Musikstück der Woche

Beethovens „An die ferne Geliebte“, interpretiert von Werner Güra und Christoph Berner


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„Verdrießlich über vieles empfindlicher als alle andern Menschen, und mit der Plage meines Gehörs finde ich oft im Umgange andrer Menschen nur Schmerzen“, schrieb Ludwig van Beethoven deprimiert an seinen Freund Joseph Xaver Brauchle im September 1815. Beethoven befand sich in diesen Jahren in einer tiefgreifenden Krise, die sowohl sein privates Gefühlsleben als auch seine kompositorische Arbeit betraf.
Seit der Vollendung der 8. Sinfonie (Oktober 1812) und der Violinsonate op. 96 (Februar 1813) war kein gewichtiges größeres Werk mehr entstanden. Liedkompositionen dagegen, die bei Beethoven häufig biografische Bezüge und bekenntnishaften Charakter haben, sind in dieser Zeit besonders zahlreich.
Nach dem schweren Jahr 1815 ringt Beethoven sich wieder zu neuer Schaffenskraft durch: Ein neuer Lebens- und Werkabschnitt beginnt, das Spätwerk.
Beginn des Spätwerks
Kein anderes Werk der vokalen Kammermusik zeigt Beethoven so sehr auf neuen Wegen wie der 1816 entstandene und im selben Jahr veröffentlichte Liederkreis „An die ferne Geliebte“. Diese Lieder hat man gerne mit den berühmten Briefen vom Juli 1812 in Verbindung gebracht, in denen Beethoven die - unbekannte - Adressatin als seine „unsterbliche Geliebte“ bezeichnet hatte.
Im Ungewissen liegt auch Beethovens Quelle der Liedtexte; verbürgt ist nur der Name des Dichters: Alois Jeitteles, ein Medizinstudent und Schriftsteller, der möglicherweise zu Beethoven in persönlichen Kontakt getreten und ihm die Gedichte im Manuskript übergeben hat.
Die Lieder wurden lange Zeit als Ausdruck der Seelenlage des Komponisten gedeutet, der sich innerlich von einer unerfüllbaren Liebe verabschiedet.
Neuere Forschungen lassen jedoch darauf schließen, dass die Lieder der fernen Geliebten nicht etwa Beethovens eigene Beziehungen illustrieren, sondern vielmehr der im Januar 1816 verstorbenen Ehefrau des Widmungsträgers Fürst Franz Joseph Maximilian Lobkowitz, eines wohlmeinenden Mäzens von Beethoven, ein Denkmal setzen.
„Nimm sie denn hin, diese Lieder ...“
Das Material für alle Liedmelodien des Zyklus liefert gleich die Anfangsmelodie „Auf dem Hügel sitz‘ ich spähend in das blaue Nebelland“, die auch am Schluss wiederkehrt und so einen Bogen zum Anfang herstellt. Sie wird von Beethoven in vielen Skizzen sorgfältig modelliert. Dadurch sind die sechs Lieder enger miteinander verbunden als in jedem anderen Zyklus der Romantik.
Das erste und das sechste Lied sprechen die Geliebte unmittelbar an. Die Lieder 2 und 5 haben mit ihren je sechszeiligen Strophen eher erzählenden Charakter und stehen in den helleren Tonarten G-Dur und C-Dur.
Die beiden mittleren Gedichte (3 und 4) korrespondieren durch Versmaß und Strophenbau, entsprechend ähnlich hat Beethoven die beiden Gedichte vertont. In ihrer Mitte jedoch hat er mit drei Strophen in as-Moll („Wird sie an den Büschen stehen, die nun herbstlich falb und kahl ...“) ein Zentrum geschaffen, um das sich der ganze Zyklus symmetrisch gruppiert.
Der Anfang des sechsten Liedes ist weltberühmt geworden: „Nimm sie hin denn, diese Lieder, die ich dir, Geliebte, sang.“ Sowohl Robert Schumann als auch Felix Mendelssohn Bartholdy haben Beethovens Melodie immer wieder in ihren Werken zitiert, Mendelssohn unter anderem in seiner 2. Sinfonie op. 52 „Lobgesang“.
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Musikstück der WocheBy SWR

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