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Ein Besuch von Außerirdischen! Auch das war ein ernst gemeinter Vorschlag, um das Wunder der steinernen Giganten zu deuten. Inzwischen hat die Ägyptologie die Zusammenhänge rekonstruieren können, die den Bau der Pyramiden erklären. Ein Wunder bleiben sie trotzdem. Von Thomas Morawetz (BR 2009)
Credits
Autor: Thomas Morawetz
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Andreas Neumann, Rahel Comtesse, Christian Schuler
Technik: Marcus Huber
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview: Dr. Mélanie Flossmann, Schütze (inzwischen Direktorin & Konservatorin am Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst in München)
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Besonderer Linktipp der Redaktion:
NDR: Philipps Playlist
Mit Musik lässt es sich wunderbar aus dem Alltag herausträumen! NDR Kultur-Moderator Philipp Schmid stellt jede Woche neue handverlesene Playlists zusammen. Von Pop bis Klassik – die Musik ist für ihn ein Anlass, sich gemeinsam mit seinen Hörerinnen und Hörern auf fantasievolle Gedankenreisen zu begeben. Zum Beispiel auf einen Roadtrip, ans Meer oder in den Weltraum. Das Entspannende an diesen Ausflügen: Ihr könnt euch dabei bequem auf der eigenen Couch zurücklehnen, bügeln, kochen, spazieren gehen oder euch im Bett einkuscheln. Der Radiopreisträger Philipp Schmid kennt die richtige Musik für jede Stimmung und für jede Lebenslage. Zu den einzelnen Stücken jeder Folge improvisiert er am Klavier. ZUM PODCAST
Linktipps
BR (2023): Cheops-Pyramide – Auf den Spuren verborgener Kammern
Die Cheops-Pyramide ist die größte und älteste Pyramide von Gizeh. Sie ist eines der sieben Weltwunder der Antike und eines der am besten untersuchten Bauwerke der Welt. Trotzdem birgt sie noch Geheimnisse. Nun präsentieren Forscher erstmals Aufnahmen aus einem dieser Räume. JETZT ANHÖREN
ZDF (2021): Der Nil – Lebensader für die alten Ägypter: Geheimnisse des Pyramidenbaus
Im alten Ägypten sorgt der Nil mit seinen Überschwemmungen für gute Ernten. Er ist auch die wichtigste Wasserstraße, die den Bauboom der Pharaonen überhaupt erst möglich macht. JETZT ANSEHEN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an [email protected].
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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JETZT ENTDECKEN
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHER
Gleich am Wüstenrand beginnt das Wunder, das Weltwunder. Dicht hinter dem Grünstreifen des Niltals im Südwesten vom heutigen Kairo erhebt sich das Plateau von Giseh. Gelbe Steinmassen ragen aus gelbem Sand hervor, gigantische Quadrate, die sich zur Spitze hin verjüngen. In der flachen windigen Gegend haben sie die Größe von Bergen, aber sie sind von Menschen erschaffen – die Pyramiden von Gizeh, Triumphe der Perfektion. Die ägyptischen Könige Cheops, Chefren und Mykerinos haben an diesem Ort drei Ausrufezeichen in die Menschheitsgeschichte gesetzt.
ZITATOR:
„Das sind Bauten, die sogar die Zeit fürchtet, und es fürchtet doch alles in der sichtbaren Welt die Zeit...
SPRECHERIN
…schreibt der arabische Schriftsteller Umara el-Jamani im Mittelalter…
ZITATOR:
… Mein Auge erquickt sich an diesen einzigartigen Bauten, aber meine Gedanken quälen sich mit der Frage, was sie bedeuten sollen!“
SPRECHERIN
Nicht nur el-Jamani hat diese Frage gequält. Denn schon in der Antike war wesentliches Wissen über die Pyramiden verloren. Der erste Gelehrte, der eine Beschreibung des versunkenen Ägypten der Pyramidenzeit versucht, ist der Grieche Herodot [sprich: Herodót]. Als er im 5.Jh.v.Chr. das Land bereist, stehen die großen Pyramiden bereits seit 2000 Jahren. Herodot erfährt Ungeheueres: 100.000 Sklaven soll Cheops für den Bau zur Fronarbeit gepresst haben. Und noch schockierender: Um an Geld zu kommen, habe Cheops die eigene Tochter in ein Bordell gesteckt. Dafür wollte sie dann auch ein Denkmal von sich selbst hinterlassen:
ZITATOR
So hat sie jeden, der sie besucht hat, gebeten, ihr dazu wenigstens einen einzigen Stein zu schenken. Von diesen Steinen, heißt es, sei die Mittlere der drei Pyramiden gebaut, die vor der großen steht.
SPRECHER
Typische Geschichten, wie sie die Pyramiden im Lauf der Zeit inspirieren, Geschichten, die bereits Herodot sammelt und interpretiert. Herodot ist ein Kind seiner Zeit, er erlebt in Athen die erste Demokratie der Geschichte, und Tyrannenhass gehört zum Lebensgefühl. Für Herodot kann ein Werk wie die Pyramiden nur das Ergebnis brutalen Zwangs sein. Er findet in Ägypten genau die Geschichten, die in seinem Weltbild schon angelegt sind.
SPRECHERIN
Und so wird in den nächsten Jahrhunderten weiter gestaunt und spekuliert. Am Ende der Antike hat man sogar vergessen, dass in den Pyramiden einst Könige bestattet wurden. Und überhaupt – wo steht von ihnen eigentlich etwas in der Bibel?
SPRECHER
Sind die Pyramiden also nicht die Kornkammern, die Josef für den Pharao erbauen ließ? Und die unglücklichen Sklaven – waren sie nicht das Volk Israel in ägyptischer Gefangenschaft?
SPRECHERIN
Im späten Mittelalter erzählt der arabische Historiker Al-Makrizi, der Herrscher Saurid habe den Bau der Pyramiden befohlen, weil er von einer bevorstehenden Sintflut geträumt hatte.
