Ein Kommentar von Rob Kenius.
Als die Titanic 1912 unterging, war dies ein Zeichen und die Vorbotin für eine viel größere Katastrophe: Der europäische Krieg, der als 1. Weltkrieg in die Geschichte eingegangen ist. Beide Katastrophen wären vermeidbar gewesen.
Das große Passagierschiff musste auf dem Weg nach Amerika nicht durch Gewässer fahren, die von Eisbergen bedroht sind. Noch während der Fahrt hätte man die Route ändern können. Statt dessen siegte die Hybris. Die Erbauer, die Rederei und der Kapitän hielten die Titanic für unsinkbar.
Der erste Weltkrieg wäre mit etwas weniger Größenwahn, weniger Beharrlichkeit, weniger Nibelungentreue und weniger Siegeswillen (auf allen Seiten) vermeidbar gewesen. Und wir dürfen nicht vergessen: Aus der Idee heraus, dass Deutschland nicht nur der Verlierer war, sondern auch die alleinige Kriegsschuld tragen sollte, wurden dem Land unmäßige Zahlungen und Sanktionen auferlegt, so dass die Faschisten und Nazis mit Hitler an die Macht kamen und dann in nur zwölf Jahren den bis dahin größten Krieg aller Zeiten anzetteln konnten. Entscheidender Wegweiser in diese Katastrophe war die Schuldzuweisung und Bestrafung für den ersten Weltkrieg.
Das zwanzigste Jahrhundert ist auf ewig von diesen beiden menschengemachten Weltkriegen überschattet, die mit Vernunft und Realismus in den Köpfen der Lenkerinnen und Lenker hätten vermieden werden können. Der Untergang der Titanic war das Menetekel, das nicht erkannt wurde, weil man an die Kategorien von Schuld und Unschuld, Macht und Ohnmacht, Sieg und Niederlage glaubte und auf die geistige Überlegenheit des Homo Sapiens vertraut hat, die daran scheitert, dass der Mensch sich selbst unterlegen ist, weil er an seine Überlegenheit glaubt. Die größte Gefahr sind wir selbst.
Die Titanic des 21. Jahrhunderts heißt Ukraine. Äußere Vergleiche mit der Titanic sind kaum angebracht. Ukraine ist nur ein Land das maßlos überschätzt wird, es ist groß aber nicht unbesiegbar, im Gegenteil: es wäre längst besiegt, wenn nicht der gesamte Westen unter Führung der USA täglich hundert Millionen Dollar plus unentgeltliche Waffen in beliebiger Menge hinein pumpen würde, damit der stramme Kapitän Wolodymyr Selenskyj den Kurs auf den Eisberg, wie im Film, stur durchhält.
Der Eisberg ist der russische Präsident Wladimir Putin. Er will verhindern, dass sein Land militärisch oder finanziell von den USA erledigt wird, die ihre Finanz- Militär- und Atommacht bis in das Grenzland Ukraine bereits ausgedehnt haben.
Auf der anderen Seite steht Joe Biden, Präsident der USA. Er verfolgt eine Taktik, die vor fünfzig und auch noch vor dreißig Jahren von Strategen und Denkfabriken in den USA entwickelt wurde: Nach der Auflösung der Sowjetunion, die als ideologischer Feind und globale Gegenkraft galt, sah man eine Chance zur alleinigen Weltherrschaft. Dem stand nur Russland, das immer noch größte Land der Welt, im Wege, das nicht nur Nuklearwaffen sondern auch weitreichende Raketentechnik besitzt. Die USA haben diese militärischen Optionen genau so und zusätzlich, so glauben sie, die unbeschränkte Finanzmacht.
Die Sicht des neuen, aber alten Präsidenten der USA ist 2022 nicht mehr aktuell, sie ist veraltet. Die Wirtschaft der USA ist im Vergleich zur Finanzmacht und zum Militär viel zu schwach und das Volk ist und fühlt sich vernachlässigt, weil es von der Super-Power des Militärs und der Finanzwelt keine materiellen Vorteile hat. Joe Biden's Machtphantasien sind stereotyp und um Jahrzehnte veraltet, er agiert aber taktisch geschickt.
Die Idee, Russland klein zu kriegen, hat ihr Verfallsdatum um zwanzig Jahre überschritten, die Taktik aber, die Europäer in einen Krieg mit Russland zu treiben und die eigenen Leute, das heißt das amerikanische Militär, zu schonen, ist raffiniert und sie scheint zu funktionieren, weil Europa von Leuten regiert wird, die dem amerikanischen Weg (oder Diktat) blind folgen.