ERF Plus - Wort zum Tag

Die Zeit rennt nicht davon


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Eine Kollegin führt einen nicht mehr ganz jugendlichen Autor durch den Verlag. „Das ist der Herr Bertelmann. Er betreut bei uns als Lektor die theologischen Bücher“ Freundliches Händeschütteln. Mein Gegenüber stellt anerkennend fest: „Das ein so junger Mensch schon so etwas macht …“ Wenn man sich wie ich ganz deutlich in der 2. Hälfte seines Lebens befindet, fühlt man sich in so einer Situation durchaus geschmeichelt.

Tatsächlich ertappe ich mich bisweilen dabei, dass ich das Gefühl habe, die Lebenszeit rennt mir davon. Früher habe ich ältere Leute oft sagen hören „Jedes neue Jahr vergeht schneller.“ Heute empfinde ich es selbst so. Und die Wissenschaft sagt: Es ist tatsächlich so. Unser Zeitempfinden ist sehr subjektiv. Und mit zunehmendem Alter vergeht die Zeit gefühlt schneller. Tatsächlich hat ein Jahr immer 8760 Stunden. Wenn’s kein Schaltjahr ist. Das gilt heute wie vor 40 Jahren. Trotzdem ist die Zeit unerbittlich. Ich kann sie nicht aufhalten. Ich kann besonders schöne Situationen nicht festhalten. Ich kann schlimme Tage nicht vorspulen. Vor allem: Sie läuft ab. Mit jeder Stunde, die ich lebe, verbrauche ich eine Stunde meiner irdischen Restzeit. Ab und zu erschrecke ich einen Moment lang über diese Tatsache.

Wie gut, dass Gott in einer anderen Zeitdimension lebt! „Herr, Du bist unsere Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit“, heißt es in Psalm 90,2, dem Losungstext der Herrnhuter Brüdergemeine von heute. Und weiter: „Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder! Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache.“

Im Neuen Testament, im 2. Petrusbrief, Kapitel 3, Vers 8, wird das aufgenommen – und sogar umgedreht: nicht nur tausend Jahre wie ein Tag – sondern auch: Ein Tag kann für Gott wie tausend Jahre sein. Das heißt: Gott existiert nicht nur ohne Anfang und ohne Ende in unserer linearen Zeit, vielleicht mit einem etwas anderen Zeitgefühl als wir. Er existiert in einer anderen Zeit. Schon der alte Philosoph Platon stellte sich Zeitlosigkeit als ewige Gegenwart vor. Er könnte recht haben. Dann würde Gott jede Situation der Weltgeschichte gleichzeitig als Gegenwart erleben. Deshalb sind tausend Jahre für ihn wie ein Tag.

Wie auch immer man sich das vorstellt – klar ist: Mein Problem - Die Zeit läuft immer schneller ab. Was kann ich im Leben noch verwirklichen? Ich möchte die schönen Zeiten so gerne festhalten - ist für Gott keins. Er lässt die Menschen sterben, er holt sie aber auch zurück. Aber für mich ist es eben ein Problem. Lesen Sie mal den restlichen Psalm 90. Da geht es darum, dass der Mensch kurzlebig ist, wie ein Gras, das am Morgen blüht und abends verdorrt ist. Dass das, was uns wichtig erscheint, letztlich nur vergebliche Mühe ist, weil uns eben die Zeit davonrast.

Aber: Das ist nur so, solange der Mensch ohne Gott lebt. Solange er nichts von dieser anderen Zeit, der Ewigkeit, weiß. Deswegen kommen am Ende die berühmten Worte: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“. Und am Schluss die Bitte, dass Gott uns wieder mit seiner Gnade füllen möge. Und dann kann man, so der Psalm, sein Leben lang fröhlich sein – unabhängig von der ablaufenden Zeit.

Ich hoffe auf ein Leben in einer anderen Zeitdimension. In Gottes Zeitdimension. Wenn ich das verinnerliche, kann ich die schlimmen Tage anders einordnen. Sie verlieren gegenüber der unendlichen gesamten Zeit, die ich dann ja habe, an Gewicht. Ich kann ankommen in der Ruhe Gottes, in seinem Frieden, im Schalom. Es geht überhaupt nicht darum, wieviel von meiner Lebenszeit ich schon verlebt habe. Und ob ich genug in dieser Zeit erreicht habe. Es geht darum, ob ich mich auf Gottes ganz andere Zeitdimension ausrichte und jetzt schon anfange, in seiner Zeit zu leben.

Autor: Uwe Bertelmann

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