„Die Spaltung, glaube ich, ist sicher meine Obsession.“ So Thomas Brasch. Und Spaltung bestimmt sein Leben: er gehört nirgends ganz dazu, er ist jüdischer Herkunft, er fliegt früh von der Universität, an der er Journalistik studiert, wegen existentialistischer Anschauungen, er kommt auf die Filmhochschule Potsdam, und landet im Gefängnis, weil er gegen den Einmarsch der Sowjets in Prag protestiert, er muss als Fräser arbeiten und ist doch immer Dichter.
1976 verlässt er das eine Deutschland, um ins andere überzusiedeln. Wieder also Spaltung. Spaltung im Kleinen und im Großen. Und sein berühmtestes Gedicht handelt von nichts anderem.
Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber Wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber wo ich sterbe, da will ich nicht hin: Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.
Ein Gedicht, das nie zur Ruhe kommt
Alles dreht sich um das Wort „aber“. Ein „aber“ und noch ein „Aber“ und noch ein „Aber“. Ein Gedicht, das nie zur Ruhe kommt, wie auch sein Autor nicht. Viele Gedichte von Brasch klingen oft ganz einfach, zugänglich, fast liedhaft, immer auch mit dem Mut zum linken Kitsch, doch seine Reime sind kein ruhiger Hafen, seine lyrischen Texte eher getriebene, kleine poetische Maschinen, die atemlos vorwärtsstreben, ohne zu wissen, wo sie ankommen.
Da schreibt einer gehetzt um sein Leben, weil nur durchs Schreiben Erfahrungen vollständig werden können. Was nicht beschrieben ist, ist nicht. Oder anders: ich schreibe, also bin ich.
Es hatte ganz simple Gründe, Ehrgeiz und auch das Bedürfnis, Dinge anders auszudrücken, (…) Dinge zu beschreiben, die man nicht leben kann, Dinge nochmals zu erfahren, indem man sie beschreibt als eine Gegenwehr, als ein Bedürfnis, sie nicht zu vergessen, indem man sie nochmals lebt, beschreibbar.
Keine Erzählungen, sondern Montageroman
1977 erschienen Erzählungen unter dem schlagenden Titel „Vor den Vätern sterben die Söhne.“ Aber sie durften nur im Westen publiziert werden. Sie eröffnen den neuen Band mit gesammelter Prosa, den der Suhrkamp Verlag zum 80. Geburtstag gerade herausgegeben hat.
Bei ihrem Erscheinen waren sie eine Sensation, eine knappe, dichte Literatur um rebellische Jugend und erschöpfte Arbeiter, fast grob gefügt, wenn man so will: geschweißt, ohne dass die Nähte verdeckt würden. Brasch selbst nannte seine Prosa darum im Interview gerade nicht Erzählungen, sondern einen Montageroman.
Aber gleichzeitig wurde Brasch zu dem, was er nie sein wollte, der Stardissident in Westdeutschland, geliebt von der konservativen Presse. Denn letztlich blieb sein „Meinland“ die DDR, und wenn schon Feind, dann der eigene, und nicht der fremde Feind im „Ausland“ BRD.
Gefährdet durch das eigene Leben
Irgendwann verlor die Öffentlichkeit das Interesse an ihm. Und er an der Öffentlichkeit? Er schrieb für die Schublade, ohne Kraft zur Ordnung, tausende Seiten über seine Idee fixe, den Mädchenmörder Brunke, die immer noch unveröffentlicht im Nachlass liegen.
Was hat ihn an dem interessiert? Das radikale Außenseitertum? Die inszenierten Selbstmorde, die eben doch Morde waren? Oder einfach: Dass dieses Mädchenmörderleben um 1900 ein ganz anderes war, so dass man es nicht hätte auf seine Biographie herunterbrechen können.
Also der Brasch hat im Gefängnis gesessen, also muss er gelitten haben, also muss seine Literatur Leidensdruck haben, so eindimensional, und außerdem noch dilettantisch.
Denn das ist die eigentliche Tragik des Künstlers Thomas Brasch. Er war immer gefährdet durch sein eigenes Leben, sein Image: gutaussehend, cool, Frauenheld, Dichter, Filmemacher, Rebell, Dissident. Oder wie er einmal bitter bemerkte: „Biographie war wichtiger als ein Stück, Gedicht oder Film.“ Vielleicht ist sogar etwas Wahres dran: Dass sein Leben den besten Roman schrieb.