ZITATOR
Da befahl Saurid, die Pyramiden zu bauen, … füllte sie an mit Talismanen, Wundern, Schätzen, Götzenbildern, außerdem wurden an die Pyramiden und an ihren Decken, Wänden und Säulen alle Geheimwissenschaften … aufgezeichnet, … und überhaupt ihre sämtlichen Wissenschaften, deutbar für den, der ihre Schrift und ihre Sprache kennt.
SPRECHER
Bis in die Neuzeit denken die Menschen bei den Pyramiden an grausame Despotien, an steinerne Tresore für gewaltige Schätze und verschlüsselte Weisheiten. Als Anfang des 19.Jh. die wissenschaftliche Erkundung der Bauwerke beginnt, wird zwar schnell wieder klar – die Pyramiden sind alte Königsgräber! Aber die Lust an Mutmaßungen bleibt ungebrochen: Sollten sie wirklich nur Gräber gewesen sein?
SPRECHERIN
Oder nicht vielmehr ein monumentales Urmodell der Mathematik und Astronomie? Oder ganz modern: Waren die Pyramiden Windbrecher gegen Wüstensandstürme? Oder – Verdunstungsanlagen? Sie hätten an ihren großen Außenflächen herauf gepumptes Grundwasser verdunstet – und somit das Wetter in der Wüste verändert.
SPRECHER
Nicht zu vergessen natürlich die Pyramiden als Werke außerirdischer Intelligenzen. Alle diese Deutungsversuche sind zwar typisch für die Zeit, aus der sie stammen, aber nicht für die alte ägyptische, in der die Pyramiden erbaut wurden.
MUSIK
SPRECHERIN
Cheops, Chefren, Mykerinos – Vater, Sohn und Enkel – leben um die Mitte des 3. Jahrtausends vor Christus. Sie sind Könige der 4. Dynastie im Alten Reich. Die Geschichte Ägyptens ist also noch relativ jung. Es ist die Kupferzeit, seit etwa 500 Jahren gibt es bereits die Hieroglyphen, aber Aufzeichnungen über den Pyramidenbau existieren aus dieser Zeit nicht. Die Ägyptologen müssen das Rätsel der Pyramiden also anders lösen.
SPRECHER
Am besten nähert man sich ihm zunächst über die Person, die drin liegt – dem König.
SPRECHERIN
Während in Europa noch späte Steinzeit herrscht, hat sich in Ägypten der König bereits ein einzigartiges Machtpotential geschaffen. Er gebietet über einen riesigen Beamtenapparat und kontrolliert alle Ressourcen des Landes. Doch nicht nur das materielle Leben hat er fest im Griff.
SPRECHER
Dem König ist es gelungen, die alten Hoffnungen im Volk auf eine Wiedergeburt im Jenseits in seiner Person zu bündeln. Er ist der, der für sein Land wiedergeboren werden muss. Schon früh betreiben die Ägypter deshalb viel Aufwand, um den Körper des verstorbenen Königs zu mumifizieren und zu erhalten …
Zusp Floßmann (4:02)
… und natürlich mit dem Aspekt, dass die ägyptische Welt gespiegelt ist im Jenseits, dass oben auch jemand herrschen muss, der das Ganze eben dann überwacht und regiert.
SPRECHERIN
Mélanie-Catherine Floßmann, Ägyptologin am Münchner Institut für Ägyptologie. Und der König wird für sein Volk sogar als Gott neu geboren. Im Jenseits identifiziert er sich mit Re, dem Sonnengott.
Zusp. Floßmann (9:25)
Das heißt, wir haben zwei Könige parallel. Den verstorbenen König im Jenseits oben als Herrscher des Jenseits und den jetzigen, diesseitigen König, der eben die aktuellen Regierungstätigkeiten auf Erden vollzieht.
SPRECHER
Der neue König garantiert also die Kontinuität der Regierung auf Erden, der tote, göttlich wiedergeborene König garantiert den Fortbestand der Weltordnung. Und diese Garantie bekommt Gestalt im Königsgrab und Königskult.
SPRECHERIN
Die Ägypter glauben, dass ihr König nach seinem Tod zum Nordhimmel aufsteigt und sich dort unter die Zirkumpolarsterne mischt. Diese Sterne geraten nie unter den Horizont, sie sind wie ewige Lichter. Der Eingang zu den Königsgräbern liegt deshalb schon immer im Norden. Die vielfältigen Kultanlagen aber, die später zur Pyramide gehören, sind nach Osten hin ausgerichtet, zum Sonnenaufgang. So wird der König wie Re, der Sonnengott, jeden Tag im Osten wiedergeboren.
SPRECHER
Nordung und Ostausrichtung. Das sind die astronomischen Vorgaben, nach denen Pyramiden-Bauplätze eingemessen werden. Messtechnisch mit enormer Präzision, aber unerklärbar nicht. Den Babyloniern etwa haben die Ägypter zur selben Zeit nichts voraus, weder an astronomischen noch an mathematischen Kenntnissen.
MUSIK
SPRECHERIN
So weit, so gut, aber für welche Idee steht dann gerade die spezielle Form der Pyramide als Grabbau? Mélanie-Catherine Floßmann:
Zusp. Floßmann (13:36)
Wir haben die Pyramide zum Teil als Urhügel, … aus dem dann bei der Weltentstehung das ganze Leben, die Welt sozusagen, emporgekommen ist. Eine weitere Möglichkeit, ebenfalls recht umstritten in der Ägyptologie: Die Pyramide hat die Form von Sonnenstrahlen, die sich eben durch die Wolken brechen … (14:07) Und natürlich nicht zu vergessen, sie soll eben ne Himmelstreppe für den König sein für den Jenseitsaufstieg.
SPRECHER
Die Ägyptologen wissen also gar nicht so genau, was es mit der Bedeutung der Pyramidenform auf sich hat. Immerhin verrät aber die Baugeschichte, wie es zur Erfindung der klassischen Pyramide kommt. Der Quantensprung von der flachen Grabanlage zur Pyramide gelingt König Djoser [sprich: Dschóser], dem Begründer der 3. Dynastie um 2650v.Chr. Seine Pyramide ist gut 62 Meter hoch und steht in Sakkara [sprich: Sakkára]. Sie sieht aus wie eine riesige sechsstufige Treppe, die von vier Seiten nach oben begehbar ist.
