweigert und Emmanuel Macron eine Medienwelle in Gang setzt, indem er öffentlich über die Entsendung von Bodentruppen diskutiert. Könnte dem Zögern von Kanzler Scholz vielleicht ein taktisches Kalkül zugrunde liegen, das auf Kosten der Ukraine eine dauerhafte Schwächung des imperialen Russlands zum Ziel hat? Nico Lange setzt dieser These ein Nein entgegen. Die Folge 53 schaut aber nicht nur aus der Distanz sicherheitspolitscher Analytik auf das Geschehen in der Ukraine. Nico Lange beschreibt auch das Grauen des Krieges hinter der Front. Und er lässt spürbar werden, was ihn selbst bei seiner Arbeit antreibt: Es ist das mutige, mitreißende Eintreten der Ukrainerinnen und Ukrainer für Freiheit, das sie ihrer Angst inmitten des Krieges ebenso erfolgreich wie überzeugend entgegensetzen.
Auf einen baldigen Frieden in Israel wagen auch die größten Optimisten kaum zu hoffen. Aber auch die bloße Sicherheit Israels müssen viele Israelis derzeit täglich mit ihrem Leben bezahlen. So wie die 1.200 Männer, Frauen und Kinder, denen die Terroristen der Hamas am 7. Oktober 2023 auf unglaublich brutale Weise das Leben genommen hatten. Zwei Ziele hat die israelische Regierung als Reaktion auf die Gräuel dieses traumatischen Ereignisses definiert: Die Befreiung der verbliebenen (Stand: 18.01.2024) 136 Geiseln und die Zerstörung der Hamas-Strukturen in Gaza.
Major der Reserve Arye Sharuz Shalicar, Sprecher der israelischen Armee, der „Israel Defence Force“ (IDF), ist Gast in dieser 52. Folge des Atlantic Talk Podcast. Wie lässt sich das Doppelziel der Geiselbefreiung und die Zerstörung der Hamas überhaupt vereinbaren? Auf welche Probleme stoßen die Soldatinnen und Soldaten, wenn sie das ca. 750 km lange und minenbestückte Tunnelnetz unter Häusern, Schulen und Krankenhäusern zerstören wollen? Wie lange der Krieg noch dauert, ob und wann die über eine Millionen Binnenflüchtlinge aus dem Süden Gazas zurück in den Norden zurückkehren können, wenn Israel seine militärischen Aktionen zunehmend in den Süden verlagert – das sind einige der aktuellen Fragen, die Moderator Oliver Weilandt mit dem IDF-Sprecher bespricht.
Der Blick richtet sich aber nicht nur auf Gaza. Längst führt Israel einen aufgezwungenen Mehrfrontenkrieg. Die Armee kämpft auch mit der Hisbollah an der Grenze zum Libanon, iranische Milizen schießen Raketen aus Syrien über die nordöstliche Grenze auf dem Golan, Huthi Rebellen greifen aus angeblicher Solidarität mit der Hamas internationale Schiffe im Roten Meer an. Der Iran gilt als Drahtzieher all dieser hybrid-terroristischen Bedrohungen, die das Ziel haben, den demokratischen Staat Israel zu vernichten.
Ist Israel auf diesen Flächenbrand im Nahen Osten besser vorbereitet als auf das, was die Hamas am 7. Oktober angerichtet hat? Wird der Iran weiter zündeln und morden lassen angesichts deutsch-israelischer und US-amerikanischer U‑Boote im östlichen Mittelmeer, die auch über atomare Kapazitäten verfügen? Die neue iranische Mitgliedschaft im Kreis der BRICS-Staaten am Tisch mit Wladimir Putin und Xi Jinping lässt jedenfalls vermuten, dass der Iran verstärkt versuchen wird, die Machtverhältnisse im labilen Nahen Osten aktiv zu seinen Gunsten zu verändern.
Arye Shalicar wirbt daher für das engagierte Zusammenstehen aller Staaten, die in Freiheit leben wollen: »Hin und wieder muss man der Gegenseite auch mal beweisen, dass man es ernst meint, denn ansonsten werden wir in ein oder zwei Generationen in einer Welt leben, in der ich nicht leben möchte.«
Mehrere post-sowjetische Staaten wollen in die Europäische Union: neben der Ukraine die drei kleineren Staaten Georgien, Moldau und Armenien. Die Europäische Kommission hat Anfang November 2023 für die Ukraine und Moldau Beitrittsgespräche empfohlen, Georgien soll Beitrittskandidat werden.
Die EU sei durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine „geopolitisch erwacht“, sagt Dr. Khatia Kikalishvili. Sie stammt selbst aus Georgien und ist seit 2019 Programmdirektorin Östliche Partnerschaft im Berliner Zentrum Liberale Moderne (LIBMOD). Im Atlantic Talk Podcast beschreibt sie, welche Euphorie in Georgien nach der Empfehlung der EU-Kommission herrschte, die dort gewissermaßen auch als Empfehlung an die Bevölkerung empfunden worden sei, denn 80 % der Bevölkerung seien dort seit den 1990er-Jahren durchgängig pro-europäisch.
