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"Frailty"- ein Podcast-Beitrag von Prof. Christian Grüneberg
Stand: 06.01.2021
Jeder fünfte ältere Mensch in Deutschland ist von Frailty betroffen, einem geriatrischen Syndrom, das mit einem erhöhten Risiko für negative Gesundheitsereignisse assoziiert ist. Im Podcast beschreibe ich, wie Frailty nach aktuellen Leitlinien erhoben, quantifiziert und behandelt werden kann. Körperliches Training gilt dabei als Kernkomponente einer multimodalen Behandlung im interdisziplinären Team.
Einführung
Einem gängigen Konzept zufolge befindet sich ein älterer Mensch auf einem sogenannten Fitness-Frailty-Kontinuum zwischen den beiden Extremen fit /Fitness (körperlich und geistig leistungsfähig) und frail /Frailty (gebrechlich). Das Fitness-Frailty-Kontinuum ermöglicht vermutlich eine bessere Risikoeinstufung als das chronologische Alter. Frailty ist definiert als ein physiologisches Syndrom, das durch eine reduzierte Reserve und eine verminderte Abwehrfähigkeit von Stressoren charakterisiert ist. Menschen mit Frailty haben gegenüber nicht gebrechlichen Menschen ein erhöhtes Risiko, negative Gesundheitsereignisse zu erleiden. Zu diesen Ereignissen gehören unter anderem Stürze, Krankenhauseinweisungen, Aktivitäts¬einschränkungen und Mortalität. Laut einer Meta-Analyse ist bei Menschen mit Frailty das Risiko zu stürzen um 84 Prozent beziehungsweise 24 Prozent erhöht. Das Mortalitätsrisiko ist doppelt so hoch. Abhängig von Erhebungsmethode, Population und Nationalität liegt die Frailty-Prävalenz bei 14 bis 24 Prozent in der Bevölke-rungsgruppe der über 65-Jährigen. Diese steigt mit zunehmendem Alter an und ist bei Frauen höher als bei Männern. Clegg et al. beschreiben die pathophysiologischen Prozesse der Frailty und gehen dabei grundsätzlich von einem kumulativen Schaden an mehreren physiologischen Systemen und Organen aus. Die Autoren schreiben aber auch der körperlichen Inaktivität und einem ungünstigen Ernährungsverhalten eine zentrale Rolle zu. Zur Entstehung von Frailty trägt in diesem Zusammenhang auch die Sarkopenie bei, eine über¬mäßige Atrophie der Skelettmuskulatur einherge-hend mit Kraftverlust und /oder funktionellen Einschränkungen.
**Zwei konzeptionelle Frailty-Modelle **
Die zwei gängigsten konzeptuellen Modelle der Frailty sind der Frailty-Phänotyp und das Defizit-Akkumulations-Modell. Der Phä¬notyp wird auch als „physische Frailty“ oder „Fried-Modell“ bezeichnet und geht von einem physiologischen Syndrom aus (biologisches Modell: Veränderungen von Energieaufnahme und -umsatz ursächlich für funktionellen Niedergang). Das Defizit-Akkumulations-Modell oder „Rockwood-Modell“ basiert auf der Annahme, dass eine Ansammlung von Einschränkungen physischer, sozialer, kognitiver und anderer Funktionen ursäch¬lich für die Entwicklung des Frailty-Syndroms ist. Die Ausprägung der Frailty wird anhand eines sogenannten Frailty Index (FI) bemessen. Beide Frailty-Modelle sind klinisch gut operationalisierbar und weisen eine gute prognostische Validität bezüglich relevanter Ergebnisse wie Überlebensrate, Pflegebedürf-tigkeit und Stürze auf. Je nach Modell kommen unterschiedliche Messinstrumente zum Einsatz.
Erhebung des physischen Frailty- Phänotyps
Zur Erhebung des physischen Frailty-Phänotyps werden fünf Parameter herangezogen: Erschöpfung, Gewichtsverlust, geringe körperliche Aktivität, Mobili¬tät (langsame Gehgeschwindigkeit) und Muskelkraft (geringe Handkraft). Je nach Ausprägung werden die untersuchten Personen als robust (kein Kriterium erfüllt), pre-frail /intermediär (ein oder zwei Kriterien erfüllt) oder als frail (drei oder mehr Kriterien erfüllt) eingestuft.
