Die Sorge vor der Polarisierung und einer damit verbundenen Spaltung der Gesellschaft ist allgegenwärtig: in Talkshows, politischen Reden, Medienberichten. Was aber, wenn die gesellschaftliche Vorstellung von Polarisierung gar nicht der empirischen Realität entspricht?
So sieht es der Soziologe Nils Kumkar, der in dieser Podcastfolge Carolin Emckes Gast ist. Er erforscht, warum die Rede von Polarisierung so viel Macht hat, obwohl die Bevölkerung nachweisbar weniger gespalten ist, als gemeinhin angenommen.
Nils C. Kumkar, geboren 1985, ist Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Socium, dem sozialwissenschaftlichen Institut der Universität Bremen. Er forscht zu sozialer Ungleichheit und politischem Protest. Sein neuestes Buch „Polarisierung. Über die Ordnung der Politik“ ist im Suhrkamp-Verlag erschienen.
Im Gespräch mit Carolin Emcke erläutert Nils Kumkar die Gründe, warum der Grad der gesellschaftlichen Polarisierung häufig überschätzt wird. So könne etwa die Medienberichterstattung den Glauben an eine gesellschaftliche Spaltung verstärken, wenn dort Konflikte und Kontroversen in den Mittelpunkt gestellt werden. Doch schon allein im Begriff an sich liege eine große Tücke, nämlich „dass er ein Stück weit davon lebt, dass er im Alltagsgebrauch in der politischen Öffentlichkeit völlig unklar ist“.
Kumkar sieht in der Polarisierung ein Ordnungsmuster der politischen Realität. Da die Vorstellung einer Politik, die die Meinung der Leute repräsentiert, „in Wirklichkeit eine grandiose Komplexitätsüberforderung auf beiden Seiten“ darstelle, müsse die Vorstellung von Gesellschaft unweigerlich vereinfacht werden – auf grundsätzliche Konfliktlinien, die die Bevölkerung in zwei Lager teilen. Doch obwohl diese Strategie eine Notwendigkeit des politischen Geschäfts darstellt, sorge sie in der Kommunikation nach außen eben auch dafür, dass sich die Annahme einer reellen Spaltung der Gesellschaft nur noch weiter verfestigt.
Weiterhin spricht Nils Kumkar im Podcast auch über die AfD, die in den vergangenen Jahren ganz entscheidend von dem Glauben an eine Polarisierung profitiert habe. Der Partei sei es gelungen, sich in Deutschland als „fundamentale Opposition“ zu positionieren, die allein gegen alle anderen Parteien stehe, sagt der Soziologe. „Durch diese Geste haben sie es geschafft, eine Prominenz im politischen Diskurs zu bekommen, die in keinem Verhältnis zu ihrer eigentlich politisch legitimierten Macht steht“, sagt Kumkar. „Egal wer redet, er redet über sie.“
Was die übrigen Parteien tun könnten und wie Polarisierung produktiv wirken kann, hören Sie im Podcast.
Empfehlung von Nils Kumkar
Nils Kumkar hat im Podcast gleich zwei Empfehlungen. Zum einen empfiehlt er das neue Album „Lan Juks“ von Kool Savas. Der Rapper setzt sich darin in „ironischer Form“ und mit großer „Rauheit“ mit seiner eigenen Vergangenheit auseinander.
Die zweite Empfehlung des Soziologen ist der Roman „Schattennummer“ von Thomas Pynchon. Dieser Roman schule darin, wie undurchsichtig „wir uns selbst gegenüber sind und was das mit unserer Weltwahrnehmung macht“.
Moderation, Redaktion: Carolin Emcke
Redaktionelle Betreuung: Ann-Marlen Hoolt
Produktion: Imanuel Pedersen
Bildrechte Cover: Falk Weiss/Bearbeitung SZ
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