SPRECHERIN
Djoser türmt als erster auf einen flachen Grabbau eine Pyramide auf. Allerdings hat sein Bau noch keine horizontal umlaufenden Steinschichten, sondern vier schräg nach oben gelehnte Mauerwände um einen Steinkern herum. Sozusagen die erste Zwiebelschale. Die nächste außen angelehnte Mauerschicht, die zweite Schale, ist kürzer, so entsteht von oben weg die erste Stufe – und so weiter. Das ist gerade noch nicht das Patent, auf das die Pyramiden hinauslaufen werden – aber immerhin: Djoser ist der erste König, der mit seinem Grab eindeutig hoch hinaus will.
SPRECHER
Den nächsten großen Schritt zur Pyramide mit umlaufenden Steinreihen schafft König Snofru, der Vater von Cheops. Snofru experimentiert mit neuen, riskanten Bautechniken. Er müht sich während seiner Regierungszeit sogar mit mehreren Pyramiden ab. Allein an verbautem Material gemessen, ist er der größte Baumeister der ägyptischen Geschichte. Er verbaut 3.750.000 Kubikmeter Stein. Sein Sohn Cheops eine Million Kubikmeter weniger.
SPRECHERIN
Berüchtigt ist Snofrus sogenannte Knickpyramide in Dahschur. Hinter dem harmlosen Namen müssen entsetzliche Nervenzusammenbrüche stecken. Monumental soll der Bau werden, an die 125 Meter Höhe sind geplant, aber der Boden gibt nach, erste Risse ziehen sich durch die Kammern. Dann ein verzweifelter Rettungsversuch: Auf halber Höhe wird der Neigungswinkel der Pyramide abgeflacht. Hilft alles nichts. Die Knickpyramide wird die größte Bauruine Ägyptens.
SPRECHER
Ein Albtraum. Snofru ist nicht mehr der Jüngste und braucht endlich ein Grab: Und tatsächlich beginnt er nun mit einer dritten, der „Roten Pyramide“. Sie wird als erste im neuen Stil erbaut, mit waagrecht umlaufenden Steinschichten, was den Druck auf die Kammern im Inneren verringert. Sie scheint gerade noch zu seinen Lebzeiten fertig zu werden. Gewaltig, die dritthöchste ägyptische Pyramide. Das Patent ist gefunden.
SPRECHERIN
Soviel verrät die Baugeschichte der Riesen also doch: Bis zum Weltwunder von Gizeh hat es kühne Versuche und riesige Pleiten gegeben. Vom Himmel gefallen ist das Wissen der Ägypter, wie man eine Pyramide baut, sicher nicht.
MUSIK
SPRECHER
Frank Müller-Römer ist gelernter Ingenieur. Nach seiner Pensionierung hat er 1996 zum ersten Mal vor der Cheops-Pyramide gestanden und wusste, dass er herausfinden wollte, wie sie gebaut werden konnte. Nach sechs Jahren Ägyptologiestudium legte er tatsächlich eine Doktorarbeit vor, in der er eine schlüssige Theorie aufstellt, wie die Riesen gebaut werden konnten. Soviel ist auf jeden Fall klar: Aus allen Pleiten seines Vaters, hat König Cheops viel gelernt.
Zusp. Müller Römer (9:37)
Also hat man einen Baugrund gesucht, der sehr fest ist, der sehr stabil ist. Man muss sich ja vorstellen, die Cheops-Pyramide mit etwa 2,5 Mio Kubikmetern, d.h. also über 3 Mio Tonnen Gewicht, die übte auf den Untergrund eine enorme Bodenpressung aus. Die ist viel, viel stärker als das, was wir heute mit unseren Hochhäusern auf die Erde setzen, eine ganz gewaltige Last auf den Boden, der muss sehr fest sein. Und der Untergrund in Giseh ist ganz fester Kalkstein … wie ne Art natürlicher Beton, der hält dieses eben aus.
SPRECHERIN
Zwischen 7 und 9% der Baumasse der Cheopspyramide geht auf das Konto eines natürlichen Felskerns, der vor Ort aufsteht. Das Wunder der Cheopspyramide ist nun die Messgenauigkeit, mit der der Koloss in den Sand gesetzt wird. Die 230 Meter langen Seiten differieren voneinander im Durchschnitt nur um ganze 2,3 cm. Und das Fundament ist so exakt waagrecht angelegt, dass sich zwischen Nord und Süd gerade einmal ein Gefälle von 22 Millimetern ergibt.
Zusp. Müller-Römer (11:02-11:32)
(11:02) Man vermutet, dass man diese Waagrechte hergestellt hat, indem man eben Kanäle gebaut hat, … also mit Ton ausgekleidet, mit Wasser gefüllt hat, und Wasser bietet ja dann wie die Wasserwaage einen sehr exakten waagrechten Horizont.
SPRECHER
Die Ägyptologie hat sich heftig den Kopf zerbrochen, wie die Menschen es damals fertig bringen konnten, in überschaubarer Zeit derartige Bauwerke zu errichten. Im Zentrum aller Überlegungen stehen Rampen.
SPRECHERIN
Nur welche? Man weiß, dass die Arbeiter die Steine auf Rollschlitten ziehen. Wenn sie über eine Rampe hinauf müssen, darf die Steigung nicht zu hoch sein. Und die Rampe wird immer länger, je höher die Pyramide wird. Unter diesen Voraussetzungen ist die Hochrechnung ernüchternd: Die Cheops-Pyramide ist 146 Meter hoch. Soll die Steigung bei mäßigen 5% bleiben, wird die Rampe nach und nach so lang, dass sie am Ende die zehnfache Masse der Pyramide selbst hat. Außerdem wäre sie drei Kilometer lang – aussichtslos.
SPRECHER
Ein anderer Vorschlag: Die Rampe schlängelt sich um die Pyramide herum. Doch dann müsste die Rampe den Bau mehrfach umrunden und wäre am Ende ebenfalls mehrere Kilometer lang.