**Erhebung von Frailty als Akkumulation von Defiziten mittels FI **
Anhand des Defizit-Akkumulations-Modells kann Frailty als Index ausgedrückt werden. Dabei werden mindestens 30 verschiedene Variablen mit bestimmten Kriterien erfasst. Hierzu eignen sich unter anderem Krankheitssymptome (zum Beispiel Stimmung), Krankheitszeichen, abnormale Laborwerte, radiologische Untersuchungen und Funktionseinschränkungen. Der FI ist eine einfache Berechnung der Erfüllung oder Nichterfüllung der einzelnen Kriterien als Pro¬portion zur Gesamtsumme. So errechnet sich für eine Person, bei der zehn von 50 Defiziten vorliegen, ein FI von 10 /50 = 0,20. Der FI kann so theoretisch einen Wert zwischen null und eins annehmen. Beim Defizit-Akkumulations-Modell wird davon ausge¬gangen, dass Personen entlang des Fitness-Frailty-Kontinuums umso fragiler sind, je höher der FI ist. Der empirisch ermittelte Grenzwert, ab dem eine Person vom robusten Stadium in ein Frailty-Stadium übertritt, liegt bei ≥ 0,25.
Assessments und Screening
Wenngleich Frailty progressiv verläuft, sind Veränderungen des Frailty-Status möglich. Best-Practice-Leitlinien zur Behandlung von Frailty empfeh¬len folgendes Vorgehen: Bei Verdacht auf Frailty erfolgt eine eingehende Diagnos¬tik mittels Geriatrischem Assessment, das physische, emotionale, psycho-logisch-kognitive und soziale Ressourcen und Einschränkungen erfasst. Das Geri¬atrische Assessment sollte die fünf Para¬meter des Frailty-Phänotyps enthalten und kann als Grundlage für die Berech¬nung eines FI dienen. Einschränkun¬gen sollten gezielt mit interdisziplinär abgestimmten Maßnahmen behandelt werden, die an die Ziele, Belastbarkeit und Kontextfaktoren der betroffenen Personen angepasst sind. Angehörige, Betreuer und Pflegende sollten intensiv und frühzeitig eingebunden werden. Dent et al. publizierten sieben Handlungsempfehlungen bei Patienten mit Frailty.
Eine internationale Konsensusgruppe empfiehlt ein Screening auf physische Frailty bei
Leitliniengestützte Versorgung
Best-Practice-Leitlinien zur Behandlung von Frailty empfehlen bei Verdacht auf Frailty eine eingehende Diagnostik mittels Geriatrischem Assessment, das physische, emotionale, psychologisch-kognitive und soziale Ressourcen und Einschränkungen erfasst.
**Auswahl der Maßnahmen **
Neben den Ergebnissen des geriatrischen Assessments kann der Frailty-Phänotyp genutzt werden, um die Interventionen auszuwählen, zu priorisieren und zu steuern.
Körperliches Training
Körperliches Training wirkt sich auf alle Teilsysteme des Körpers aus, deren Funktion bei Frailty beeinträchtigt sein kann. Neben Skelettmuskulatur, Nerven- und Herz-Kreislauf-System zählen dazu auch das Hormon- und Immunsystem.
Körperliche Aktivität
Über das strukturierte, geplante Training hinaus sollten ältere Menschen ermutigt und befähigt werden, sich regelmäßig körperlich zu betätigen.
Ernährung
Unter- und Mangelernährung beeinträchtigen die Muskelmasse und -funktion und damit zwei wichtige Konstituenten der Sarkopenie und physischen Frailty.
Proteinbedarf
Der zum Erhalt der Muskelmasse nötige Proteinbedarf liegt bei älteren Menschen zwischen 1,0 und 1,2g/kg Körpergewicht pro Tag. Er steigt auf bis zu 1,5 g/kg Körpergewicht bei Menschen mit Frailty und bei körperlichem Training.
Ausblick
Multimodale Konzepte
Heterogene Personengruppe
Perspektivwechsel nötig
Zusammenfassende Kernaussagen
Frailty ist ein physiologisches Syndrom, charakterisiert durch eine reduzierte Reserve, verminderte Abwehrfähigkeit gegenüber Stressoren und Anfälligkeit für negative Gesundheitsereignisse.
Frailty entsteht aus einem kumulierenden Niedergang multipler physiologischer Systeme.
Der Frailty-Phänotyp ist ein diagnostisches Instrument, welches die physische Frailty älterer Personen anhand von drei Graduierungen („fit“,„pre-frail“,„frail“) beurteilt.
Vor präventiven und therapeutischen Maßnahmen sollte ein geriatrisches Assessment erfolgen.
Die Versorgung älterer Menschen mit Frailty ist komplex und aufwändig. Die Hauptkomponenten gegen Frailty sind ein bedarfsgerechtes und individuelles körperliches Training und Ernährungsinterventionen.