Die Ukraine, Georgien, Moldau und Armenien verbinden zwei Dinge: erstens teilten sie die europäischen Ideen von Freiheit, Frieden und Sicherheit und zweitens seien sie alle von Russland bedroht. So stünden Georgiens Teilrepubliken Abchasien und Südossetien seit Jahren unter starkem Einfluss Moskaus. Kikalishvili betont, Russland gehe es dabei schlussendlich nicht nur um Besatzung, sondern um Annexion. Wie groß ist die Gefahr, dass Russland aus dem besetzen Abchasien Drohnen in Richtung Ukraine schickt und damit möglicherweise Georgien in den Krieg hineingezogen wird? Und wie groß ist das geopolitische Potenzial eines geplanten Tiefseehafens im georgischen Kurort Anaklia? Für China wie für die USA und die EU hochinteressant, würde der geplante Hafen China und die EU auf dem „mittleren Korridor“ der neuen Seidenstraße verbinden, ohne russisches Territorium zu berühren.
Im Atlantic Talk Podcast spricht Moderator Oliver Weilandt mit Kikalishvili auch über die europäischen Programme in der Republik Moldau. Die EU hatte erkannt, wie unvorbereitet Moldau auch in Hinblick auf Cyberattacken und Destabilisierungsstrategien insbesondere auch von Russland ist. Im April 2022 hat die EU daher eine zivile Mission in der Republik Moldau eingerichtet mit dem Ziel, die Widerstandsfähigkeit des Sicherheitssektors des Landes zu stärken.
Erhebliche Auswirkungen hat der Krieg gegen die Ukraine auch im südlichen Kaukasus. In der ehemaligen Sowjetrepublik Armenien spitzt sich die Situation zu; auch weil Russlands Krieg in der Ukraine in der Region ein erhebliches Vakuum hinterlassen hat. Armenien hat dem von der Türkei unterstützten Aserbaidschan am 18. November auf der OSZE-Tagung vorgeworfen, einen neuen Krieg vorzubereiten. Dabei geht es nicht nur um Bergkarabach, sondern um die Region Nachitschewan. Droht dort, an der Grenze zur Türkei, der nächste Krieg?
Damit sich strukturelle Probleme wie bei der früheren EU-Osterweiterung nicht wiederholen, seien eine Reihe von Reformen in der Europäischen Union nötig. Kikalishvili betont, Reformprozess und Erweiterung sollten parallel stattfinden. Dass diese EU-Reformen schmerzhaft sein könnten, habe Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wie kein deutscher Außenminister zuvor bemerkenswert offen angesprochen. Dabei geht es unter anderem um Änderung des Einstimmigkeitsprinzips und Finanz- und Beitrittsfragen.
Für die Staaten zwischen Europa und Asien, die ums Überleben kämpfen, bleibe neben allen militärischen Fragen ein Hauptthema: „Sie wollen zurück in die Europäische Familie“, sagt Kikalishvili. Sie versprächen sich Sicherheit von der EU, ja, aber umgekehrt bedeute die Sicherheit dieser Staaten auch Sicherheit für Europa. Wenn Freiheit und Frieden dort Bestand haben, so Kikalishvili, macht das Europa stark.
Die beiden Kriege in der Ukraine und in Israel, die Weiterentwicklung der NATO und der Wettbewerb der Großmächte und seine Folgen für Europa. Vier zentrale Themen stehen gerade sicherheitspolitisch im Fokus – und sie bestimmen auch die Themen bei der NATO TALK Konferenz 2023 der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und des George C. Marshall European Center For Security Studies am 6. November 2023.
Diese Ausgabe des Atlantic Talk Podcasts gibt einen Überblick über diese vier Themenkomplexe. Zu Gast ist diesmal Generalleutnant a.D. Heinrich Brauß, der die diesjährige Konferenz verantwortet.
Er spricht mit Moderator Oliver Weilandt über die traurige Konkurrenz der beiden Kriege in der Ukraine und in Israel – und die Gemeinsamkeit, dass sie beide brutal angegriffen wurden und die Weltgemeinschaft sich bei beiden nicht dazu durchgerungen hat, die Angreifer geschlossen beim Namen zu nennen.
Heinrich Brauß zeigt die Bandbreite der Interpretationsmöglichkeiten, der Gründe, Motive und Ziele des Angriffs der Hamas auf Israel auf: Wollte die Hamas mit dem brutalen Vorgehen gegen israelische Zivilisten den kollektiven Hass gegen Israel schüren? Wollte sie die Hisbollah zum Eingreifen veranlassen? Sitzen die Drahtzieher im Iran? Sollte die Annäherung zwischen Israel und den moderaten arabischen Staaten torpediert werden? Gibt es gar eine Verbindung mit Russland und China? „Genau wissen wir das noch nicht“, betont der Generalleutnant a.D., auch für ihn drängt sich diese Frage aber auf.