SPRECHERIN
Frank Müller-Römer ist bei seinem eigenen Lösungsvorschlag zunächst nach dem Ausschlussverfahren vorgegangen. Er hat die bislang vorgelegten Bauvarianten durchgerechnet und ist zur Ansicht gelangt, dass keine funktioniert.
Zusp. Müller-Römer (13:20; 14:08)
Man muss von Grundvoraussetzungen ausgehen, dass sicherlich der König mit Blick auf seine Lebensdauer und die Bauzeit für einen große Pyramide nicht gesagt hat, ihr habt ja ewig Zeit, sondern die Forderung war, mit Sicherheit, in kurzer Zeit eine Pyramide zu bauen. D.h., es muss ein Bauverfahren geben, das auf allen 4 Seiten zeitgleich Baumaßnahmen ermöglicht. … (14:08) Mein Vorschlag ist nun, dass parallel zu diesen Stufenabsätzen des kernförmigen Mauerwerks steile Rampen gebaut sind und dort mit Seilzug, mit einer Art Seilwinde, die auch archäologisch belegt ist im Alten Reich, dann steil über diese steile Winde Steine nach oben gezogen werden, so dass man auf diese Weise auf allen vier Seiten mit verschiedenen Rampen, mit verschiedenen Winden, die Pyramide relativ schnell, relativ zügig bauen kann.
SPRECHER
Es geht also nicht darum, Rampen mit möglichst geringer Steigung zu bauen. Frank Müller-Römers Ansatz rechnet sogar mit relativ steilen Rampen. Das funktioniert, weil zusätzlich Seilwinden von oben ziehen. Außerdem sind steilere Rampen kürzer, und so können an einer Seite mindestens zwei Rampen gebaut werden. Das heißt, mindestens doppele so viele Blöcken können gleichzeitig nach oben gezogen werden. Unten jedenfalls, weiter oben werden die Rampen dann weniger, aber im unteren Drittel sind dann schon 70% der gesamten Baumasse verbaut.
Zusp. Müller-Römer (15:25)
Man weiß, Cheops hat etwa 23 Jahre geherrscht. Die Pyramide ist gerade noch zu seinen Lebzeiten fertig geworden. Meine Berechnungen waren etwa so bei 22 Jahren. Also eine Größenordnung hin oder her, man kann natürlich jetzt streiten über Kleinigkeiten, aber zumindest die Größenordnung stimmt.
MUSIK
SPRECHERIN
Wie steht es nun mit den 100.000 Sklaven, von denen Herodot später gehört hat? Hier sind sich die Ägyptologen einig: Die Zahl ist eine Phantasiezahl. Inzwischen kommt man für den Bau der Cheops-Pyramide auf eine hochgerechnete Zahl von 12 bis 15.000 Arbeitern, das wäre etwa 1 bis 2% der geschätzten Gesamtbevölkerung. Und höchstens ein Viertel aller Arbeiter dürfte direkt an der Pyramide beschäftigt gewesen sein.
SPRECHER
Und waren die Arbeiter wirklich Sklaven, die Vermesser, Steinmetzen, Maurer, Architekten und Ingenieure? Auch hier weiß man inzwischen mehr. Mélanie-Catherine Floßmann:
Zusp. Floßmann (16:15)
Das sind natürlich alles Facharbeiter, die eine jahrelange Ausbildung genossen haben, bzw. in einen größeren Betrieb mit eingearbeitet waren und dieses Wissen immer wieder weiter tradiert haben.
SPRECHERIN
Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass diese wertvollen Fachleute später – wie aus Hollywood-Filmen bekannt – mit dem König lebendig in die Pyramide eingemauert würden. Sobald die eine Pyramide fertig ist, ziehen die Arbeiter weiter zur nächsten. Der nächste König kann schließlich mit seiner eigenen gar nicht früh genug beginnen.
SPRECHER
Während dessen beginnt aber vor allem der Kult des verstorbenen Königs an seiner nagelneuen Pyramide. Denn in einer Pyramidenanlage ist die Pyramide selbst sozusagen „nur“ das Grab. Der eigentliche hochaufwendige Königskult wird in dem großen Bezirk um die Pyramide herum zelebriert. Dieses Areal beginnt schon unten im Niltal.
Zusp Floßmann (6:37)
Wir haben einen Taltempel. Von dem Taltempel gibt es einen Aufweg bis zum Pyramiden-Tempel. Hinter dem Pyramiden-Tempel haben wir die Pyramiden-Anlage. … Und ganz wichtig, … wir haben richtige Stadtanlagen.
SPRECHERIN
Den Bewohnern dort geht es gut. Der Totenkult ist ein wunderbares Einkommen für die lebenden Beschäftigten. Denn zu Lebzeiten hat der König im ganzen Land Domänen eingerichtet, extra für die täglichen Güter, die sein Kult später erfordert. Täglich kriegt nun seine Jenseitsexistenz Nahrungsmittel als Opfer. Aber nur symbolisch, nach dem Opferritus teilen sich die Beschäftigten die Gaben untereinander auf.
MUSIK
SPRECHER
Wie geht es weiter mit den Pyramiden nach Cheops? Sein Sohn Chefren will noch höher hinaus. Das schafft er aber nur mit Tricks. Er baut höher im Gelände, auf kleinerer Grundfläche und mit einem steileren Winkel. Ganz klar: Cheops bleibt Platzhirsch. Wiederum der Nachfolger Mykerinos baut die kleine Pyramide in Gizeh – dafür aber eine umso aufwendigere Pyramidenanlage.
SPRECHERIN
Das wird der Trend für die nächsten Dynastien – kleinere Pyramiden bei großartigeren Kultanlagen. Tausend Jahre später, im Neuen Reich, hat die Pyramidenform ihre Exklusivität als Königsgrab verloren. Nun sind es tatsächlich die Facharbeiter, die selbstbewusst für sich kleine Pyramiden bauen, während sie für die Könige die Felsengräber im Tal der Könige anlegen. Diese Könige heißen übrigens erstmals Pharaonen.
