Ein Kommentar von Christian Zehenter.
Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Hans-Joachim Maaz aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt apolut diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!
Akteure fast aller Parteien und Institutionen in Deutschland rufen nach mehr Waffen.
Waffen für den Frieden und Sieg der Freiheit ― oder in den Worten der FDP: „Krieg beenden, Panzer senden!“ und „Nach dem Marder kommt der Leopard. Wir bleiben dran.“ So etwas können nur Menschen sagen, die noch nie eine Waffe getragen und erst recht keinen Krieg erlebt haben. Menschen im beheizten Büro, die niemals selbst zum Gewehr greifen, in einen Panzer steigen oder ihre Kinder an die Front schicken würden. Andere sollen für sie kämpfen: 20-jährige Ukrainer sollen 20-jährigen Russen in den Kopf schießen oder sie in Stücke sprengen ― jeder Treffer ein Fest für die deutschen Medien und Institutionen.
Werte, Freiheit und Lebensraum verteidigen ― woher kommt uns die Rhetorik bekannt vor?
Wir müssen nicht mehr diskutieren, abwägen, Diplomatie üben, fragen und verbinden. Nun sind starke Führung und entschlossene Maßnahmen gefragt, auch Solidarität und Geschlossenheit im Namen unserer Werte. Schluss mit Bullerbü und Kaffeekränzchen, der Sieg ist nahe, das Böse muss bezwungen und unser Lebensraum verteidigt werden.
Woher kommt uns diese Rhetorik bekannt vor? Nur die Farben ändern sich: Wahrheit, Tugend und Vaterland sind heute blau-gelb, ganz unabhängig davon, ob die Ukraine eine Demokratie ist, und der Kampf für das Gute regenbogenfarben. Sogar politische Armbinden sind wieder gefordert ― nach der, medizinisch und ethisch unverantwortlichen, Maskenpflicht nur ein kleiner Schritt der Konformität.
Wo heute Wahrheit verordnet wird, greift man morgen zur Waffe
Wo heute Regierungskritiker gecancelt, Bücher und Parteien verboten und Wahrheiten und sogar Sprache vorgeschrieben werden, greift man morgen zur Waffe. Ob Corona, Klima, Putin, Rassismus oder LGBTQ: Es gibt die eine Wahrheit ― eine teuflische Bedrohung muss mit totalitären Maßnahmen bezwungen werden ― im Namen der wehrhaften Demokratie und der Verteidigung unserer Werte. Angst und Erlösungswunsch gehen hierbei Hand in Hand bei der Entwicklung des Totalitarismus.
Die Propaganda ist zwar sofort zu durchschauen, fühlt sich aber zu geil an, um sie zu hinterfragen ― insbesondere bei den Profiteuren. Ihr Ziel ist nicht Demokratie, Freiheit oder gar Versöhnung, sondern der Futtertrog. Der füllt sich mit jeder Einschränkung unserer Freizügigkeit und jeder weiteren totalitären, zentralistischen Struktur und Maßnahme ― bis hin zum Krieg.
Bedrohungskult und Erlösungsglaube: Opfer bringen im Namen des Guten
Die Kunst dabei ist, die Bevölkerung in Stimmung zu bringen, bis sie begeistert ihre eigene Freiheit, Sicherheit, Wohlstandsgrundlage und Gesundheit zu Markte trägt, um im Namen des Guten gegen den Feind zu Felde zu ziehen ― ob dieser Corona, Rechte, Putin, Diskriminierung oder Klimawandel heißt. Besonders die Deutschen machen sich offenbar spätestens alle zwei Generationen in einer Mischung aus Missionierungs- und Erlösungswunsch wieder auf den Weg, die Welt an ihren Werten genesen zu lassen ― was immer tragisch endet.
Doch zu einem Tugendkorps zu gehören, an einer großen Sache teilzuhaben und für ein höheres Gut schmerzliche Opfer zu bringen, scheint für sie eine magische,