ERF Plus - Wort zum Tag

Ausgerufener Friede


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Das klingt hochaktuell – die Gewinnmaximierung in allen Schichten der Gesellschaft ohne Rücksicht auf ethische Aspekte. Oft in der Geschichte ein Zeichen einer alt und verdorbenen Gesellschaft: Wer reich ist, hat die Macht, und wer die Macht hat, wird immer reicher. Es ist fast wie eine Gesetzmäßigkeit. Alle Gesellschaftssysteme waren und sind davon betroffen – egal ob Kapitalismus oder Kommunismus oder auch die Autokraten von heute. Die Reichen und Einflussreichen bauen ihre Paläste mit hunderten von Zimmern, häufen unvorstellbaren Reichtum an – und das Volk leidet oder hungert sogar. Trotzdem verehren sie ihre Beherrscher manchmal wie Idole.

Irgendwie scheint das menschentypisch zu sein, damals wie heute. Besonders schlimm dabei: Auch die eigentlich „moralischen Instanzen“ – damals die Propheten und Priester – werden von dem beschriebenen Trend beherrscht. Ihre Funktion beschränkt sich nur noch auf stabilisierende Beschwichtigungen qua Amt: Friede, Friede. Will heißen: ist doch alles ok. Macht euch keine Sorgen. Auch Gott darf in einem solchen korrupten System ja nur noch lieb sein – eben der „liebe Gott“, einfach nur noch harmlos. Aber wehe, wenn einer das Spiel verdirbt.

Genau das tut Jeremia, dazu ist er als Prophet von Gott berufen, sogar wider seinen Willen. Zu beneiden ist er wirklich nicht. Er kann sich nur unbeliebt machen, wenn er das System hinterfragt. Er ist so etwas wie das Mensch gewordene Gewissen seines Volkes. Im Auftrag Gottes kündigt er immer wieder ein gewaltsames Ende des korrupten Systems an: Schon drohen feindliche Großmächte, sich des kleinen jüdischen Volks zu bemächtigen.

Das Ganze spielt sich um 600 v.Chr. ab. Die Babylonier haben den vorderen Orient weitgehend unter Kontrolle, und sie bedrohen auch Jerusalem. Die Botschaft des Propheten: Gott selbst schreibt hier Geschichte, er hält Gericht an seinem auserwählten Volk, das sich mehr auf seine Erwählung verlässt als auf die klaren ethischen Weisungen, die Gott immer wieder an die Erwählung geknüpft hat. Auch der babylonische König Nebukadnezar ist nur ein Werkzeug in Gottes Hand, der auf diese Weise sein Volk zur Rechenschaft zieht.

Aber auch, als dieser Babylonier 597 Jerusalem weitgehend kampflos in seine Gewalt bekommt, hören die beamteten Beschwichtigungspropheten nicht auf. Wer möchte, kann dazu die spannende öffentliche Auseinandersetzung zwischen den Propheten Hananja und Jeremia lesen, die uns in Kapitel 28 so plastisch berichtet wird. Man hört ja viel lieber auf die „Heile-heile Gänschen-Propheten“ als auf Gott.

Aber 10 Jahre später – 587 v.Chr. – ist es dann so weit: Nebukadnezar kommt noch einmal, zerstört Jerusalem und führt die Oberschicht in die später sprichwörtliche babylonische Gefangenschaft. Der Traum vom „lieben Gott“ ist ausgeträumt, dessen anerkannte Rolle eben nur Harmlosigkeit und Liebe war.

Manchmal frage ich mich, ob das Ganze vielleicht ein Gesetz der Geschichte ist, das sich in jeder Epoche wiederholt, und ob das zwangsläufig immer mit einer Katastrophe enden muss. Hat nicht Jesus versucht, etwas Neues mit seinen Leuten zu beginnen? Die großartigen Seligpreisungen der Bergpredigt, die Nächstenliebe, die Solidarität mit den Schwachen wie in der Urgemeinde – was ist daraus geworden? Hat sich die Welt seitdem zum Guten verändert? Und läuft es da besser, wo „wiedergeborene Christen“ in der Politik mitmischen wie in den USA?

Mir scheint: Nein! Jeremia 6 wiederholt sich in tausend Variationen, auch auf fromm. Will heißen, auch in manchen christlichen Gemeinden und Werken läuft es so wie oben beschrieben.

Aber Klagen bringt uns nicht weiter! Die schonungslose Analyse wie bei Jeremia ist das Eine – die Hoffnung auf Gottes gnädiges Eingreifen das andere, damals wie heute.  Deshalb: „Gebt nicht auf, kapselt euch nicht ab, integriert Euch positiv, auch in eine glaubensfremde Welt.“ Denn am Ende gilt: Gott macht Geschichte – manchmal auch trotz seiner Menschen.

Autor: Pastor Wolfgang Buck

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