SPRECHER
Und auch das noch: Wie steht es mit den Labyrinthen, die in den Pyramiden Grabräuber tödlich in die Irre führen sollen? Noch einmal zum griechischen Historiker Herodot und seiner Ägyptenreise. Eine Etappe hatte ihn zur Pyramidenanlage von Amenemhet III. geführt. Mélanie-Catherine Floßmann:
Zusp. Floßmann (23:28-24:11)
Es gab wohl über 120 verschiedene Kulträume und Kapellen und Säulenumgänge und die verschiedensten Raumeinheiten. Jetzt stellen wir uns Herodot vor, der im 5.Jh. da anreist, … und er wird jetzt … von einem Raum in den nächsten hinein geführt und hat für sich dann auch einfach diese Assoziation – ja, das ist ein labyrinthartiges Gangsystem, … aber Labyrinthe hat es in Ägypten bei Pyramiden niemals gegeben.
SPRECHERIN
Na ja. Noch so ein typisches Missverständnis. Sie waren einfach unbegreiflich früh unfassbar gut, die alten Ägypter. Eines wird man ihnen einfach lassen müssen: Die Pyramiden sind schlicht ein Wunder.
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Ein Besuch von Außerirdischen! Auch das war ein ernst gemeinter Vorschlag, um das Wunder der steinernen Giganten zu deuten. Inzwischen hat die Ägyptologie die Zusammenhänge rekonstruieren können, die den Bau der Pyramiden erklären. Ein Wunder bleiben sie trotzdem. Von Thomas Morawetz (BR 2009)
Credits
Autor: Thomas Morawetz
Regie: Sabine Kienhöfer
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Technik: Marcus Huber
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview: Dr. Mélanie Flossmann, Schütze (inzwischen Direktorin & Konservatorin am Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst in München)
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Gleich am Wüstenrand beginnt das Wunder, das Weltwunder. Dicht hinter dem Grünstreifen des Niltals im Südwesten vom heutigen Kairo erhebt sich das Plateau von Giseh. Gelbe Steinmassen ragen aus gelbem Sand hervor, gigantische Quadrate, die sich zur Spitze hin verjüngen. In der flachen windigen Gegend haben sie die Größe von Bergen, aber sie sind von Menschen erschaffen – die Pyramiden von Gizeh, Triumphe der Perfektion. Die ägyptischen Könige Cheops, Chefren und Mykerinos haben an diesem Ort drei Ausrufezeichen in die Menschheitsgeschichte gesetzt.
ZITATOR:
„Das sind Bauten, die sogar die Zeit fürchtet, und es fürchtet doch alles in der sichtbaren Welt die Zeit...
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…schreibt der arabische Schriftsteller Umara el-Jamani im Mittelalter…
ZITATOR:
… Mein Auge erquickt sich an diesen einzigartigen Bauten, aber meine Gedanken quälen sich mit der Frage, was sie bedeuten sollen!“
SPRECHERIN
Nicht nur el-Jamani hat diese Frage gequält. Denn schon in der Antike war wesentliches Wissen über die Pyramiden verloren. Der erste Gelehrte, der eine Beschreibung des versunkenen Ägypten der Pyramidenzeit versucht, ist der Grieche Herodot [sprich: Herodót]. Als er im 5.Jh.v.Chr. das Land bereist, stehen die großen Pyramiden bereits seit 2000 Jahren. Herodot erfährt Ungeheueres: 100.000 Sklaven soll Cheops für den Bau zur Fronarbeit gepresst haben. Und noch schockierender: Um an Geld zu kommen, habe Cheops die eigene Tochter in ein Bordell gesteckt. Dafür wollte sie dann auch ein Denkmal von sich selbst hinterlassen:
ZITATOR
So hat sie jeden, der sie besucht hat, gebeten, ihr dazu wenigstens einen einzigen Stein zu schenken. Von diesen Steinen, heißt es, sei die Mittlere der drei Pyramiden gebaut, die vor der großen steht.
SPRECHER
Typische Geschichten, wie sie die Pyramiden im Lauf der Zeit inspirieren, Geschichten, die bereits Herodot sammelt und interpretiert. Herodot ist ein Kind seiner Zeit, er erlebt in Athen die erste Demokratie der Geschichte, und Tyrannenhass gehört zum Lebensgefühl. Für Herodot kann ein Werk wie die Pyramiden nur das Ergebnis brutalen Zwangs sein. Er findet in Ägypten genau die Geschichten, die in seinem Weltbild schon angelegt sind.
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Und so wird in den nächsten Jahrhunderten weiter gestaunt und spekuliert. Am Ende der Antike hat man sogar vergessen, dass in den Pyramiden einst Könige bestattet wurden. Und überhaupt – wo steht von ihnen eigentlich etwas in der Bibel?
SPRECHER
Sind die Pyramiden also nicht die Kornkammern, die Josef für den Pharao erbauen ließ? Und die unglücklichen Sklaven – waren sie nicht das Volk Israel in ägyptischer Gefangenschaft?
SPRECHERIN
Im späten Mittelalter erzählt der arabische Historiker Al-Makrizi, der Herrscher Saurid habe den Bau der Pyramiden befohlen, weil er von einer bevorstehenden Sintflut geträumt hatte.
ZITATOR
Da befahl Saurid, die Pyramiden zu bauen, … füllte sie an mit Talismanen, Wundern, Schätzen, Götzenbildern, außerdem wurden an die Pyramiden und an ihren Decken, Wänden und Säulen alle Geheimwissenschaften … aufgezeichnet, … und überhaupt ihre sämtlichen Wissenschaften, deutbar für den, der ihre Schrift und ihre Sprache kennt.
SPRECHER
Bis in die Neuzeit denken die Menschen bei den Pyramiden an grausame Despotien, an steinerne Tresore für gewaltige Schätze und verschlüsselte Weisheiten. Als Anfang des 19.Jh. die wissenschaftliche Erkundung der Bauwerke beginnt, wird zwar schnell wieder klar – die Pyramiden sind alte Königsgräber! Aber die Lust an Mutmaßungen bleibt ungebrochen: Sollten sie wirklich nur Gräber gewesen sein?