Literatur:
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"Frailty"- ein Podcast-Beitrag von Prof. Christian Grüneberg
Stand: 06.01.2021
Jeder fünfte ältere Mensch in Deutschland ist von Frailty betroffen, einem geriatrischen Syndrom, das mit einem erhöhten Risiko für negative Gesundheitsereignisse assoziiert ist. Im Podcast beschreibe ich, wie Frailty nach aktuellen Leitlinien erhoben, quantifiziert und behandelt werden kann. Körperliches Training gilt dabei als Kernkomponente einer multimodalen Behandlung im interdisziplinären Team.
Einführung
Einem gängigen Konzept zufolge befindet sich ein älterer Mensch auf einem sogenannten Fitness-Frailty-Kontinuum zwischen den beiden Extremen fit /Fitness (körperlich und geistig leistungsfähig) und frail /Frailty (gebrechlich). Das Fitness-Frailty-Kontinuum ermöglicht vermutlich eine bessere Risikoeinstufung als das chronologische Alter. Frailty ist definiert als ein physiologisches Syndrom, das durch eine reduzierte Reserve und eine verminderte Abwehrfähigkeit von Stressoren charakterisiert ist. Menschen mit Frailty haben gegenüber nicht gebrechlichen Menschen ein erhöhtes Risiko, negative Gesundheitsereignisse zu erleiden. Zu diesen Ereignissen gehören unter anderem Stürze, Krankenhauseinweisungen, Aktivitäts¬einschränkungen und Mortalität. Laut einer Meta-Analyse ist bei Menschen mit Frailty das Risiko zu stürzen um 84 Prozent beziehungsweise 24 Prozent erhöht. Das Mortalitätsrisiko ist doppelt so hoch. Abhängig von Erhebungsmethode, Population und Nationalität liegt die Frailty-Prävalenz bei 14 bis 24 Prozent in der Bevölke-rungsgruppe der über 65-Jährigen. Diese steigt mit zunehmendem Alter an und ist bei Frauen höher als bei Männern. Clegg et al. beschreiben die pathophysiologischen Prozesse der Frailty und gehen dabei grundsätzlich von einem kumulativen Schaden an mehreren physiologischen Systemen und Organen aus. Die Autoren schreiben aber auch der körperlichen Inaktivität und einem ungünstigen Ernährungsverhalten eine zentrale Rolle zu. Zur Entstehung von Frailty trägt in diesem Zusammenhang auch die Sarkopenie bei, eine über¬mäßige Atrophie der Skelettmuskulatur einherge-hend mit Kraftverlust und /oder funktionellen Einschränkungen.
**Zwei konzeptionelle Frailty-Modelle **
Die zwei gängigsten konzeptuellen Modelle der Frailty sind der Frailty-Phänotyp und das Defizit-Akkumulations-Modell. Der Phä¬notyp wird auch als „physische Frailty“ oder „Fried-Modell“ bezeichnet und geht von einem physiologischen Syndrom aus (biologisches Modell: Veränderungen von Energieaufnahme und -umsatz ursächlich für funktionellen Niedergang). Das Defizit-Akkumulations-Modell oder „Rockwood-Modell“ basiert auf der Annahme, dass eine Ansammlung von Einschränkungen physischer, sozialer, kognitiver und anderer Funktionen ursäch¬lich für die Entwicklung des Frailty-Syndroms ist. Die Ausprägung der Frailty wird anhand eines sogenannten Frailty Index (FI) bemessen. Beide Frailty-Modelle sind klinisch gut operationalisierbar und weisen eine gute prognostische Validität bezüglich relevanter Ergebnisse wie Überlebensrate, Pflegebedürf-tigkeit und Stürze auf. Je nach Modell kommen unterschiedliche Messinstrumente zum Einsatz.
Erhebung des physischen Frailty- Phänotyps
Zur Erhebung des physischen Frailty-Phänotyps werden fünf Parameter herangezogen: Erschöpfung, Gewichtsverlust, geringe körperliche Aktivität, Mobili¬tät (langsame Gehgeschwindigkeit) und Muskelkraft (geringe Handkraft). Je nach Ausprägung werden die untersuchten Personen als robust (kein Kriterium erfüllt), pre-frail /intermediär (ein oder zwei Kriterien erfüllt) oder als frail (drei oder mehr Kriterien erfüllt) eingestuft.