Im Atlantic Talk Podcast geht es um die erwartbaren Reaktionen von und Konsequenzen für die USA und Deutschland für den Fall, dass sich beispielsweise die Verwicklung des Irans in den Angriff der Hamas bestätigt und die Frage, wo die arabischen Staaten stünden, sollte es tatsächlich einen „Flächenbrand“ im Nahen Osten geben.
Die zeitliche Parallelität der beiden Kriege in Israel und in der Ukraine ist besonders bitter für die Ukraine: Der weitere Krieg teilt die Aufmerksamkeit und die Unterstützungskapazität der Partner. Nach Brauß’ Einschätzung werde das mittelfristig auch dazu führen, dass nicht nur die politische, sondern auch die militärische Unterstützung für die Ukraine nachlasse.
Das George C. Marshall European Center For Security Studies hat einen Katalog möglicher Szenarien für die Zukunft der Ukraine ausgearbeitet, der bei der NATO TALK Konferenz thematisiert werden wird. Heinrich Brauß skizziert die möglichen zukünftigen Sicherheitsstrukturen für die Ukraine und Europa. Er plädiert dafür, „jetzt und dann auf Dauer der Ukraine alles zu liefern, was sie braucht, um den Krieg erfolgreich zu gestalten“. Das sei die entscheidende Voraussetzung dafür, dass Putin sich – wenn überhaupt – schließlich auf Verhandlungen einlasse.
Der russische Angriff auf die Ukraine hat zu einer stärkeren internen Einigung der NATO geführt und sie damit gestärkt. Heinrich Brauß erläutert, inwiefern die NATO „Abschreckung und Verteidigung neu lernt“ und „nördlicher und globaler werden wird“. Eine Erweiterung des NATO-Bündnisgebietes in Richtung des Indopazifiks bedeute dies allerdings nicht.
Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika bilden die Staatengemeinschaft BRICS. 2024 sollen Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate dazukommen. Damit werden die BRICS zu den BRICS Plus. 16 weitere Staaten haben sich um die Mitgliedschaft beworben. In dieser Folge des Atlantic Talk Podcast geht es um die Frage, welche Ziele diese Staatengruppe aktuell verfolgt und welche Dynamik ihre Erweiterung bedeutet.
Zu Gast ist Dr. Melanie Müller von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die promovierte Politologin ist Expertin für die Region Afrika und hat erst kürzlich eine Studie zur Erweiterung der BRICS-Gruppe veröffentlicht. Natürlich habe China als größter und mächtigster Staat eine enorme Bedeutung in dieser Gruppe. Dennoch bringt die Erweiterung und das enorme Interesse an der Gruppe erhebliche Dynamik in der globalen Sicherheitsarchitektur mit sich.
Der „Elefant im Raum“ ist neben den teils starken Gegensätzen zwischen einzelnen BRICS-Mitgliedsstaaten die Frage nach dem Umgang mit Russland, schließlich steht der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Gegensatz zum erklärten Ziel der BRICS-Staaten, der Friedensförderung. Dass sich zunächst einige afrikanische Staaten – darunter Südafrika – bei der Abstimmung von UN-Resolutionen zur Verurteilung des russischen Angriffs enthalten haben, sei zwar als überraschend wahrgenommen worden. Afrika-Experten hätten das in gewisser Weise aber durchaus erwartet, nicht zuletzt wegen einer großen Sorge: Sollte es zu einem ausgewachsenen Handelskonflikt zwischen China und den USA kommen, würden zum Beispiel die afrikanischen Staaten Gefahr laufen, zwischen den Großmächten zerrieben zu werden. Melanie Müller und Moderator Oliver Weilandt sprechen daher auch darüber, wie die Militärübung Südafrikas mit Russland am Jahrestag des Kriegsbeginns zu bewerten ist.
Um die Selbsteinschätzung der BRICS Plus-Staaten als „Globaler Süden“ besser zu verstehen, sei es hilfreich, deren Kritik an der bisherigen Dominanz der westlichen Industriestaaten unter US-amerikanischer Führung zu hören. Dazu zählten die Unzufriedenheit bezüglich der Beteiligung der Staaten des Globalen Südens in multinationalen Foren, aber auch die fehlende Freigabe von Patentrechten für Impfstoffe in der Corona-Pandemie. „Den Westen und die EU sehen diese Staaten nicht mehr unbedingt als die bevorzugten Partner an“, erklärt Müller. Mit dem Bedeutungsgewinn der BRICS-Erweiterung wachse im Westen nun allerdings auch die Sorge, dass sich China damit „einen Club der Verbündeten“ schaffe.
Es sei noch offen, welche gemeinsame Vorstellung eines „inklusiven Multilateralismus“ BRICS-Staaten wie Russland, China und Iran haben können. Umso spannender sei die Frage, was man strukturell international verändern könnte, um beispielsweise afrikanischen Staaten politisch und wirtschaftlich auf Augenhöhe zu begegnen.
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