SPRECHERIN
Oder nicht vielmehr ein monumentales Urmodell der Mathematik und Astronomie? Oder ganz modern: Waren die Pyramiden Windbrecher gegen Wüstensandstürme? Oder – Verdunstungsanlagen? Sie hätten an ihren großen Außenflächen herauf gepumptes Grundwasser verdunstet – und somit das Wetter in der Wüste verändert.
SPRECHER
Nicht zu vergessen natürlich die Pyramiden als Werke außerirdischer Intelligenzen. Alle diese Deutungsversuche sind zwar typisch für die Zeit, aus der sie stammen, aber nicht für die alte ägyptische, in der die Pyramiden erbaut wurden.
MUSIK
SPRECHERIN
Cheops, Chefren, Mykerinos – Vater, Sohn und Enkel – leben um die Mitte des 3. Jahrtausends vor Christus. Sie sind Könige der 4. Dynastie im Alten Reich. Die Geschichte Ägyptens ist also noch relativ jung. Es ist die Kupferzeit, seit etwa 500 Jahren gibt es bereits die Hieroglyphen, aber Aufzeichnungen über den Pyramidenbau existieren aus dieser Zeit nicht. Die Ägyptologen müssen das Rätsel der Pyramiden also anders lösen.
SPRECHER
Am besten nähert man sich ihm zunächst über die Person, die drin liegt – dem König.
SPRECHERIN
Während in Europa noch späte Steinzeit herrscht, hat sich in Ägypten der König bereits ein einzigartiges Machtpotential geschaffen. Er gebietet über einen riesigen Beamtenapparat und kontrolliert alle Ressourcen des Landes. Doch nicht nur das materielle Leben hat er fest im Griff.
SPRECHER
Dem König ist es gelungen, die alten Hoffnungen im Volk auf eine Wiedergeburt im Jenseits in seiner Person zu bündeln. Er ist der, der für sein Land wiedergeboren werden muss. Schon früh betreiben die Ägypter deshalb viel Aufwand, um den Körper des verstorbenen Königs zu mumifizieren und zu erhalten …
Zusp Floßmann (4:02)
… und natürlich mit dem Aspekt, dass die ägyptische Welt gespiegelt ist im Jenseits, dass oben auch jemand herrschen muss, der das Ganze eben dann überwacht und regiert.
SPRECHERIN
Mélanie-Catherine Floßmann, Ägyptologin am Münchner Institut für Ägyptologie. Und der König wird für sein Volk sogar als Gott neu geboren. Im Jenseits identifiziert er sich mit Re, dem Sonnengott.
Zusp. Floßmann (9:25)
Das heißt, wir haben zwei Könige parallel. Den verstorbenen König im Jenseits oben als Herrscher des Jenseits und den jetzigen, diesseitigen König, der eben die aktuellen Regierungstätigkeiten auf Erden vollzieht.
SPRECHER
Der neue König garantiert also die Kontinuität der Regierung auf Erden, der tote, göttlich wiedergeborene König garantiert den Fortbestand der Weltordnung. Und diese Garantie bekommt Gestalt im Königsgrab und Königskult.
SPRECHERIN
Die Ägypter glauben, dass ihr König nach seinem Tod zum Nordhimmel aufsteigt und sich dort unter die Zirkumpolarsterne mischt. Diese Sterne geraten nie unter den Horizont, sie sind wie ewige Lichter. Der Eingang zu den Königsgräbern liegt deshalb schon immer im Norden. Die vielfältigen Kultanlagen aber, die später zur Pyramide gehören, sind nach Osten hin ausgerichtet, zum Sonnenaufgang. So wird der König wie Re, der Sonnengott, jeden Tag im Osten wiedergeboren.
SPRECHER
Nordung und Ostausrichtung. Das sind die astronomischen Vorgaben, nach denen Pyramiden-Bauplätze eingemessen werden. Messtechnisch mit enormer Präzision, aber unerklärbar nicht. Den Babyloniern etwa haben die Ägypter zur selben Zeit nichts voraus, weder an astronomischen noch an mathematischen Kenntnissen.
MUSIK
SPRECHERIN
So weit, so gut, aber für welche Idee steht dann gerade die spezielle Form der Pyramide als Grabbau? Mélanie-Catherine Floßmann:
Zusp. Floßmann (13:36)
Wir haben die Pyramide zum Teil als Urhügel, … aus dem dann bei der Weltentstehung das ganze Leben, die Welt sozusagen, emporgekommen ist. Eine weitere Möglichkeit, ebenfalls recht umstritten in der Ägyptologie: Die Pyramide hat die Form von Sonnenstrahlen, die sich eben durch die Wolken brechen … (14:07) Und natürlich nicht zu vergessen, sie soll eben ne Himmelstreppe für den König sein für den Jenseitsaufstieg.
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Die Ägyptologen wissen also gar nicht so genau, was es mit der Bedeutung der Pyramidenform auf sich hat. Immerhin verrät aber die Baugeschichte, wie es zur Erfindung der klassischen Pyramide kommt. Der Quantensprung von der flachen Grabanlage zur Pyramide gelingt König Djoser [sprich: Dschóser], dem Begründer der 3. Dynastie um 2650v.Chr. Seine Pyramide ist gut 62 Meter hoch und steht in Sakkara [sprich: Sakkára]. Sie sieht aus wie eine riesige sechsstufige Treppe, die von vier Seiten nach oben begehbar ist.
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Djoser türmt als erster auf einen flachen Grabbau eine Pyramide auf. Allerdings hat sein Bau noch keine horizontal umlaufenden Steinschichten, sondern vier schräg nach oben gelehnte Mauerwände um einen Steinkern herum. Sozusagen die erste Zwiebelschale. Die nächste außen angelehnte Mauerschicht, die zweite Schale, ist kürzer, so entsteht von oben weg die erste Stufe – und so weiter. Das ist gerade noch nicht das Patent, auf das die Pyramiden hinauslaufen werden – aber immerhin: Djoser ist der erste König, der mit seinem Grab eindeutig hoch hinaus will.