**Erhebung von Frailty als Akkumulation von Defiziten mittels FI **
Anhand des Defizit-Akkumulations-Modells kann Frailty als Index ausgedrückt werden. Dabei werden mindestens 30 verschiedene Variablen mit bestimmten Kriterien erfasst. Hierzu eignen sich unter anderem Krankheitssymptome (zum Beispiel Stimmung), Krankheitszeichen, abnormale Laborwerte, radiologische Untersuchungen und Funktionseinschränkungen. Der FI ist eine einfache Berechnung der Erfüllung oder Nichterfüllung der einzelnen Kriterien als Pro¬portion zur Gesamtsumme. So errechnet sich für eine Person, bei der zehn von 50 Defiziten vorliegen, ein FI von 10 /50 = 0,20. Der FI kann so theoretisch einen Wert zwischen null und eins annehmen. Beim Defizit-Akkumulations-Modell wird davon ausge¬gangen, dass Personen entlang des Fitness-Frailty-Kontinuums umso fragiler sind, je höher der FI ist. Der empirisch ermittelte Grenzwert, ab dem eine Person vom robusten Stadium in ein Frailty-Stadium übertritt, liegt bei ≥ 0,25.
Assessments und Screening
Wenngleich Frailty progressiv verläuft, sind Veränderungen des Frailty-Status möglich. Best-Practice-Leitlinien zur Behandlung von Frailty empfeh¬len folgendes Vorgehen: Bei Verdacht auf Frailty erfolgt eine eingehende Diagnos¬tik mittels Geriatrischem Assessment, das physische, emotionale, psycho-logisch-kognitive und soziale Ressourcen und Einschränkungen erfasst. Das Geri¬atrische Assessment sollte die fünf Para¬meter des Frailty-Phänotyps enthalten und kann als Grundlage für die Berech¬nung eines FI dienen. Einschränkun¬gen sollten gezielt mit interdisziplinär abgestimmten Maßnahmen behandelt werden, die an die Ziele, Belastbarkeit und Kontextfaktoren der betroffenen Personen angepasst sind. Angehörige, Betreuer und Pflegende sollten intensiv und frühzeitig eingebunden werden. Dent et al. publizierten sieben Handlungsempfehlungen bei Patienten mit Frailty.
Eine internationale Konsensusgruppe empfiehlt ein Screening auf physische Frailty bei
Leitliniengestützte Versorgung
Best-Practice-Leitlinien zur Behandlung von Frailty empfehlen bei Verdacht auf Frailty eine eingehende Diagnostik mittels Geriatrischem Assessment, das physische, emotionale, psychologisch-kognitive und soziale Ressourcen und Einschränkungen erfasst.
**Auswahl der Maßnahmen **
Neben den Ergebnissen des geriatrischen Assessments kann der Frailty-Phänotyp genutzt werden, um die Interventionen auszuwählen, zu priorisieren und zu steuern.
Körperliches Training
Körperliches Training wirkt sich auf alle Teilsysteme des Körpers aus, deren Funktion bei Frailty beeinträchtigt sein kann. Neben Skelettmuskulatur, Nerven- und Herz-Kreislauf-System zählen dazu auch das Hormon- und Immunsystem.
Körperliche Aktivität
Über das strukturierte, geplante Training hinaus sollten ältere Menschen ermutigt und befähigt werden, sich regelmäßig körperlich zu betätigen.
Ernährung
Unter- und Mangelernährung beeinträchtigen die Muskelmasse und -funktion und damit zwei wichtige Konstituenten der Sarkopenie und physischen Frailty.
Proteinbedarf
Der zum Erhalt der Muskelmasse nötige Proteinbedarf liegt bei älteren Menschen zwischen 1,0 und 1,2g/kg Körpergewicht pro Tag. Er steigt auf bis zu 1,5 g/kg Körpergewicht bei Menschen mit Frailty und bei körperlichem Training.
Ausblick
Multimodale Konzepte
Heterogene Personengruppe
Perspektivwechsel nötig
Zusammenfassende Kernaussagen
Frailty ist ein physiologisches Syndrom, charakterisiert durch eine reduzierte Reserve, verminderte Abwehrfähigkeit gegenüber Stressoren und Anfälligkeit für negative Gesundheitsereignisse.
Frailty entsteht aus einem kumulierenden Niedergang multipler physiologischer Systeme.
Der Frailty-Phänotyp ist ein diagnostisches Instrument, welches die physische Frailty älterer Personen anhand von drei Graduierungen („fit“,„pre-frail“,„frail“) beurteilt.
Vor präventiven und therapeutischen Maßnahmen sollte ein geriatrisches Assessment erfolgen.
Die Versorgung älterer Menschen mit Frailty ist komplex und aufwändig. Die Hauptkomponenten gegen Frailty sind ein bedarfsgerechtes und individuelles körperliches Training und Ernährungsinterventionen.
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