ERF Plus - Wort zum Tag

Überfluss und doch Mangel


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Mein Einkaufswagen rollt durch die Lebensmittelabteilung. 100 Brotsorten grüßen aus einem schier endlosen Regal. Schwarzbrot. Weißbrot. Knäckebrot. Toastbrot. Frische Brötchen. Brot verpackt in Scheiben. Brot im frischen Laib. Auf der anderen Seite Müsli, Haferflocken, Cornflakes. Dann Gebäck, Kuchen, Muffins, Schokoplätzchen.

Ich kenne das Gefühl des Hungers nicht mehr. Und damit fehlt mir ein wichtiger Zugang zu dem Vers, der heute auf dem Plan der Herrnhuter Losungen steht: Der Herr gibt Brot denen, die hungern, und denen, die unterdrückt sind, schafft er Recht. (Psalm 146, Vers 7)

Mitunter scheint es tatsächlich, als wäre mir durch den Luxus, in dem ich lebe, der Blick auf den verstellt, der mir geben will, woran ich Mangel leide. Brauche ich ihn noch? Bei mir ist alles im Überfluss vorhanden! Habe ich nicht viel mehr die Aufgabe, mein Brot zu teilen, meinen Wohlstand? Und denen ein Zuhause zu geben, die in ihrer Heimat unter schrecklichen Umständen leben müssen?

Wenn ich das tu, aus Nächstenliebe, dann muss ich dennoch darauf achtgeben, dass ich mich nicht überschätze. Ich muss darauf achten, dass ich mich nicht überhebe und dabei überheblich werde. Denn wenn ich sehr viel Gutes tue, besteht die Gefahr, ich werde sehr stolz. Und dann kann es sein, dass ich anfange zu beten wie der Pharisäer in Jesu Gleichnis: Vielen Dank, Gott, ich habe alles, was ich brauche. Ich will deine Hilfe nicht unnötig in Anspruch nehmen. Du kannst dich vorbehaltlos denen zuwenden, die dich wirklich brauchen. Die hungern nach Brot und dürsten nach Gerechtigkeit. Die brauchen dich dringend. Ich nicht so.

Diese Art Stolz gehört zum Menschen dazu: Ich will auf niemanden angewiesen sein, auch auf Gott nicht, und ich bin bereit, mich dafür anzustrengen. Doch bei all dem vielen, was ich tue, mag es bisweilen vorkommen, ich verliere aus dem Blick, dass auch ich bedürftig bin.

Was heißt Brot? fragt Martin Luther im kleinen Katechismus, was heißt das täglich Brot? Und er antwortet - etwas freier übertragen - etwa so: „Brot ist alles, was Not tut für Leib und Leben, natürlich zuerst Essen und Trinken, Kleider, aber auch liebevolle Ehepartner, aufmerksame Kinder, umsichtige Vorgesetzte, eine gute Regierung, Friede, Gesundheit, gute Freunde, freundliche Nachbarn“ und so weiter.

Ein großer Mangel unserer Zeit scheint etwas zu sein, was Martin Luther noch ganz selbstverständlich war. Es ist der Mangel, dass Menschen sich selbst annehmen können.

Unsere Medien sind voll von makellosen Gesichtern und wohlproportionierten Körpern. Auf diese Weise werden immer mehr Menschen dazu verleitet, mit dem eigenen Äußeren unzufrieden zu sein. Zu denken, ich bin ungenügend. Das bringt viele auf den Gedanken, sich operieren zu lassen, die Gesichtszüge oder die Körperproportionen zu verändern. Nur ein kleines bisschen natürlich, aber eben so, dass hinterher alles ansprechender zur Geltung kommt. Mittlerweile gibt es eine ganze Industrie, die jungen Menschen rät, sich komplett selbst zu entwerfen.

Wie gut täte es, wenn ich einfach annehmen könnte, wie ich bin und wie ich aussehe. Wie gut täte es, wenn ich mich als von Gott geschaffen verstehen kann. Wie gut täte es, wenn ich darauf vertrauen kann, in mir schlummert etwas, das ist gut, wie es ist, das ist schön, wie es ist. Es ist in mir angelegt, und Gott will, ich soll es zur Entfaltung bringen. Ich soll mich entwickeln. Ich darf mich entwickeln, behutsam, zu dem Menschen, den Gott gemeint hat, als er mich ins Leben gerufen hat: Einen vollständigen, schönen und in sich ruhenden Menschen. Wie gut täte es, wenn ich auf diese Weise zu mir selbst stehen könnte. Und wie groß ist die Sehnsucht nach einem Menschen, der mich sieht, wie ich bin, der mich erkennt und der mich trotzdem oder gerade deshalb von Herzen liebt.

Beten Sie mit mir? Ach, lieber himmlischer Vater, soviel Mangel gibt es, unter dem wir leiden. Liebe, Vertrauen, Selbstvertrauen: Das ist das Brot, das wir entbehren. Komm zu uns und mache an uns wahr, was schon von alters her von dir geweissagt ist: Du gibst Speise denen, die hungern, und denen, die unterdrückt sind, schaffst du Recht. Amen.

Autor: Ulrich Pohl

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