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Den nächsten großen Schritt zur Pyramide mit umlaufenden Steinreihen schafft König Snofru, der Vater von Cheops. Snofru experimentiert mit neuen, riskanten Bautechniken. Er müht sich während seiner Regierungszeit sogar mit mehreren Pyramiden ab. Allein an verbautem Material gemessen, ist er der größte Baumeister der ägyptischen Geschichte. Er verbaut 3.750.000 Kubikmeter Stein. Sein Sohn Cheops eine Million Kubikmeter weniger.
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Berüchtigt ist Snofrus sogenannte Knickpyramide in Dahschur. Hinter dem harmlosen Namen müssen entsetzliche Nervenzusammenbrüche stecken. Monumental soll der Bau werden, an die 125 Meter Höhe sind geplant, aber der Boden gibt nach, erste Risse ziehen sich durch die Kammern. Dann ein verzweifelter Rettungsversuch: Auf halber Höhe wird der Neigungswinkel der Pyramide abgeflacht. Hilft alles nichts. Die Knickpyramide wird die größte Bauruine Ägyptens.
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Ein Albtraum. Snofru ist nicht mehr der Jüngste und braucht endlich ein Grab: Und tatsächlich beginnt er nun mit einer dritten, der „Roten Pyramide“. Sie wird als erste im neuen Stil erbaut, mit waagrecht umlaufenden Steinschichten, was den Druck auf die Kammern im Inneren verringert. Sie scheint gerade noch zu seinen Lebzeiten fertig zu werden. Gewaltig, die dritthöchste ägyptische Pyramide. Das Patent ist gefunden.
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Soviel verrät die Baugeschichte der Riesen also doch: Bis zum Weltwunder von Gizeh hat es kühne Versuche und riesige Pleiten gegeben. Vom Himmel gefallen ist das Wissen der Ägypter, wie man eine Pyramide baut, sicher nicht.
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Frank Müller-Römer ist gelernter Ingenieur. Nach seiner Pensionierung hat er 1996 zum ersten Mal vor der Cheops-Pyramide gestanden und wusste, dass er herausfinden wollte, wie sie gebaut werden konnte. Nach sechs Jahren Ägyptologiestudium legte er tatsächlich eine Doktorarbeit vor, in der er eine schlüssige Theorie aufstellt, wie die Riesen gebaut werden konnten. Soviel ist auf jeden Fall klar: Aus allen Pleiten seines Vaters, hat König Cheops viel gelernt.
Zusp. Müller Römer (9:37)
Also hat man einen Baugrund gesucht, der sehr fest ist, der sehr stabil ist. Man muss sich ja vorstellen, die Cheops-Pyramide mit etwa 2,5 Mio Kubikmetern, d.h. also über 3 Mio Tonnen Gewicht, die übte auf den Untergrund eine enorme Bodenpressung aus. Die ist viel, viel stärker als das, was wir heute mit unseren Hochhäusern auf die Erde setzen, eine ganz gewaltige Last auf den Boden, der muss sehr fest sein. Und der Untergrund in Giseh ist ganz fester Kalkstein … wie ne Art natürlicher Beton, der hält dieses eben aus.
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Zwischen 7 und 9% der Baumasse der Cheopspyramide geht auf das Konto eines natürlichen Felskerns, der vor Ort aufsteht. Das Wunder der Cheopspyramide ist nun die Messgenauigkeit, mit der der Koloss in den Sand gesetzt wird. Die 230 Meter langen Seiten differieren voneinander im Durchschnitt nur um ganze 2,3 cm. Und das Fundament ist so exakt waagrecht angelegt, dass sich zwischen Nord und Süd gerade einmal ein Gefälle von 22 Millimetern ergibt.
Zusp. Müller-Römer (11:02-11:32)
(11:02) Man vermutet, dass man diese Waagrechte hergestellt hat, indem man eben Kanäle gebaut hat, … also mit Ton ausgekleidet, mit Wasser gefüllt hat, und Wasser bietet ja dann wie die Wasserwaage einen sehr exakten waagrechten Horizont.
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Die Ägyptologie hat sich heftig den Kopf zerbrochen, wie die Menschen es damals fertig bringen konnten, in überschaubarer Zeit derartige Bauwerke zu errichten. Im Zentrum aller Überlegungen stehen Rampen.
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Nur welche? Man weiß, dass die Arbeiter die Steine auf Rollschlitten ziehen. Wenn sie über eine Rampe hinauf müssen, darf die Steigung nicht zu hoch sein. Und die Rampe wird immer länger, je höher die Pyramide wird. Unter diesen Voraussetzungen ist die Hochrechnung ernüchternd: Die Cheops-Pyramide ist 146 Meter hoch. Soll die Steigung bei mäßigen 5% bleiben, wird die Rampe nach und nach so lang, dass sie am Ende die zehnfache Masse der Pyramide selbst hat. Außerdem wäre sie drei Kilometer lang – aussichtslos.
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Ein anderer Vorschlag: Die Rampe schlängelt sich um die Pyramide herum. Doch dann müsste die Rampe den Bau mehrfach umrunden und wäre am Ende ebenfalls mehrere Kilometer lang.
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Frank Müller-Römer ist bei seinem eigenen Lösungsvorschlag zunächst nach dem Ausschlussverfahren vorgegangen. Er hat die bislang vorgelegten Bauvarianten durchgerechnet und ist zur Ansicht gelangt, dass keine funktioniert.
Zusp. Müller-Römer (13:20; 14:08)
Man muss von Grundvoraussetzungen ausgehen, dass sicherlich der König mit Blick auf seine Lebensdauer und die Bauzeit für einen große Pyramide nicht gesagt hat, ihr habt ja ewig Zeit, sondern die Forderung war, mit Sicherheit, in kurzer Zeit eine Pyramide zu bauen. D.h., es muss ein Bauverfahren geben, das auf allen 4 Seiten zeitgleich Baumaßnahmen ermöglicht. … (14:08) Mein Vorschlag ist nun, dass parallel zu diesen Stufenabsätzen des kernförmigen Mauerwerks steile Rampen gebaut sind und dort mit Seilzug, mit einer Art Seilwinde, die auch archäologisch belegt ist im Alten Reich, dann steil über diese steile Winde Steine nach oben gezogen werden, so dass man auf diese Weise auf allen vier Seiten mit verschiedenen Rampen, mit verschiedenen Winden, die Pyramide relativ schnell, relativ zügig bauen kann.
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Es geht also nicht darum, Rampen mit möglichst geringer Steigung zu bauen. Frank Müller-Römers Ansatz rechnet sogar mit relativ steilen Rampen. Das funktioniert, weil zusätzlich Seilwinden von oben ziehen. Außerdem sind steilere Rampen kürzer, und so können an einer Seite mindestens zwei Rampen gebaut werden. Das heißt, mindestens doppele so viele Blöcken können gleichzeitig nach oben gezogen werden. Unten jedenfalls, weiter oben werden die Rampen dann weniger, aber im unteren Drittel sind dann schon 70% der gesamten Baumasse verbaut.
Zusp. Müller-Römer (15:25)
Man weiß, Cheops hat etwa 23 Jahre geherrscht. Die Pyramide ist gerade noch zu seinen Lebzeiten fertig geworden. Meine Berechnungen waren etwa so bei 22 Jahren. Also eine Größenordnung hin oder her, man kann natürlich jetzt streiten über Kleinigkeiten, aber zumindest die Größenordnung stimmt.
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Wie steht es nun mit den 100.000 Sklaven, von denen Herodot später gehört hat? Hier sind sich die Ägyptologen einig: Die Zahl ist eine Phantasiezahl. Inzwischen kommt man für den Bau der Cheops-Pyramide auf eine hochgerechnete Zahl von 12 bis 15.000 Arbeitern, das wäre etwa 1 bis 2% der geschätzten Gesamtbevölkerung. Und höchstens ein Viertel aller Arbeiter dürfte direkt an der Pyramide beschäftigt gewesen sein.
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Und waren die Arbeiter wirklich Sklaven, die Vermesser, Steinmetzen, Maurer, Architekten und Ingenieure? Auch hier weiß man inzwischen mehr. Mélanie-Catherine Floßmann:
Zusp. Floßmann (16:15)
Das sind natürlich alles Facharbeiter, die eine jahrelange Ausbildung genossen haben, bzw. in einen größeren Betrieb mit eingearbeitet waren und dieses Wissen immer wieder weiter tradiert haben.
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Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass diese wertvollen Fachleute später – wie aus Hollywood-Filmen bekannt – mit dem König lebendig in die Pyramide eingemauert würden. Sobald die eine Pyramide fertig ist, ziehen die Arbeiter weiter zur nächsten. Der nächste König kann schließlich mit seiner eigenen gar nicht früh genug beginnen.
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Während dessen beginnt aber vor allem der Kult des verstorbenen Königs an seiner nagelneuen Pyramide. Denn in einer Pyramidenanlage ist die Pyramide selbst sozusagen „nur“ das Grab. Der eigentliche hochaufwendige Königskult wird in dem großen Bezirk um die Pyramide herum zelebriert. Dieses Areal beginnt schon unten im Niltal.
Zusp Floßmann (6:37)
Wir haben einen Taltempel. Von dem Taltempel gibt es einen Aufweg bis zum Pyramiden-Tempel. Hinter dem Pyramiden-Tempel haben wir die Pyramiden-Anlage. … Und ganz wichtig, … wir haben richtige Stadtanlagen.
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Den Bewohnern dort geht es gut. Der Totenkult ist ein wunderbares Einkommen für die lebenden Beschäftigten. Denn zu Lebzeiten hat der König im ganzen Land Domänen eingerichtet, extra für die täglichen Güter, die sein Kult später erfordert. Täglich kriegt nun seine Jenseitsexistenz Nahrungsmittel als Opfer. Aber nur symbolisch, nach dem Opferritus teilen sich die Beschäftigten die Gaben untereinander auf.
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Wie geht es weiter mit den Pyramiden nach Cheops? Sein Sohn Chefren will noch höher hinaus. Das schafft er aber nur mit Tricks. Er baut höher im Gelände, auf kleinerer Grundfläche und mit einem steileren Winkel. Ganz klar: Cheops bleibt Platzhirsch. Wiederum der Nachfolger Mykerinos baut die kleine Pyramide in Gizeh – dafür aber eine umso aufwendigere Pyramidenanlage.
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Das wird der Trend für die nächsten Dynastien – kleinere Pyramiden bei großartigeren Kultanlagen. Tausend Jahre später, im Neuen Reich, hat die Pyramidenform ihre Exklusivität als Königsgrab verloren. Nun sind es tatsächlich die Facharbeiter, die selbstbewusst für sich kleine Pyramiden bauen, während sie für die Könige die Felsengräber im Tal der Könige anlegen. Diese Könige heißen übrigens erstmals Pharaonen.
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Und auch das noch: Wie steht es mit den Labyrinthen, die in den Pyramiden Grabräuber tödlich in die Irre führen sollen? Noch einmal zum griechischen Historiker Herodot und seiner Ägyptenreise. Eine Etappe hatte ihn zur Pyramidenanlage von Amenemhet III. geführt. Mélanie-Catherine Floßmann:
Zusp. Floßmann (23:28-24:11)
Es gab wohl über 120 verschiedene Kulträume und Kapellen und Säulenumgänge und die verschiedensten Raumeinheiten. Jetzt stellen wir uns Herodot vor, der im 5.Jh. da anreist, … und er wird jetzt … von einem Raum in den nächsten hinein geführt und hat für sich dann auch einfach diese Assoziation – ja, das ist ein labyrinthartiges Gangsystem, … aber Labyrinthe hat es in Ägypten bei Pyramiden niemals gegeben.
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Na ja. Noch so ein typisches Missverständnis. Sie waren einfach unbegreiflich früh unfassbar gut, die alten Ägypter. Eines wird man ihnen einfach lassen müssen: Die Pyramiden sind schlicht ein Wunder.
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